Schweiz
Justiz

Jedes zweite Tötungsdelikt in der Schweiz bleibt unentdeckt

Den perfekten Mord gibt es häufiger als gedacht – nun ermittelt die Politik

Fast jedes zweite Tötungsdelikt in der Schweiz bleibt unentdeckt. Nun soll die Politik herausfinden, wo das Problem liegt.
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21.11.2021, 08:5721.11.2021, 17:37
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In der Schweiz werden doppelt so viele Tötungsdelikte verübt wie die rund 50 Fälle, welche die jährliche Statistik ausweise, sagt Christian Jackowski gegenüber der «NZZ am Sonntag». Gemäss des Leiters des Instituts für Rechtsmedizin an der Uni Bern gibt es den perfekten Mord häufiger als gedacht.

In anderen Worten: Jedes zweite Tötungsdelikt bleibt unentdeckt, womit jedes Jahr viele Täter und Täterinnen unerkannt und unbestraft bleiben. Das ist zu viel, findet nun auch die Politik und schaltet sich ein. Die Rechtskommission des Ständerats habe vor Wochenfrist beschlossen, der Frage vertieft nachzugehen, berichtet die NZZ am Sonntag. Dafür verlangen sie vom Bundesrat einen Bericht. Er soll herausfinden, wo das Problem liegt und wie sich dieses allenfalls rechtlich lösen liesse.

Tatort, crime scene
Nicht alle Todesdelikte werden als solche erkannt.Bild: shutterstock

Studien decken erschreckende Statistik auf

Einer hat sich mit der Problematik bereits intensiv befasst: SP-Ständerat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch. Er ist es auch, der die Aufklärung angestossen hat. Gemeinsam mit Jackowski und dem St.Galler Rechtsmediziner Roland Hausmann hat er Studien zu Todesdelikten in Deutschland untersucht. Ziel war es, herauszufinden, wie viele Todesfälle zuerst als natürlich beurteilt wurden, bevor sich herausstellte, dass es sich doch um ein Delikt handelte.

Daniel Jositsch, Staenderat SP-ZH, spricht waehrend einer Medienkonferenz ueber ein Nein zum revidierten Jagdgesetz am Montag, 17. August 2020 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Bild: keystone

Die Resultate übersetzten sie auf die Schweiz und kamen zum Schluss: «Es sollte davon ausgegangen werden, dass in der Schweiz mehr als nur jedes zweite Tötungsdelikt nicht erkannt wird.»

Die Probleme bei der Feststellung der Todesart

Die hohe Dunkelziffer lässt sich wohl auf den dreistufigen Prozess zurückführen, bei dem die Todesart festgestellt wird. Er beginnt mit der medizinischen Fachperson, die den Tod eines Menschen feststellt. Diese führt eine Leichenschau durch und stellt die Todesbescheinigung aus. Dann muss sie ein Kreuz setzen: Entweder war die Person auf natürliche Weise gestorben oder er es liegt ein aussergewöhnlicher Todesfall vor – entweder weil er unnatürlich zu sein scheint oder die Ursache unklar ist.

Bereits hier liege der erste Teil der Problems, so Christian Jackowski. Häufig werde die Leichenschau nicht sorgfältig genug durchgeführt.

Doch auch im Falle einer korrekten Durchführung können Tötungsdelikte übersehen werden. Sobald die Ärzte einen Todesfall als aussergewöhnlich einstufen, gelangt dieser zur Strafverfolgungsbehörde. Dort wird in einem nächsten Schritt eine sogenannte Legalinspektion durchgeführt. Diese umfasst allerdings nur die äussere Untersuchung der Leiche. Erst wenn sich dabei Hinweise auf eine Straftat ergeben, werden weitere Untersuchungen – wie beispielsweise die Obduktion der Leiche – angeordnet. Damit wäre der dritte und letzte Schritt des Prozesses erreicht.

Mordermittler Max Suter weiss, wie der perfekte Mord funktioniert

Video: watson/Aya Baalbaki

So weit kommt es gemäss Jackowki aber eben nur selten, da nicht alle Straftaten äusserlich erkennbar seien. Und diese Fälle blende die Strafprozessordnung einfach aus. Weist äusserlich also nichts auf ein Delikt hin, müssen Rechtsmediziner und Rechtsmedizinerinnen ihre Arbeit oft beenden, ohne dass eigentlich klar ist, was genau vorgefallen ist. So könnte es ein Unfall, ein Suizid, ein Mord oder doch ein natürlicher Tod gewesen sein.

Besonders Morde durch Gift, Ersticken oder Ertränken fallen durch die Maschen, da sie äusserlich nicht immer erkennbar sind.

Rechtsmediziner wollen eine Anpassung

Die Schweizerische Gesellschaft für Rechtsmedizin anerkennt das Problem und setzt sich für eine Anpassung der Strafprozessordnung ein. Gegenüber der NZZ am Sonntag sagt Daniel Eisenhart, oberster Rechtsmediziner im Kanton Aargau und Vorstandsmitglied der Gesellschaft: «Die heutige Regelung ist sehr unglücklich. Sie birgt die Gefahr, dass Tötungsdelikte und andere wichtige Erkenntnisse verpasst werden.»

Was kann dagegen getan werden? Der Zürcher Anwalt André Wernli hat sich im Rahmen seiner Doktorarbeit mit dieser Frage beschäftigt. Sein Fazit: Die rechtlichen Hürden für weitere medizinische Untersuchungen müssten gesenkt werden. Das heisst immer dann, wenn ein natürlicher Tod vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden könne, müsse eine Legalinspektion angeordnet werden.

Welchen Weg die Politik diesbezüglich einschlagen wird, bleibt noch offen. In einem ersten Schritt soll der Bundesrat einfach mal aufklären. (saw)

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21 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Maedhros
21.11.2021 09:17registriert März 2021
"Das heisst immer dann, wenn ein natürlicher Tod vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden könne, müsse eine Legalinspektion angeordnet werden."
Müsste hier nicht eher außergewöhnlicher Tod stehen?
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RaWi - Wir sind mehr
21.11.2021 10:04registriert Februar 2014
"Das heisst immer dann, wenn ein natürlicher Tod vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden könne, müsse eine Legalinspektion angeordnet werden."
Hab den Satz jetzt mehrmals gelesen. Sollte sich wohl auf "UNnatürliche" Todesfälle beziehen.
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Frodo Bilbo
21.11.2021 10:39registriert September 2020
Ich bin sehr überrascht, das die Weichen für eine Legalinspektion so hoch sind, ich habe bisher immer gedacht (mich aber nicht aktiv damit auseinandergesetzt), dass eine Leichenobduktion bei jedem Todesfall durchgeführt wird, bei dem die Todesursache unklar ist.
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