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Justiz

Zürcher Gericht spricht Klimaaktivisten schuldig - so geht es weiter

Solidaritaetskundgebung fuer die angeklagten Klima-Aktivisten vor dem Prozess im Volkshaus in Zuerich am Mittwoch, 12. Mai 2021. Die angklagten Aktivisten blockierten im Juli 2019 mit einer Sitzblocka ...
Unterstützung für die angeklagten Klimaaktivistinnen und -aktivisten am Mittwoch vor dem Bezirksgericht in Zürich. Bild: keystone

Die Klimabewegung vor Gericht: Was die Urteile für die Aktivistinnen bedeuten

Sie wollen, dass die Gerichte die Klimakrise als Notstand anerkennt. Am Freitag scheiterten die Aktivisten damit am Zürcher Bezirksgericht. In anderen Fällen entschied die Justiz zugunsten der Klimabewegung.
14.05.2021, 18:5715.05.2021, 16:13
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Neun Aktivistinnen und Aktivisten, die im Sommer 2019 an einer Sitzblockade vor der Credit Suisse am Paradeplatz teilgenommen hatten, wurden am Freitag wegen Nötigung und Hausfriedensbruch vom Zürcher Bezirksgericht für schuldig befunden. Sie erhielten bedingte Geldstrafen.

Damit steht ein weiteres Urteil im Zusammenhang mit Aktionen der Klimabewegung fest. Es wird nicht das letzte sein. Bereits haben die Anwälte Berufung angemeldet. Auch in weiteren Fällen wurden Gerichtsentscheide an die nächste Instanz gezogen. Entscheidend wird sein, wie das Bundesgericht über die Anwendung des rechtfertigenden Notstandes in Klimaprozessen urteilen wird. In mehreren Fällen hatten sich Aktivistinnen darauf bezogen. Ein Überblick:

Protest am Paradeplatz: Schuldig!

Sie blockierten während Stunden die Haupt-, Neben- und Hintereingänge der Credit Suisse am Zürcher Paradeplatz und lösten einen grossen Polizeieinsatz aus. 64 Personen wurden bei der Aktion im Sommer 2019 in der Folge verhaftet und für zwei Nächte in Polizeigewahrsam genommen. Neun Personen erhoben später gegen den Strafbefehl Einsprache und verlangten vor dem Bezirksgericht Zürich einen Freispruch.

Die Anwältinnen der Beschuldigten verwiesen auf Artikel 17 des Schweizerischen Strafgesetzbuches. Dieser besagt, dass in einem Notfall eine strafbare Tat begangen werden darf, wenn damit ein hochwertiges Rechtsgut gerettet, eine unmittelbare Gefahr abgewendet und höherwertige Interessen gewahrt werden können. Sie sagten, die CS nehme als Antreiberin des menschengemachten Klimawandels eine überproportional wichtige Rolle ein. Der Protest gegen die Bank und insbesondere die gewählte Protestform seien legitim. Auf legalem Weg hätten die Aktivistinnen bereits zahlreiche Bemühungen unternommen, die breite Öffentlichkeit auf das Problem des Schweizer Finanzplatzes aufmerksam zu machen und die CS von ihren Investitionen abzubringen. Doch weder Petitionen, Demonstrationen, noch politische Vorstösse änderten etwas an der Anlagepraxis der Bank. Ihnen sei nichts anderes übrig geblieben.

Das sah Richter Marius Weder, ein Ustermer SP-Gemeinderat, anders. In der Urteilsbegründung sagte er, es hätte durchaus andere Möglichkeiten gegeben, auf die Anliegen aufmerksam zu machen, ohne in die Rechte der Credit Suisse, deren Mitarbeitern und Kunden einzugreifen. Zu den Aktivisten gerichtet sagte er: «Sie haben zweifellos einen ehrenwerten Zweck verfolgt, aber das falsche Mittel gewählt.» Zu Protestieren, um auf etwas aufmerksam zu machen, sei gerechtfertigt und sinnvoll. Dabei dürfe man aber nicht gegen Gesetze verstossen.

