Am 15. Mai stimmt die Schweiz über das Filmgesetz ab. Die Abstimmungscouverts sind bereits verschickt worden, womit der Kampf um die entscheidenden Stimmen in die Schlussphase kommt. Besonders umstritten ist gemäss jüngsten Umfragen das Filmgesetz, wo ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet wird. watson hat mit Matthias Müller, dem Präsidenten der Jungfreisinnigen, über den Schlussspurt gesprochen.
Sie sind das Aushängeschild des Referendums gegen das Filmgesetz und ergreifen damit Partei für Schweizer und ausländische Privatfernsehsender. Wieso tun Sie das? Sind Sie gekauft worden, wie Ihre Gegnerschaft das behauptet?
Matthias Müller: Das ist billige Polemik der Filmlobby, die sich offenbar nicht anders zu helfen weiss. Wir vom «Nein»-Komitee haben uns auf die Seite der Konsumentinnen und Konsumenten geschlagen: Es geht bei der Abstimmung um eine Filmsteuer, höhere Abo-Gebühren und eine staatliche Filmquote auf Netflix, DisneyPlus und anderen beliebten Streaming-Anbietern. Dass eine Filmsteuer und Filmquote im Interesse der Filmlobby ist, ist klar. Meine Politik stelle ich aber im Interesse der Konsumenten, weshalb wir von den Jungfreisinnigen mit anderen Parteien und Verbänden das Referendum ergriffen haben.
Europaweit zahlen wir Schweizerinnen und Schweizer aber ohnehin schon die höchsten Abogebühren für Netflix und Co. Wäre es nicht schon alleine aus demokratiepolitischen Gründen sinnvoll, mitreden zu dürfen, was für Filme wir angeboten bekommen?
Der entscheidende Punkt ist: Wenn Sie oder ich ein Streaming-Abo abschliessen, dann tun wir dies freiwillig. Niemand wird gezwungen, diese Inhalte zu konsumieren. Ich sehe nicht ein, wieso uns bei einem freiwilligen Unterhaltungsangebot vorgeschrieben werden soll, was wir schauen dürfen. Eine Filmquote von mindestens 30 Prozent ist deshalb völlig ungerecht. Zudem zeigen die Zahlen des Bundesamtes für Statistik: Hierzulande machen Konsumentinnen und Konsumenten von Netflix und Co. oft einen grossen Bogen um Filme aus Schweizer Produktion: Das Angebot an streambaren Schweizer Kinofilmen liegt bei rund zehn Prozent. Die tatsächliche Nutzung dieser Filme beträgt aber nur gerade 0,4 Prozent. Mir leuchtet deshalb nicht ein, wieso zwangsweise solche Filme gefördert und mittels Quote abgesichert werden sollen, für die es gar keine Nachfrage gibt.
Ihnen geht es also um dogmatische Ordnungspolitik.
Nein, überhaupt nicht. Beim Filmgesetz geht es ganz konkret um Fragen des Alltags: Wenn wir zuhause vor dem Fernseher sitzen, werden wir mit dieser Lex Netflix staatlich verordnete Pfeile und Markierungen zu sehen kriegen. Streamingdienst-Anbieter werden europäische Filme von Gesetzes wegen besonders kennzeichnen müssen. Zudem müssen diese Filme jederzeit gut auffindbar sein. Das schafft eine Art staatliche Bevormundung in kulturellen Fragen: Der Konsument muss zu einheimischen Filmen begleitet werden – auch wenn er sie nicht freiwillig schauen würde.
Ihre konsumorientierten Argumente kommen gemäss letzten Umfragen gut an. Sie wollten aber den Abstimmungskampf ursprünglich anders führen und die Gegnerschaft mit überraschenden Fakten attackieren. Was ist daraus geworden?
