Schweizer Grenzwächter auf geheimer Mission im Ausland erwischt
Februar 2019, St.Margrethen SG: Der Chef des Grenzwachtpostens tippt den Einsatzbefehl zur Aktion «Knobli» in den Computer. Er führt sie bereits zum zweiten Mal durch. Der Deckname hat keine Bedeutung. Das Ziel ist, den professionellen Drogenhandel in der Ostschweiz zu bekämpfen.
Kriminelle Organisationen betreiben hier Hanfplantagen in Industriehallen – es kam zu Schiessereien mit Schwerverletzten. Setzlinge und Samen kaufen die Täter ennet der Grenze. In Vorarlberg floriert ein legaler Fachhandel für Hanfanbau.
Bisher sind die Schweizer Grenzwächter nach dem Zufallsprinzip vorgegangen und winkten Fahrzeuge heraus, die ihnen irgendwie verdächtig schienen. Manchmal ist diese Taktik erfolgreich, meistens aber nicht. Der regionale Kommandant Markus Kobler schwört seine Leute auf eine neue Strategie ein. Sein Leitsatz: «Wir müssen in die nächste Geländekammer schauen.» In der Militärsprache heisst das, die Lage jenseits der Grenze aufzuklären.
Aktion «Knobli» gegen Drogenkriminalität
Die Aktion «Knobli» setzt diese Idee um. Der Postenchef schickt Grenzwächter in Zivil nach Vorarlberg, um Schweizer Einkaufstouristen vor Hanfläden zu beobachten. Die verdeckten Fahnder übermitteln ihren Kollegen an der Grenze die Autonummern der Schweizer Kundschaft. Rund 40 Beamte stehen im Einsatz, um die gemeldeten Fahrzeuge aus dem Verkehr zu nehmen.
An vier Aktionstagen in den Jahren 2018 und 2019 stellen die Grenzwächter Hanfsamen sicher, mit denen eine Ernte von sechs Tonnen Cannabis möglich wäre. Ein Gramm kostet auf dem Schwarzmarkt 10 Franken. Mit den sichergestellten Samen wäre also ein theoretischer Marktwert von 60 Millionen Franken erreichbar.
Die Kader hätten sich danach auf die Schultern geklopft, heisst es im Korps. Zwar hat die Aktion das eigentliche Ziel verfehlt: Professionelle Cannabisproduzenten haben die Ermittler nicht erwischt, nur Kleinanbauer für den Eigenbedarf. Dennoch tragen die Sicherstellungen dazu bei, die Jahreszahlen zu verbessern, an denen die Kader gemessen werden.
Es gibt allerdings ein Problem: Die Aktion ist illegal. Schweizer Grenzwächter dürfen im Ausland nur observieren, wenn die lokale Polizei mitmacht. Doch die Vorarlberger Polizeidirektion stellt kein Personal dafür bereit, weil sie damit keine Straftaten nach österreichischem Recht aufklären könnte. Der zuständige Polizist aus Vorarlberg sichert dem Postenchef aber informelle Unterstützung zu. Sollte es bei der Aktion zu rechtlichen Problemen kommen, würde er dabei helfen, diese auf dem «kurzen Dienstweg» zu lösen, wie er versichert.
Grenzwächter erwischen Polizisten mit Hanfsamen
Durch einen Zufall fliegt die Geheimaktion auf: Ein Grenzwächter stoppt in der Aktion «Knobli» ein Fahrzeug mit einem Mann am Steuer, den er persönlich kennt. Es ist ein St.Galler Stadtpolizist mit Hanfsamen im Gepäck. Dieser kann es nicht fassen, dass ausgerechnet er per Zufall aus dem Verkehr gezogen worden sein soll, und er stellt Fragen. Sein Kollege von der Grenzwache verplappert sich und verrät, dass ein Fahnder ihn vor dem Hanfladen observiert hat. Der ertappte Polizist hat Angst um seinen Job und geht deshalb zum Gegenangriff über: Er prangert die illegale Ermittlungsmethode der Grenzwache an.
Die Österreicher haben zwar kein Problem damit, wie sie schon bald signalisieren. Doch in der Schweiz kommt ein Prozess in Gang, der bis heute andauert. Gleichzeitig untersuchen interne Ermittler eine zweite Aktion, die nach dem gleichen Muster ablief.
Aktion «Megro» gegen Fleischschmuggel
Der Postenchef im südlichen Rheintal schickt seine Leute 2018 in Zivil vor Vorarlberger Grosshändler, um illegale Fleischschmuggler aufzuspüren. Er tauft die Aktion «Megro».
Auch hier geht es um ein grosses Problem. Im Jahr 2024 haben Schweizer Zöllner zum Beispiel mehr als eine Tonne geschmuggeltes Fleisch sichergestellt. Die Funde sind nur die Spitze des Eisbergs. Der grosse Rest bleibt unentdeckt.
Die Zöllner fahnden vor allem nach Händlern, die Restaurants mit grossen Mengen Billigfleisch beliefern und so Steuern und Zölle umgehen. Doch die Schweizer Grenzwächter erwischen diese Transporte mit Kontrollen nach dem Zufallsprinzip nur selten. Mit der Aktion «Megro» will die Grenzwache ihre Effizienz steigern.
Doch auch diese Aktion ist illegal – und auch sie fliegt per Zufall auf. Ein Zivilbeamter fällt vor einem Vorarlberger Grossverteiler auf. Ein Ladenmitarbeiter spricht ihn an. Daraufhin sagt die Einsatzoffizierin die nächste geplante Aktion ab.
