Der Flughafen Zürich schrammte in den Herbstferien nur knapp an einem neuen Allzeit-Rekord für Passagiere an einem Tag vorbei. Schon im September 2024 stiegen in Zürich mehr Gäste in ein Flugzeug als jemals im selben Monat vor der Corona-Krise.
Von Flugscham ist nicht mehr viel zu spüren. Oder täuscht der Eindruck? Wir haben bei Thomas Bernauer, Professor für Umweltpolitik der ETH Zürich, nachgefragt.
Prof. Dr. Thomas Bernauer, in den Herbstferien herrschte auf dem Flughafen Zürich Vollbetrieb. Ist die Zeit der Flugscham vorbei?
Prof. Dr. Thomas Bernauer: Zuerst mal: Das kommt für mich nicht überraschend.
Wieso?
Die Flugscham erreichte 2019 ihren Höhepunkt. Man musste sich fast entschuldigen, wenn man irgendwohin flog. Durch die Klimaschutzbewegung gab's einen normativen Druck in der Bevölkerung, der sich immer mehr aufbaute. Dann kam Corona und der Flugverkehr brach total ein. Daraus hatten viele die naive Erwartung, dass es bei den Menschen eine grundsätzliche Verhaltensänderung gibt und dass man auch später nicht mehr überall hinfliegen werde.
Das ist in dem Fall nicht so.
Es war eine komplette Illusion. Da haben wir uns ein bisschen etwas vorgemacht. Wir sind jetzt eigentlich einfach wieder beim «Back to normal» angekommen.
Ist denn den Leuten die Klimaerwärmung einfach egal?
Nein, den meisten Leuten nicht. Aber wir müssen vielleicht etwas ausholen.
Bitte.
Am Ende geht es ja um den Klima-Footprint jedes Einzelnen. Und da hat die individuelle Mobilität einen sehr grossen Einfluss. Ein Langstreckenflug «haut extrem rein». Aber das Problem ist: Der Attitude-Behavior-Gap ist bei Klimafragen – und noch viel mehr beim Fliegen – sehr, sehr hoch.
Was bedeutet das genau?
Der Attitude-Behavior-Gap bezeichnet die Kluft zwischen der Einstellung und dem Verhalten der Konsumenten in Bezug auf Nachhaltigkeit. Es wissen alle, dass Fliegen für das Klima schlecht ist. Aber es gibt keinen Ersatz, vor allem für grosse Distanzen. Wenn du weit weg reisen willst, musst du mit dem Flugzeug reisen. Und Menschen reisen gerne, entdecken gerne neue Orte. Dieses Verlangen ist grösser. Die Kluft war auch während der Corona-Krise nicht kleiner, aber die Möglichkeiten fehlten.
Darum wird oft an die Eigenverantwortung appelliert.
Nein, das klappt hier nicht.
Warum nicht?
Das ist die Krux: Es gibt momentan einfach keinen Ersatz fürs Fliegen zu weit entfernten Zielen, wenn du deinen Lebensstil behalten willst. Und Menschen ändern sich nicht sehr gerne. Vor allem, wenn sie dadurch eine Einbusse der Lebensqualität erwarten.
Aber beispielsweise bei E-Autos oder Solardächern gibt es ja auch ein Umdenken zu nachhaltigeren Wegen.
Ja, da haben wir aber Alternativen und müssen unseren Lebensstil nicht anpassen. Grundsätzlich ist es bei den erneuerbaren Energien noch oft so: Wer es sich leisten kann, der macht das. Vereinfacht gesagt, haben Reichere tendenziell eine höhere Pro-Naturschutz-Einstellung. Sie können sich nachhaltige Produkte leisten, die in der Anschaffung oft noch teuer sind. Beim Auto, Strom, der Heizung oder beim Hausbau geht das. Aber für das Fliegen zu weit entfernten Zielen gibt es keine Alternative.
Reichere haben aber oft einen höheren Klima-Fussabdruck, nicht?
Genau. Der steigt sehr stark mit dem Einkommen. Je mehr Geld, desto mehr wird geflogen und das jagt den persönlichen Abdruck in die Höhe. In der Schweiz können sich allerdings Krethi und Plethi einen Flug leisten, darum ist unser Klima-Fussabdruck in der Schweiz insgesamt so hoch.
