Durch die Corona-Krise sanken die CO2-Emissionen im Jahr 2020 global um sieben Prozent. Es wurde deutlich weniger geflogen, weniger produziert, weniger gependelt. Das sind eigentlich keine schlechten Entwicklungen. Doch bringen die auch langfristig etwas?
Im vergangenen März haben wir mit dem Direktor am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Uni Bern, Martin Grosjean, über die Auswirkungen der Corona-Krise auf das Klima gesprochen. Grosjean ging damals davon aus, dass, je länger die Krise dauert, desto schlechter das für das Klima sei. Das Interview sorgte bei den watson-Usern für Diskussionsstoff.
Jetzt sind zehn Monate vergangen, Corona ist noch immer da und die Frage stellt sich: Wie sehr hat dieses Pandemie-Jahr das Klima beeinflusst? Und welche längerfristigen Auswirkungen hat es?
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Martin Grosjean, wir haben vor fast einem Jahr miteinander über den Einfluss der Corona-Pandemie auf den Klimawandel gesprochen. Auf die Frage, wie sehr das Coronavirus dem Klimawandel hilft, sagten Sie, das sei «nicht mal ein Tropfen auf den heissen Stein». Ist dem immer noch so?
Prof. Dr. Martin Grosjean: Ja, es ist weiterhin noch nichts. Selbst wenn die Emissionen durch die verschiedenen Slow- und Lockdowns noch ein oder zwei Jahre weitergehen würden.
Wieso?
Das «Global Carbon Project» hat berechnet, dass die fossile CO2-Emissionen 2020 weltweit um sieben Prozent sanken. Um das Klimaziel 2050 mit Netto Null zu erreichen, gewinnt man mit Minus sieben Prozent während einem Jahr ein paar Wochen, vielleicht Monate.
Das Klimaziel 2050 war gerade am Donnerstag ja auch Thema im Bundesrat. Simonetta Sommaruga sagte an der Pressekonferenz, es sei «notwendig, machbar und bezahlbar».
Das ist so. Die Rechnung ist relativ einfach. Wir haben noch knapp 30 Jahre Zeit. Das heisst, wir müssen die Emissionen vom heutigen Stand jährlich um 4 Prozent reduzieren. Wichtig wird auch das Zwischenziel für 2030. Wenn wir bis dann die Emission um 50 Prozent reduzieren können, ist ein wichtiges Zwischenziel erreicht.
Aber dann sind die sieben Prozent durch die Corona-Krise doch ein guter Anfang?
Das geschah durch eine gewaltige globale Krise. Zudem sind die verschiedenen Weltregionen unterschiedlich betroffen. In Europa und den USA nahmen die Emissionen um rund zehn Prozent ab, in China weniger als zwei. Dort ging das «normale Leben» bald wieder weiter, auf die Emissionen hatte Corona praktisch keinen Einfluss.
Nach der Finanzkrise 2008 gab es einen grossen Rebound-Effekt mit einer Emissions-Zunahme von rund fünf Prozent. Wie schätzen Sie die Möglichkeit eines Rebounds dieses Mal ein?
Die ist gross. Es rechnen eigentlich alle, die sich mit dem Thema beschäftigen, damit, dass der Rebound sehr stark sein wird. Denn es herrscht Nachholbedarf. China hat gezeigt, wie schnell die Wirtschaft sich wieder erholt. Es gibt keine Anzeichen, dass der Rebound nicht stattfinden wird.
Am Flughafen Zürich wurden 2020 rund 60 Prozent weniger Flugbewegungen gemessen und 75 Prozent weniger Passagiere abgefertigt gegenüber 2019. Weltweit leidet die Flugbranche. Glauben Sie, dass die sich wieder erholt?
Zumindest im Tourismus gehe ich von einem riesigen Rebound aus. Vielen brennt es unter den Nägeln, mal wieder unbeschwert verreisen zu können. Geschäftsreisen werden – auch aus Kostengründen – abnehmen. Allerdings wird es weiterhin einige Treffen physisch brauchen.
Im letzten März sagten sie auch: «Je länger die Coronakrise andauert, desto schlechter ist es für das Klima». Ist dem noch so?
Das gilt noch immer. Es gibt keine Anzeichen in die andere Richtung. Man sieht ja auch, wo das Geld vom Bundesrat hingeht. Im Grunde genommen ist dies eine Stützung des Bisherigen. Aber Investitionen für die Energiewende wären jetzt wichtig.
Im März sagten Sie, es gäbe zwei Wege: Entweder man baut alles wieder auf wie bisher oder wir nutzen die Chance des Wiederaufbaus zu mehr Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft. Auf welchem Weg sind wir?