In beiden Fällen ermittelt zuerst die Militärjustiz, doch dann übergibt sie das Verfahren an die Bundesanwaltschaft. Diese hat eigentlich Wichtigeres zu tun, als übereifrige Grenzwächter zu verfolgen. Vermutlich aus diesem Grund bleibt der Fall lange liegen. Erst im Jahr 2024 erlässt die Bundesanwaltschaft Strafbefehle wegen Verletzung fremder Gebietshoheit – ein selten genutzter Tatbestand.
Die Strafverfolgungsbehörde verurteilte die beiden Postenchefs sowie die Einsatzoffizierin, welche die Einsätze bewilligt hat, zu bedingten Geldstrafen. Alle drei wehren sich gegen eine Verurteilung. Deshalb kommt es am 6. Oktober zum Prozess vor dem Bundesstrafgericht.
Die Angeklagten kämpfen um ihren Ruf. Die Einsatzoffizierin machte danach Karriere bei der Bundespolizei Fedpol und arbeitet heute als Sicherheitsberaterin. Ein Postenchef steht kurz vor der Pension. Der andere ist frisch pensioniert.
Kommandant Markus Kobler «wusste nichts»
Fest steht: Der regionale Kommandant Markus Kobler kommt straffrei davon. Er hat vor der zweiten Aktion «Knobli» davor gewarnt, dass die erste illegal war. In Befragungen gibt er an, nicht gewusst zu haben, dass die zweite trotzdem nochmals gleich durchgeführt wurde. Auf dem Einsatzbefehl der zweiten Aktion «Knobli», der CH Media vorliegt, steht allerdings sein Name: Er hatte «Kaderpikett». War der Kommandant also tatsächlich nicht über den Grosseinsatz im Bild?
Doch das Bundesstrafgericht wird Kobler nicht einmal befragen. Es hat nur eine Auskunftsperson vorgeladen: Jürg Noth, den früheren Kommandanten des gesamten Grenzwachtskorps. In den bisherigen Befragungen hat er sich negativ über die zwei beschuldigten Postenchefs geäussert – und positiv über die mitbeschuldigte Einsatzoffizierin. Womöglich wird deshalb nur die unterste Hierarchiestufe Verantwortung übernehmen müssen.
Damit ist Markus Kobler als Kommandant des Zoll Ost fein raus. Die Aktion «Knobli» ist allerdings nur eines seiner kleineren Probleme, wie Recherchen zeigen. Mehrere Mitarbeiter haben ihm und seinem Stellvertreter Führungsschwäche vorgeworfen. Unter der Leitung dieses Duos haben vier Frauen in Offiziersfunktionen gekündigt.
Das Finanzdepartement hat deshalb eine Zürcher Anwaltskanzlei mit einer Untersuchung beauftragt. Die Gutachter stellten Fehlverhalten fest. Per 1. Oktober 2025 gibt Kobler deshalb das Kommando über den Zoll Ost ab und wird Berater für den Direktionsbereich Operationen. So hat er keine Leute mehr unter sich und verdient trotzdem den gleichen Lohn. Zufälligerweise findet die Versetzung fünf Tage vor Prozessbeginn statt.
Weitere Geheimeinsätze bleiben geheim
Offen bleibt eine Frage: Wie viele vergleichbare Operationen hat die Schweizer Grenzwache im Ausland durchgeführt?
Für heikle Einsätze hat die Organisation eine Sonderformation: das Mobile Einsatzkommando Helvetia. Wenn dieses in einer Region aktiv ist, wissen nicht einmal die regionalen Grenzwächter Bescheid. Aus dem Korps heisst es, dass dieses Einsatzkommando zum Beispiel während der Syrienkrise an ausländischen Grenzbahnhöfen observiert haben soll. Die Spezialeinheit soll nach Schleppern Ausschau gehalten haben, die Migranten in Autos über die grüne Grenze chauffierten. Die ausländischen Behörden sollen lediglich über informelle Kontakte eingeweiht worden sein. Offiziell heisst es beim Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit dazu:
Der Bund bestätigt jedoch den Verdacht auf eine grenzwertige Aktion an der italienischen Grenze. Tessiner Grenzwächter sollen mit GPS-Sendern in Italien aktiv gewesen sein. Es kam zu einer internen Untersuchung und einer Strafanzeige. Die Bundesanwaltschaft ermittelte wegen einer mutmasslichen Verletzung fremder Gebietshoheit auf italienischem Staatsgebiet. Doch sie stellte das Verfahren 2024 mangels Beweisen ein.
Was bei allen mutmasslichen und tatsächlichen Auslandseinsätzen berücksichtigt werden muss: Die Grenzwächter, die solche geheimen Missionen durchführten, wollten ihren Job besonders gut machen. Sie wollten die Kriminalität bekämpfen. Glaubwürdig ist eine Strafverfolgungsbehörde aber nur, wenn sie sich an das Recht hält, das sie durchsetzen will.
Erwischt ein Grenzwächter eine Person mit zu viel Fleisch oder Hanfsamen im Gepäck, kommt es oft zu Diskussionen. Die Beamten haben dafür einen Standardsatz im Repertoire: «Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.» Ausgerechnet dieser Satz könnte ihnen nun vor Gericht um die Ohren fliegen.