Wie wird eigentlich das Fliegen an der ETH gehandhabt?
Die ETH will klimaneutral werden. Aber der Plan ist bisher bei den Flugreisen kaum vom Fleck gekommen. Die Mitarbeiter wollen nicht auf Flugreisen verzichten. Das soll jetzt nicht hochnäsig klingen: An der ETH arbeiten im Durchschnitt Menschen mit höheren Einkommen, guter Bildung und einem guten Naturverständnis. Aber hier hat es bisher nicht geklappt. Wie soll es dann bei der breiten Bevölkerung klappen?
Ist es denn nicht auch so, dass die weltweite Lage mit hereinspielt? Es herrschen Kriege, die Krankenkassenprämien steigen, man fürchtet vielleicht um seinen Arbeitsplatz und so weiter. Da will man halt noch fliegen, solange man kann.
Ich glaube, das spielt keine grosse Rolle. Wie schon gesagt: Es ist ein Bedürfnis des Menschen, Neues zu sehen, auf Reisen zu gehen. Das ist Teil der Globalisierung und eigentlich ja auch positiv.
Oft hört man auch das Argument, dass es eh nichts nützt, wenn man als kleiner Fisch etwas ändert. Es macht sich eine gewisse Ohnmacht breit. Was halten sie davon?
Das sind sekundäre Dinge. Man findet immer ein Argument, um das Fliegen für sich selbst zu «legitimieren». Beim persönlichen Klima-Fussabdruck ist Fliegen einer der grössten Treiber. Ich glaube einfach: Der Durchschnittsmensch hat einfach Lust auf Ferien an der Wärme oder eine schöne Reise. Er hat Freude daran und will sich das nicht nehmen lassen. Daraus entsteht aber eine kognitive Dissonanz, und das muss man dann wieder zurückbiegen.
Vielen spielen auch so Ereignisse in die Hände, wie wenn Klima-Aktivist Max Voegtli nach Mexiko fliegt. Können so einzelne Vorfälle die eigene Flugscham zum Kippen bringen?
Das glaube ich nicht. Es gibt immer ein Argument, warum man selbst doch fliegen «darf», trotz Klimawandel und vermeintlicher Flugscham. Ältere Leute sagen: Die Jungen fliegen ja selbst, dann fliege ich auch. Und die Jungen sagen: Mein Lebens-CO2-Verbrauchs-Budget ist noch immer viel tiefer als bei der älteren Generation. Es ist immer der gleiche Mechanismus. Am Ende will jeder für sich selbst gut dastehen. So kommen wir nicht weiter.
Wie kommen wir denn weiter?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Erstens lösen wir es mit Technologie. Aber ich bin skeptisch, dass Fliegen bald klimaneutral wird. Das dauert noch mindestens 10, 20, eher 30 Jahre, bis wir so weit sind.
Und die zweite Möglichkeit?
Wir lösen es über die Politik, mit Steuern und anderen Massnahmen. Aber auch da sind die Hürden extrem hoch, das sahen wir ja bei der Ablehnung des CO2-Gesetzes 2021.
Kann es denn sein, dass die Flugscham wieder zurückkommt?
Ja, die wird mal wieder stärker, mal schwächer. Aber dass man mit Appellen das Verhalten ändern kann, daran glaube ich in diesem Bezug nicht. Das ist eine Illusion. Es ist einfach so: Fliegen ist viel, viel zu billig. Es ist sinnlos billig. Aus meiner Sicht führt kein Weg am Preis vorbei. Es braucht eine Besteuerung von Kerosin auf einem Niveau, die das Fliegen massiv verteuert.
Wie geschrieben erreichte sie 2019 ihren Höhepunkt, im selben Jahr wurde aber auch der Rekord aufgestellt. Jetzt sind wir einfach wieder auf vor-Corona-Niveau.
Ich persönlich müsste gefühlsmässig durch mein Studium auch eher in einer Bubble sein, in welcher Flugscham eher ein Thema sein sollte, aber auch ich merke eigentlich nichts davon.