Nach der Urteilsverkündung schreibt das Kollektiv Climate Justice in einer Medienmitteilung: «Das Zürcher Bezirksgericht verpasst die Chance, das geltende Recht der gesellschaftlichen Realität anzupassen.» Die Aktivistinnen und ihre Anwälte haben angemeldet, gegen das Urteil in Berufung gehen zu wollen.

Blockade vor der Basler UBS: Freispruch!

Im Januar 2021 wurden fünf Klimaaktivistinnen und -aktivisten vom Basler Strafgericht freigesprochen. Diese hatten im Juli 2019, zeitgleich mit der CS-Aktion am Paradeplatz in Zürich den Haupteingang der UBS am Basler Aeschenplatz blockiert. Unter anderem mit Ästen und vor die Einfahrt geschüttete Kohle. So wollten sie auf die klimaschädlichen Investitionen des Schweizer Finanzplatzes aufmerksam machen.

Während des Prozesses forderten die Aktivistinnen und ihre Anwälte einen Freispruch aufgrund des rechtfertigenden Notstands. In den Augen der Aktivisten sei dieser aufgrund der unmittelbar bevorstehenden Klimakrise in ihrem Fall gegeben.

Die Strafgerichtspräsidentin sprach die Beschuldigten zwar frei, jedoch nicht aufgrund des geltend gemachten Artikels 17 des Strafgesetzbuches. Vielmehr wurde die Arbeit der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt bemängelt. Es hätte gar nicht zu einer Anklage kommen dürfen, befand sie. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft zusammen mit der UBS Anklage erhoben wegen Hausfriedensbruch, Nötigung und Sachbeschädigung. Später zog die Bank ihre Strafanträge zurück.

Von den verbleibenden Anklagepunkten sprach die Richterin die Aktivisten frei. Von Landfriedensbruch könne nicht die Rede sein, weil die Aktion jederzeit friedlich geblieben sei, sagte sie bei der Urteilsbegründung. Die Aktion sei «gefahrenfrei, im grossen Teilen kreativ, bedacht und nachhaltig in der Absicht» verlaufen. Es sei nicht um «blinden Vandalismus» und «provozierende Konfrontation» hinter vorgeschobener politischer Motivation gegangen. Sondern «um das Artikulieren grosser und grösster Zukunftssorge».

Rote Hände an der CS: Freispruch!

Im Oktober 2020 sprach das Kantonsgericht Genf einen 23-jährigen Aktivisten in zweiter Instanz frei, der bei der Protestaktion «Rote Hände» ein Gebäude der Credit Suisse mit abwaschbarer Farbe verschmiert hatte. Zuvor wurde der Aktivist vom Genfer Polizeigericht wegen Sachbeschädigung zu einer bedingten Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je 30 Franken verurteilt. Zudem wurden ihm die Reinigungskosten von 2250 Franken und die Verfahrenskosten aufgebrummt.

Seine Verteidigerin focht das Urteil an und verlangte vor dem Kantonsgericht einen Freispruch. Der junge Mann habe aus einem rechtfertigenden Notstand nach Artikel 17 des Strafgesetzbuches heraus gehandelt. Das Gericht müsse die unmittelbare Gefahr durch den Klimawandel anerkennen, auf die der Aktivist gemeinsam mit anderen aufmerksam gemacht hatte.

Am Prozess hörte sich das Gericht auch die Meinung einer Spezialistin an. Julia Steinberger, Professorin für soziale Folgen des Klimawandels an der Universität Lausanne erklärte, solange der Klimagasausstoss im aktuellen Umfang weitergehe, werde sich das Klima bis Ende des 21. Jahrhunderts um drei Grad erwärmen.

