Schweiz
Interview

Sportlicher und gesünder: Darum trinken junge Menschen weniger Alkohol

Party, Club, Clubbing, Disco, Feiern
Hat es sich bald ausgetanzt? Viele Clubs stehen vor einer herausfordernden Zukunft.Bild: shutterstock
Interview

Soziologe erklärt, warum junge Menschen weniger Alkohol trinken

Weniger Alkohol, weniger Bar- und Clubbesuche – die Prioritäten bei jungen Menschen haben sich verändert. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage von watson. Soziologe Jörg Rössel über die Covid-Pandemie als möglicher Treiber und das berühmte Glas Rotwein.
04.07.2025, 06:0104.07.2025, 08:51
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Unsere repräsentative Umfrage und die Erfahrungen von Bar- und Clubbetreibenden zeigen deutlich: Die Menschen, insbesondere die Jungen, trinken weniger Alkohol als früher. War diese Entwicklung in der Vergangenheit auch schon einmal zu beobachten?
Jörg Rössel: Wenn man den Alkoholkonsum in der Schweiz anschaut, ist kein lineares Muster zu erkennen.

Das heisst?
Bereits im 19. Jahrhundert gab es Zeiten, in denen die Menschen in der Schweiz mehr und dann später wieder weniger Alkohol konsumierten. Seit dem Zweiten Weltkrieg zeigt sich: Der Alltagskonsum von Alkohol hängt mit steigendem Wohlstand zusammen. Bis heute sind alkoholische Getränke in der Regel nicht günstig.

«Bis vor zehn, fünfzehn Jahren waren sich viele Forschende einig, dass ein Glas Rotwein pro Tag doch ganz gesund ist.»

Wie erklären Sie sich den Rückgang in den letzten Jahren?
Der aktuell am meisten diskutierte Faktor ist das gestiegene Gesundheitsbewusstsein. Die Lebensstile vieler Menschen verändern sich. Beim Rauchen ist diese Entwicklung bereits früher eingetreten. Für die Jüngeren unter uns ist es vollkommen normal, dass man in Bars und Clubs nicht mehr rauchen darf.

Bild
bild: john flury
Zur Person
Jörg Rössel (57) ist seit 2008 ordentlicher Professor für Soziologie an der Universität Zürich und seit August 2013 Institutsvorsteher des Soziologischen Instituts. Seine Forschungsschwerpunkte sind soziologische Theorie, empirische Kultursoziologie, Sozialstruktur, politische Soziologie und historisch-vergleichende Soziologie.

Die Sensibilität gegenüber Alkohol hat sich also verändert. Weshalb?
Das hängt eng mit der Wissenschaft zusammen.
Bis vor zehn, fünfzehn Jahren waren sich viele Forschende einig, dass ein Glas Rotwein pro Tag doch ganz gesund ist. Heute herrscht weitestgehend Konsens darüber, dass selbst kleinste Mengen Alkohol gesundheitsschädlich sind. Insbesondere bei jüngeren Menschen, deren Gehirn noch nicht vollständig entwickelt ist.

Hat die Covid-Pandemie das gestiegene Gesundheitsbewusstsein beeinflusst? Weil man gesehen hat, dass die eigene Gesundheit nicht selbstverständlich ist?
Bei dieser Schlussfolgerung wäre ich zurückhaltend. Wenn dem so wäre, müsste man in den Daten ja einen klaren Bruch bezüglich Alkoholkonsum sehen. Sie haben in Ihrer Umfrage aber auch den Bar- und Club-Besuch abgefragt. In diesem Punkt hat die Pandemie viel eher eine Rolle gespielt, so meine Einschätzung.

«Wenn man frühmorgens und möglicherweise alkoholisiert nach Hause kommt, ist meist auch der nächste Tag nicht mehr für viel zu gebrauchen.»

Zwei Drittel der 16- bis 30-Jährigen gehen höchstens einmal pro Monat in eine Bar oder einen Club. Über alle Alterskategorien hinweg beträgt der Wert sogar 83 Prozent. Inwiefern könnte Covid dieses Verhalten beeinflusst haben?
Gerade die jüngeren Menschen, das häufigste Bar- und Club-Publikum, wurden in den entscheidenden Phasen da nicht so stark rein sozialisiert. Sie haben in den zwei, drei Jahren während der Pandemie gar nicht richtig mitbekommen, was es heisst, in Bars und Clubs zu gehen. In einer entscheidenden Phase war es ihnen nicht möglich, ihren Neigungen nachzugehen. Das spüren die Bar- und Club-Betreibenden heute.

Gibt es weitere Gründe, die das Ausgehverhalten speziell von jüngeren Menschen erklären können?
Ein nicht ganz unwichtiges Motiv für jüngere Clubgänger ist es, neue Leute kennenzulernen. Sei dies für kurzfristige, unverbindliche Kontakte, aber auch längere Partnerschaften. Aufgrund von digitalen Datingportalen könnten Clubs diese Funktion bis zu einem gewissen Grad verloren haben. Das ist auch eine Zeitfrage.

Wieso eine Zeitfrage?
In Clubs zu gehen, braucht Zeit. Wenn man frühmorgens und möglicherweise alkoholisiert nach Hause kommt, ist meist auch der nächste Tag nicht mehr für viel zu gebrauchen. Hinzu kommt, dass gerade junge Leute einen grösseren Teil ihrer Freizeit online verbringen, am Handy, mit Netflix etc. Diese Konkurrenzangebote gab es vor 15 Jahren noch nicht.

Gibt es weitere Faktoren?
Ein weiterer Punkt ist Sport. Ich habe die letzte Umfrage des Bundesamtes für Sport angeschaut. Sie zeigt deutlich: Die Menschen werden immer sportlicher. Junge Leute denken heute schon früher an gute Jobs, sie fokussieren sich daher auf ihre Lehre, auf das Studium, auf den Arbeitsplatz. All diese Dinge brauchen Zeit, die im Umkehrschluss nicht mehr für Bar- und Clubbesuche zur Verfügung steht.

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112 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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toemsterli
04.07.2025 06:26registriert Juni 2022
Warum wir früher neun Franken für ein Bier, dabei dicht gedrängt an einem Ort konsumiert haben, an welchem man sich anschreien musste um Bruchstücke dessen zu verstehen, was das gegenüber mitteilen wollte erschliesst sich mir heute auch nicht mehr.
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Knut Knallmann
04.07.2025 07:49registriert Oktober 2015
Kein Satz zur absolut überrissenen Preispolitik in den Clubs? Wenn ich 25.- oder mehr für einen verwässerten schlechten Drink bezahlen soll, dann mache ich das genau ein Mal und dann nie wieder.
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DRS
04.07.2025 08:00registriert Mai 2019
Die sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass jemand die Kamera draufhält, während man sich alkoholisiert enthemmt benimmt, trägt sicher auch ihren Teil bei. Mit dem Risiko, dass die Aufnahmen rumgezeigt/verbreitet werden.
Die Aussenwirkung hat heute eine ganz andere Dimension als vor einigen Jahren.
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