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Christoph Gull, Flumser Gemeindepräsident im Interview

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Flumser Gemeindepräsident über die Abklärungen der Behörden: «Das war ein Fehlentscheid»

Die Behörden wussten, dass der 17-jährige Angreifer von Flums Gewaltfantasien hegte. Im Interview sagt der Gemeindepräsident, dass die Kriseninterventionsstelle einen Fehler begangen hat.
23.10.2017, 19:0224.10.2017, 06:33
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Herr Gull, Sie sehen müde aus. Wie geht es Ihnen?
Christoph Gull: Ich hatte eine kurze Nacht. Bis kurz vor Mitternacht war ich auf dem Polizeiposten und wurde über die Geschehnisse informiert. Danach ging ich nach Hause und lag lange wach. Nach so etwas kann man sich nicht einfach hinlegen und schlafen. 

Christoph Gull, Gemeindepräsident Flums (SVP)
Christoph Gull, Gemeindepräsident von Flums: «Ich kenne die Opfer.»Bild: watson

Können Sie schildern, wie sich Ihr gestriger Abend abgespielt hat?
Der erste Teil des Abends war gemütlich. Ich war zu Hause. Ich wohne oben in Flumserberg. Dass unten in Flums etwas los ist, habe ich erst 45 Minuten nach dem ersten Angriff auf das Paar mit Kinderwagen erfahren. Die zwei Helikopter, die im Einsatz waren habe ich bei mir oben nicht gehört. Über die sozialen Medien habe ich von Gerüchten gehört, dass es einen Angriff gab. 

«Schon kurz nach 20 Uhr wurde gestern auf den sozialen Medien aufgerufen, dass sich die Bewohner von Flums verbarrikadieren sollten.»

Wussten Sie sofort, wie ernst die Lage ist?
Es war schwierig, einen Überblick über die Lage zu bekommen. Der erste Reflex bei einer solch aussergewöhnlichen Gewalttat ist, dass man das gar nicht glauben will. Es dauerte eine Weile, bis ich das für mich einordnen konnte. 

Nach einer Stunde konnte der Jugendliche verhaftet werden. Wie schätzen Sie die Arbeit der Polizei ein?
Der schnelle Erfolg der Polizei war entscheidend. Schon kurz nach 20 Uhr wurde gestern auf den sozialen Medien aufgerufen, dass sich die Bewohner von Flums verbarrikadieren sollten. Wenn ein Täter frei herumläuft, macht das Angst. Dass er so schnell handlungsunfähig gemacht werden konnte, hat eine Panik verhindert.

Kennen Sie den mutmasslichen Täter?
Die Polizei hat mir seinen Namen mitgeteilt. Aber ich kenne den Jugendlichen und seine Familie nicht.

Kennen Sie die Opfer?
Ja. Flums ist eine kleine Gemeinde. Jeder hier kennt irgendjemand, der bei der gestrigen Attacke involviert war.
Ich kenne das Ehepaar, das beim Postplatz eingriff und somit Schlimmeres verhindert hat. Der 72-Jährige ist ein ehemaliger Gemeinderat und im Dorf gut bekannt.

Die Polizei informierte, dass der 17-jährige mutmassliche Täter zwar nicht vorbestraft ist, aber in der Vergangenheit mehrfach wegen Gewaltfantasien auffiel. Wussten Sie davon?
Ja, ich wurde damals darüber in Kenntnis gesetzt. Das erste Mal war es eine Meldung der Schulpsychologin, das zweite Mal die Meldung des Berufsbildners. Ich wurde damals informiert, dass aufgrund dieser Meldungen ein Jugendlicher mit Auffälligkeiten überprüft werde. Der Name des Jungen wurde mir aber nicht genannt. Dass ich über solche Meldungen informiert werde, ist aber nichts Besonderes. 

Ich kenne das Ehepaar, das beim Postplatz eingriff und somit Schlimmeres verhindert hat. Der 72-Jährige ist ein ehemaliger Gemeinderat und im Dorf gut bekannt.

Warum?
Ich werde regelmässig über solche Meldungen informiert. Es liegt jedoch dann nicht an der Gemeinde zu intervenieren. Sondern dies ist Sache der Polizei und der Kriseninterventionsstelle. 

Die Kriseninterventionsgruppe des Schulpsychologischen Dienstes klärte den Jugendlichen ab und kam zum Schluss: Von ihm geht keine Gefahr aus. Ein Fehler?
Das war ein tragischer, bedauernswerter Fehlentscheid. 

Wie verarbeitet Flums den Schock?
Ich war heute Morgen im Dorf unterwegs. Es ist eine grosse Betroffenheit spürbar. Hier auf dem Land hatte man immer das Gefühl, die Welt sei noch in Ordnung. Dann passiert so etwas. 

Wie wird die Attacke die Gemeinde verändern?
Ich bin überzeugt, dass der Schock schnell überwunden und nicht nachhaltige Spuren hinterlassen wird. Das Tatmotiv des Jugendlichen stand nicht im Zusammenhang mit unserem Dorf. Das hätte in jeder Gemeinde passieren können. Die Bevölkerung weiss das und kann das gut einordnen. 

Stephan Ramseyer, Leitender Jugendanwalt, über den mutmasslichen Täter von Flums

Video: watson/Sarah Serafini

Teenager greift in Flums mehrere Personen mit Axt an

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Teenager greift in Flums mehrere Personen mit Axt an
Bei der Gewalttat in Flums sind am 22. Oktober 2017 sieben Personen verletzt worden. Ein Baby musste zur Beobachtung ins Spital gebracht werden. Der mutmassliche Täter, ein 17-jähriger Lette, griff die Passanten mit einem Beil an.
quelle: epa/keystone / eddy risch
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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Mafi
23.10.2017 19:15registriert Januar 2015
Wenn er präventiv in eine Klapse gesteckt wird, ist doch auch nicht korrekt. Laut Artikel gestern hat ja keine Drohungen ausgesprochen (als er das erste mal auffällig wurde).

Ein Pädophiler wird auch nicht wegen seiner Vorliebe für Kinder weg gesperrt, sondern wenn er sich Gesetzes-widrig verhält.
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blablup
23.10.2017 19:07registriert Mai 2017
Hätte man den Jungen in ein Heim gesteckt, hätten alle Aufgeschrien - vermutlich dieselben Leute, welche nun über die Tatenlosigkeit der Behörden den Kopf schütteln.
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bokl
23.10.2017 18:51registriert Februar 2014
"Das war ein tragischer, bedauernswerter Fehlentscheid."

Hinterher den "schwarzen Peter"verteilen ist sehr billig, aber gibt natürlich viele Schulterklopfer.
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