Diese Argumente überzeugte das Genfer Kantonsgericht. In seiner Urteilsbegründung hielt es fest, die Aktion «Rote Hände» entspreche voll und ganz den vom Bundesrat befürworteten Massnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstosses. Der Aktivist habe die Aufmerksamkeit der Bank erreichen wollen, damit diese ihre massiven Investitionen in fossile Brennstoffe überprüfe und so sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit schütze, die von der globalen Erwärmung bedroht seien.

Tennis in der Bank: Zuerst Freispruch! Dann schuldig!

Im Januar 2020 brach im Bezirksgericht Renens im Kanton Waadt lauter Jubel aus. Zwölf Klimaaktivisten wurden vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs und Widerstands gegen Anordnungen der Polizei freigesprochen. Sie hatten im November 2018 in einer Credit Suisse Niederlassung in Lausanne Tennis gespielt. Mit dieser Aktion wollten die Aktivistinnen gegen die Investitionspolitik der Bank protestieren, die mit dem Tennisstar Roger Federer werbe und gleichzeitig klimaschädliche Projekte finanziere.

Der Einzelrichter Philippe Colelough (FDP) machte in seinem Urteil den rechtfertigenden Notstand geltend. Die Aktion sei der einzige wirksame Weg gewesen, um die Bank zu einer Reaktion zu bewegen und um die notwendige Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erhalten. Das Vorgehen der Demonstrierenden sei «notwendig und angemessen» gewesen.

Die Waadtländer Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil von Renens Berufung ein. In der Folge wurden die Aktivisten im September 2020 in zweiter Instanz verurteilt. Das Kantonsgericht Lausanne argumentierte, die von den Beschuldigten eingesetzten Mittel seien nicht geeignet gewesen, um eine Gefahr abzuwenden. Eine Hausbesetzung habe keinen Einfluss auf die globale Erwärmung. Es gebe zahlreiche andere Möglichkeiten, auf ein Anliegen aufmerksam zu machen. Sprich: Der rechtfertigende Notstand sei hier nicht gegeben.

Bundesgericht: Präzedenzfall erwartet

Mit dem Fall der zwölf Tennis spielenden Aktivistinnen muss sich bald das Bundesgericht befassen. Das Urteil des Kantonsgericht Lausanne wird von den Anwälten angefochten. Die Aktivisten hoffen, dass sie in letzter Instanz freigesprochen werden und das Bundesgericht mit der Anerkennung der Klimakrise als Notstand einen Präzedenzfall schafft.

Bis anhin hat das Bundesgericht jedoch den rechtfertigenden Notstand noch nie im Zusammenhang mit Protestaktionen, die auf öffentlichem Grund oder in öffentlich zugänglichen privaten Räumen stattgefunden haben, zugelassen.

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36 Kommentare
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Konradius
14.05.2021 21:17registriert März 2021
Die Bestrebungen zu mehr Klimaschutz in Ehren: aber wenn diese Protestaktionen vom Bundesgericht gutgeheißen würde, werden verschiedensten "Notlagen" ins Feld geführt, um irgendwelche illegale Aktivitäten zu legitimieren.
Das Wort 'unmittelbar' im Art 17 StGB darf nicht ausser Acht gelassen werden.
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Rafinha
14.05.2021 21:20registriert April 2015
Warum werden eigentlich speziell die Banken für die Klimaschutz verantwortlich gemacht?
Wenn vom Konsumenten her keine Nachfrage mehr nach z.B. Öl besteht, investiert auch keine Bank mehr in diese Industrie…
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Pr0di
14.05.2021 21:48registriert Februar 2017
Finde ich einen wichtigen und richtigen Entscheid. Auch bei einem Notstand (oder besonders dann?) sollen Recht und Ordnung bewahrt werden. Ich bin sogar der Meinung, mit solch extremen Aktionen wird die ganze Klimabewegung in den Augen der reichen und mächtigen diskreditiert. Die denken sich, was wollen diese paar Klimaspinner denn schon wissen... Es gäbe sicher konstruktivere Wege.
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