Herr Röschli, die negativen Schlagzeilen über Kunststoff häufen sich – das Plastikmüll-Problem ist in aller Munde. Wie sehen Sie als Geschäftsführer von Swiss Plastics die aktuelle Debatte?
Kurt Röschli: Die Abfälle lassen sich nicht wegreden und es tut mir als Tierfreund weh, wenn ein Wal wegen des Plastiks im Meer stirbt. Doch ganz ehrlich, die emotionale Debatte derzeit stört schon ein wenig. Der Kunststoff ist jetzt der Prügelknabe. Es gibt grössere Umweltsünder. Doch ich will die Plastikabfall-Problematik damit keinesfalls verharmlosen und möchte betonen: Wir als Verband sind klar für nachhaltiges und ressourcenschonendes Handeln, dazu gehört auch das Recycling. Die Nachhaltigkeit gehört neben der Aus- und Weiterbildung zu unseren Kernthemen.
Zwar sind die Schweizer beim Recycling von PET-Flaschen Weltmeister. Beim Recycling des sonstigen Plastiks sind wir aber klar unter dem europäischen Durchschnitt von rund 35 Prozent.
Der europäische Kunststoffherstellerverband stellt der Schweiz eine Recyclingquote von 99,6 Prozent aus. Damit wären wir auch dort Weltmeister. Doch ein Grossteil davon wird thermisch recycelt und nicht physisch, wie man normalerweise Recycling versteht. Thermisches Recycling heisst, die Kunststoffabfälle gehen in die Kehrrichtverbrennungsanlage und werden dort verbrannt. Aus diesem Vorgang kann Energie gewonnen und somit zum Beispiel Heizöl und Energie (Strom) eingespart werden. Zudem landen diese Abfälle nicht in der Natur.
Also sagen Sie im Klartext: Verbrennen ist besser als recyceln?
Das würde ich so nicht sagen. Aber sehen Sie, beim Recycling muss der Aufwand und Ertrag stimmen. Ich mache ein Beispiel: Eine Familie isst ein Joghurt und will danach den Plastikbecher dem Recycling zuführen. Damit die Sache nicht zu riechen beginnt, wird fein säuberlich abgewaschen. Nur schon das Reinigen des Bechers braucht viel Energie. Und sprechen wir gar nicht erst davon, wenn das dann noch mit einem potenten Sportwagen zur nächsten Plastik-Abgabestelle gekarrt wird! Sprich: Man muss immer den gesamten Energieverbrauch anschauen. Das gilt auch für Lebensmittelverpackungen.
Wie meinen Sie das?
Es ist erwiesen, dass Lebensmittel wesentlich länger halten, wenn man sie verpackt – zum Beispiel eben mit Kunststoff. Wenn sie Schinken ohne Verpackung kaufen, geht er eher kaputt, bevor Sie ihn essen konnten. Die Energie, die für die Herstellung des Schinkens verbraucht wurde, war somit für nichts. In diesem Fall hätten Sie wesentlich weniger Energie verbraucht, wenn Sie einen Schinken verpackt in Plastik gekauft hätten – er hätte länger gehalten und sie hätten ihn gegessen. Ihr ökologischer Fussabdruck wäre besser.
Somit fordern Sie, noch mehr Lebensmittel in Kunststoff zu verpacken?
Nein, ich glaube wir machen das derzeit gut. Die Schweizer Detailhändler sind nicht einfach Kunststoff-Freunde, sondern sie sind sich der Problematik bewusst und machen sich Gedanken darüber, wie sie das Material sinnvoll einsetzen können.
Aber Sie verstehen, wenn sich die Leute über das in Plastik eingepackte Gemüse in den Läden aufregen?
Das verstehe ich total. Auch ich bin gegen unsinnige Verpackungen, wie das berühmte Beispiel der in eine Schrumpffolie eingepackten Gurke, die der Kunde zusätzlich noch in ein Plastiksäckli steckt.
Die EU-Kommission hat dem Plastikabfall den Kampf angesagt und strebt das Verbot von Einweg-Plastikprodukten an. Zittern nun Schweizer Kunststoffhersteller vor den wirtschaftlichen Folgen?
Ganz und gar nicht. Die Schweizer Branche wäre kaum betroffen. In der Schweiz produzieren wir verhältnismässig wenig Einweg-Produkte wie Plastikgabeln oder Ballonhalter, welche die EU-Kommission jetzt verbieten will. In der Schweiz werden auch keine Plastiksäckli mehr produziert. Uns drohen also keine wirtschaftlichen Folgen, allerhöchsten den Betrieben, die solche Produkte im Ausland einkaufen und in der Schweiz vertreiben. Doch diese können auf Alternativprodukte umsteigen.
Warum verzichten Schweizer Firmen auf die Herstellung von Einweg-Plastik-Produkten?
Es ist eine Frage des Preises und der Positionierung. Die Schweizer Kunststoffhersteller sind mehr auf hochwertige Kunststoffe spezialisiert. Zudem sind viele Schweizer Unternehmen, die einst Einweg-Produkte in der Schweiz hergestellt haben, entweder ins Ausland abgewandert oder sie gingen Konkurs. In anderen Ländern kann solche Ware viel billiger produziert werden. In der Schweiz bleiben Unternehmen mit cleveren Verpackungen und solche, die Einwegartikel für stark regulierte Anwendungen wie die Medizinaltechnik herstellen.
Dann haben Sie nichts dagegen, dass Produkte wie Plastikstrohhalme bald der Vergangenheit angehören, wenn es nach der EU-Kommission geht.
Es hilft sicher, die Bevölkerung für das Problem zu sensibilisieren. Aber es ist halt auch ein wenig Pflästerli-Politik, ein wenig zahnlos. Aus unserer Sicht müsste man zuerst bei den Abfalldeponien ansetzen und sie generell verbieten. Dort dafür sorgen, dass weniger Abfall in die Umwelt gerät.
Wer trägt aus Ihrer Sicht die Hauptschuld am jetzigen Plastik-Abfall-Problem?
Wir müssen die ganze Kette anschauen. Es reicht nicht die bösen Kunststoffhersteller jetzt verantwortlich zu machen. Klar ist die Branche in der Vergangenheit, wo die Thematik noch nicht bekannt war, teils leichtfertig mit dem Werkstoff umgegangen. Andererseits tragen die Konsumenten einen Teil der Schuld. Und zwar indem sie die Produkte aus Plastik einfach auf den Boden schmeissen, statt zu entsorgen. Dieses Verhalten hat zum jetzigen schlechten Image von Kunststoff geführt. Dabei geht vergessen, dass wir nicht auf Kunststoff verzichten können.
Warum?
Dafür müssen wir nur einen Blick auf den Medizinalbereich werfen. Ich weiss nicht, wie man dort Kunststoff ersetzen sollte. Stellen Sie sich zum Beispiel einmal vor, Sie brauchen eine künstliche Herzpumpe. Diese kann nicht aus Holz hergestellt werden. Daneben gibt es viele weitere Beispiele für die Unverzichtbarkeit von Kunststoff: Blutbeutel, künstliche Darmausgänge, Insulinpumpen. Kunststoff rettet täglich Menschenleben.