«Ich habe die Quittung doch gezeigt!», ruft ein aufgebrachter Mann aus dem Jura immer wieder auf Französisch. Er fuchtelt mit einem langen Papierstreifen in der Luft herum. Sein Auto ist gefüllt mit Einkaufstaschen voller Aktionspackungen von Fleisch, Pasta und Waschmittel. «Ich verstehe einfach nicht, wieso ich jetzt gebüsst werde», klagt der Mann, während seine Tochter im kleinen Zollhaus den Papierkram erledigt.
Die Familie aus dem Kanton Jura ist zu dritt ins deutsche Weil am Rhein einkaufen gegangen. Pro Kopf darf das Trio Waren im Wert von 150 Franken mitnehmen, ohne die Schweizer Mehrwertsteuer bezahlen zu müssen – das ist die Wertfreigrenze. Allerdings gilt auch noch eine Freimenge auf diverse Waren. So dürfen diese drei Personen insgesamt drei Kilogramm Fleisch unverzollt in die Schweiz mitbringen. Die Jurassier hatten jedoch neun Kilogramm undeklariertes Fleisch dabei. Deshalb müssen sie jetzt 300 Franken Busse zahlen.
«Die Leute vergessen manchmal, dass es einen Unterschied zwischen der Freimenge und der Wertfreigrenze gibt», sagt Roger Loeffler. Er ist seit 34 Jahren beim Zoll und der Chef Einheit «Zoll Basel Nord». Loeffler leitet fünf Gruppen. An diesem Samstag Anfang März ist er mit vier seiner Mitarbeitenden im Einsatz.
Seit dem 1. Januar gilt eine neue Wertfreigrenze. Das Parlament und die Kantone forderten eine Senkung von 300 auf 150 Franken. Gegner warnten vor der Reform. Sie fürchteten einen unverhältnismässigen Mehraufwand für den Schweizer Zoll ohne entsprechende Mehreinnahmen. Es würden noch längere Staus entstehen und der kleinkriminelle Schmuggel zunehmen, was zu einer «Kriminalisierung der Bevölkerung» führen würde.
Entsprechend wappneten sich die Zöllner für einen möglichen Ansturm: An einem Grenzübergang zu Österreich wurde extra eine Person mehr für die Kasse aufgeboten. Umsonst: «Wir bemerken lediglich einen leichten Anstieg bei den schriftlichen Deklarationen», sagt Loeffler.
Die Verzollungs-App «Quick Zoll» verzeichnet ebenfalls zwar einen konstanten, aber eben keinen sprunghaften Anstieg, wie der Zoll informiert. An diesem Samstag am Basler Zoll stauen sich die Autos mit Kennzeichen aus der ganzen Nordwest- und Zentralschweiz gegen 13 Uhr bis weit über die Brücke in die Stadt zurück – aber auch das ist kein neues Bild.
Eine Baselbieter Familie entkommt der Blechlawine, weil sie schon früh einkaufen gegangen ist. Jetzt verlangt ein Zöllner einen genaueren Einblick. Die Familie muss alle Einkaufstüten auf den Tisch stellen und vom Zöllner auspacken lassen.
Er prüft die Quittung, leuchtet mit einer Taschenlampe in den Kofferraum und schaut auch beim Ersatzreifen nach – «das ist ein beliebtes Versteck», weiss Loeffler. Die Baselbieter Familie verbirgt nichts und hat die Wertfreigrenze eingehalten. Allerdings überschreitet auch sie die Freimenge an Fleisch um 1,5 Kilogramm.
Der Familienvater sagt: «Ich wusste nicht, dass auch die Sandwiches und die Produkte mit wenig Fleisch zählen.» Die Frau nimmt eines der Suppenhühner und bringt es zurück. Sie lässt es in Deutschland, um die Zollabgaben zu vermeiden und nur die Busse von 50 Franken bezahlen zu müssen. «Das geht, weil die Landesgrenze noch nicht überschritten wurde», sagt Loeffler.
Während die Grenzwächter Autos durchsuchen, stehen Dutzende Leute an der Tram-Haltestelle. Eine Frau schiebt einen schwer bepackten Rollator, aus dessen Korb mindestens zehn Waschmittelflaschen herauslugen. Loeffler sagt: «Manchmal kontrollieren wir auch eine vollbepackte Fussgängerin oder einen Fussgänger oder jemanden auf dem Velo.» In diesem Fall bleibt die Waschmittelkäuferin unbehelligt. Bei der Auswahl habe man als Zöllner so seine Methoden, sagt Loeffler und tippt sich vielsagend an die Nasenspitze.
Loeffler und sein Team patrouillieren auch im Landesinneren. Wer dann beim Schmuggeln ertappt wird, muss mit einem Strafverfahren rechnen. Loeffler sagt: «Während der Einkaufszeiten stellen wir regelmässig Übertretungen fest.» Allerdings sei das auch schon der Fall gewesen, als die Wertfreigrenze noch 300 Franken betrug. «Generell sind die Menschen über die Senkung sehr gut informiert.»
Weniger gut informiert scheinen diejenigen zu sein, die sich Päckli an die Grenze bestellen, um sie selbst abzuholen. Zöllner Reto Gottier öffnet den Kofferraum eines Solothurner Pärchens und findet einen regelrechten Päckli-Turm. «So viel haben wir selten», sagt er. Für die nächste Stunde ist er beschäftigt: Er muss jedes Paket öffnen und überprüfen, woher die Waren kommen. Einmal zieht er ein Epiliergerät aus dem Karton, auf dessen Verpackung «Dankä!» steht – es ist ein in der Schweiz gekauftes Produkt und deshalb vom Zoll ausgenommen.
Im nächsten Päckli kommen Weinflaschen aus Deutschland zum Vorschein. Gottier fragt nach dem Warenwert und zuckt selbst zusammen: «150 Franken pro Flasche? Puh ...» Auf einem Notizzettel schreibt er fein säuberlich alle zu verzollenden Produkte und deren Geldwert auf.
Seit Corona gebe es eine «massive» Päckliflut, die an ein Paketlager bestellt werden und dann privat in die Schweiz eingeführt werden. Das nimmt an diesem Basler Grenzübergang mehr Ressourcen in Anspruch. Bei vielen jungen Leuten werden Päckliberge festgestellt. Sie sind es auch, die die Verzollungs-App «Quick Zoll» am meisten benutzen.
Ab 2026 soll die App auch die reduzierte Mehrwertsteuer von 2,6 Prozent verrechnen können – derzeit geht nur der normale Satz von 8,1 Prozent. Loeffler erhofft sich davon nochmals eine Verbesserung und hält fest: «Heute ist ein typischer Tag am Zoll.» Die Kontrolle sei zwar notwendig, aber: «Die Leute melden grundsätzlich korrekt an.» (les)
Ja aber das Problem hat dann schon immer bestanden, egal ob 150.-/300.- Wertfreigrenze, oder?