Wie gesagt: Aktuell ist es meist eine Stützung des Bisherigen. Investitionen von Regierungen müssten viel stärker in die Richtung fliessen, die einen nachhaltigen Pfad gehen. Aber momentan ist man nicht überall in der Lage, dass man diese Entscheide treffen kann. Wir müssen das Wirtschaftswachstum von den Emissionen entkoppeln.
Die E-Mobilität ist auf dem Vormarsch. Wie sehr kann sie zur Emissions-Reduktion beitragen?
E-Mobilität und die Nachhaltigkeit im Wohnen ist ein Schlüssel. Da haben wir noch viel Potential. Es ist auch so, dass die ersten 50 Prozent Emissionsreduktion einfacher sind als die zweiten 50 Prozent.
Was kann sonst noch einen grossen Hebel erzielen?
Es gibt überall Möglichkeiten. Beispielsweise das Verschwinden von Verbrennungsmotoren oder nachhaltige Häuserheizungen. Auch Homeoffice kann einen Beitrag leisten. Wenn es, dort wo es möglich ist, auch nach der Pandemie einen oder zwei Tage Homeoffice gibt, gehe ich davon aus, dass das etwas nützt.
Problem bei der E-Mobilität wird dann irgendwann, dass wir nicht genügend Strom nachhaltig produzieren können, damit alle Auto fahren können.
Es braucht einen fundamentalen Umbau der Infrastruktur. Für die nachhaltige Energie benötigen wir beispielsweise Speichermöglichkeiten in den Alpen. Allerdings rechnet man für ein Pumpspeicherwerk mindestens mit zehn Jahren, bis es betriebsbereit ist – und das ist schon sportlich.
Aber dieser Umbau wäre technisch möglich?
Technisch und finanziell ist das machbar. Wir sollten einfach lieber heute als morgen anfangen. Am Ende ist es eine Frage des politischen Willens.
Wie wichtig ist dieser Faktor Zeit?
Enorm wichtig. Hätten wir in den 1990er Jahren angefangen, hätten wir die Emissionen jährlich viel weniger drücken müssen, der Umbau hätte sanft und klug durchdacht sein können. Aber je länger wir warten, desto brutaler wird der Umbau. Wenn wir auf heutigem Niveau bleiben, ist unser Emissionsbudget kurz nach 2030 aufgebraucht. Dann können wir das Ziel des Abkommens von Paris vergessen.
Wie wichtig wäre das revidierte CO2-Gesetz, das im Juni zur Abstimmung kommt?
In der Wissenschafts-Community in der Schweiz ist man sich einig: Das CO2-Gesetz in der jetzigen Form ist die beste Möglichkeit, die wir haben. Wir sind uns im Klaren, dass dies nicht reicht, aber es ist ein enorm wichtiger Schritt. Wird das vorliegende Gesetz verworfen, vergehen Jahre, bis ein neues Gesetz vorliegt. Wertvollste Zeit geht verloren.
Immerhin wurde der Earth Overshot Day für 2020 auf den 22. August geschätzt – 2019 hatten wir die Ressourcen schon am 29. Juli aufgebraucht. Was halten Sie von dieser Berechnung?
Ich weiss nicht genau, was bei der Berechnung alles berücksichtigt wurde. Aber die Botschaft müsste nicht sein, dass wir den um 25 Tage nach hinten schieben konnten, sondern dass noch immer über vier Monate fehlen, bis wir am 31. Dezember angelangt sind, wo er eigentlich mindestens stehen müsste.
Was können wir aus der Coronakrise Positives für das Klima mitnehmen?
Die Pandemie hat uns in vieler Hinsicht gezeigt, wo unsere Gesellschaft gelandet ist: Bei einem Geschäftsmodell, wo immer alles optimiert, aber zu wenig in die Risikobewältigung gesteckt wird. Beispielsweise brauchen Spitäler Notstrom im Keller – das kostet. Es braucht Pflichtlager für Masken
– das kostet. Ich könnte viele Beispiele nennen. Wenn man die Reserven unter dem Kostendruck abbaut, wird man als Gesellschaft verwundbar. Wenn es eine Lehre gibt, dann die: Wir brauchen dringend eine andere Risikokultur. Immer bis ans äusserste Limit der Rentabilität gehen, bringt neue Risiken, die für uns als Gesellschaft nur noch schwer erkennbar sind. Wir wissen selten, wo wir Risiken eingehen – bis etwas wie Corona zuschlägt.