Ich habe geliefert, was ich mir für die Debatte vorgenommen habe: Wir haben alle öffentlichen Berichte, Studien und Daten dazu gelesen und konnten so aufzeigen, das der Bundesrat im Abstimmungskampf falsche Behauptungen verbreitet. Der Höhepunkt war bekanntlich die falsche Ländervergleichskarte im Abstimmungsbüchlein. Diesen Fehler, den auch die Redaktion der SRF-«Arena» entdeckt hat, hat der Bund bis heute nicht korrigiert. Es gab lediglich eine sogenannte «Präzisierung», die aber immer noch Fehler enthält. Das geht so nicht, das ist klare Irreführung! Deshalb wehren wir uns nun dagegen mit einer Abstimmungsbeschwerde vor Bundesgericht. Wir wollten aber weitere Fakten schaffen, hier werden wir aber vom Bund behindert.
Was meinen Sie damit?
Die Botschaft des Bundesrates zum Filmgesetz war schwach formuliert. Ich habe deshalb vor einigen Wochen verschiedene Dokumente der Bundesverwaltung mit dem Öffentlichkeitsgesetz angefordert. Diese habe ich bis heute nicht erhalten. Ich habe persönlich miterlebt, wie Sie als Journalist mit den Behörden zu kämpfen haben: Einmal war irgendeine zuständige Person in den Ferien, dann wurde ich auf später vertröstet. Als ich mit dem Gang zu den Medien drohte, erhielt ich dann die Zusage, dass die Dokumente bis am 6. Mai geliefert werden. Mein Vorwurf ist deshalb: Die Leute im Departement von Bundesrat Alain Berset halten wichtige Dokumente zurück. Das geht so nicht kurz vor einem Abstimmungssonntag!
Geht es Ihnen hier ums Filmgesetz oder um Parteipolitik gegen einen SP-Bundesrat?
Der Vorwurf der Parteipolitik ist lächerlich. Hier geht es um wichtige demokratiepolitische Fragen: Der Bund informiert die Stimmbevölkerung über Abstimmungsvorlagen. Wenn er das in irreführenderweise oder mit falschen Behauptungen im Abstimmungsbüchlein tut, dann muss das korrigiert werden und dazu führen, dass ein Departement aus solchen Fehlern lernt. Beim Departement von Bundesrat Berset sieht man das offenbar anders, wie wir jüngst in den Medien lesen konnten: Bei seinen Abstimmungsvorlagen passieren häufiger Fehler als bei anderen Bundesrätinnen und Bundesräten.
Was erhoffen Sie sich von der Abstimmungsbeschwerde?
In erster Linie, dass das Bundesgericht unseren Vorwurf bestätigt: Der Bund behindert die Ausübung der politischen Rechte, wenn er wie beim Filmgesetz mit falschen Angaben im Abstimmungsbüchlein und anderen Dokumenten für seine Vorlagen wirbt. Ein solches Urteil wäre insbesondere dann wichtig, wenn die Abstimmung am 15. Mai knapp ausfällt.
Sie sind also in einem Dilemma: Als Filmgesetz-Gegner hoffen Sie auf ein «Nein». Wenn Ihnen die Demokratie so wichtig ist, wie Sie es gerade darstellen, müssten Sie auf ein «Ja» hoffen.
(lacht) Ja, das ist so. Falls wir gewinnen, wird das Bundesgericht wohl keine Notwendigkeit sehen, den Bund und seine Informationspolitik während Abstimmungskämpfen zu rügen: Diese juristische Ebene könnte spannend werden, wenn es ein knappes «Ja» gibt. Ich möchte aber mit meinen Argumenten Politik machen können: Es braucht ein «Nein» zum Filmgesetz, weil ansonsten Konsumentinnen und Konsumenten die Politik der Filmlobby mit höheren Abo-Preisen und staatlich verordnetem Filmangebot ausbaden müssen.
Die jungliberalen Abzocker handeln im reinen Interesse der Konsumenten.
Dies wäre etwa so wie wenn Paris Hilton ein Keuschheitsgelübde ablegen würde.