Oft wird der Politik vorgeworfen, sie reagiere zu langsam auf Probleme. Nun ging es plötzlich rassig: Kaum war der Fall Wermuth publik geworden, bei dem Cyberbetrüger sich als SP-Co-Präsidenten ausgaben, Frauen die grosse Liebe vorgaukelten und so Geld ergaunerten, befasste sich der Bundesrat umgehend mit «Spoofing». Damit ist gemeint, dass sich Verbrecher eine falsche Identität aneignen und so Opfer täuschen und ihnen Geld oder Wertsachen abknöpfen. Eben wie bei Cédric Wermuth.
Die Regierung befasste sich aber nicht wegen Wermuth mit dem Phänomen, sondern wegen Martin Candinas. Der Bündner Mitte-Nationalrat hatte im Juni eine Interpellation eingereicht: «Mir hat im Zug ein Betroffener von so einem Betrug erzählt. Drum habe ich nachgehakt.» Konkret ging es Candinas vor allem darum, ob der Bund genügend mache, um Opfer zu schützen und Täter besser zu verfolgen.
Die Antworten aus dem Bundesratszimmer lassen den ehemaligen Nationalratspräsidenten teilweise etwas ratlos zurück. Mehrfach betont die Regierung, dass sie sich vor allem international für eine bessere Koordination einsetzt, da es sich um ein weltweites Problem handle. «Das macht sicher Sinn», sagt Candinas. Etwas zurückhaltender ist die Regierung dagegen bei Massnahmen im Inland. Candinas hat da vor allem die Telekommunikationsanbieter und die Finanzdienstleister im Blick.
Ein guter Hebel gegen diese Cyberkriminalität sieht der Nationalrat bei den Banken und Zahlungsabwicklern. Wird einmal eine Überweisung an die vermeintliche Person getätigt, ist das Geld meist weg. «Sollten Finanzdienstleister künftig Zahlungen rückabwickeln müssen oder allenfalls zu Kompensationszahlungen an die Opfer verpflichtet werden?», fragte Candinas. Der Bundesrat sagt: Nein.
Vor allem die Begründung irritiert Candinas. Der Bundesrat schreibt: «Finanzdienstleister sind nicht die Auslöser für die aus Spoofing entstandenen Schäden. Darum wäre eine solche Verpflichtung nicht sinnvoll», schreibt der Bundesrat. Candinas sagt: «Das ist eher lapidar.»
Über die Kompensationszahlungen könne man sicherlich streiten, gibt er zu, aber gegen gesteigerte Verpflichtungen für Banken spreche doch eigentlich kaum etwas: «Auch die mögliche Nachverfolgung von Geldflüssen wäre schon sehr wichtig, um die Betrüger aufzuspüren.» Und auch Rückzahlungen – sofern das Geld noch auf dem Konto ist – seien doch verhältnismässig und für die Geschädigten das wirkungsvollste Mittel wieder an ihr Geld zu kommen.
Ähnlich ablehnend ist der Bundesrat bei zusätzlichen Massnahmen für die Telekommunikationsanbieter. Hier schwebte Candinas eine grössere Verpflichtung vor, um gefälschte Identitäten bei E-Mails und Telefonanrufen zu bekämpfen. Schon heute, so heisst es in der Antwort, seien die Unternehmer «so weit in die Pflicht genommen, wie es zurzeit sinnvoll ist.» Candinas kann auch hier nicht zustimmen: «Es geht doch nicht darum, was sinnvoll ist, sondern mehr, was verhältnismässig ist.»
Und hier sieht er noch mehr Spielraum. Je weniger Werkzeuge die Täter haben, um eine möglichst gut getarnte falsche Identität anzunehmen, desto kleiner seien die Chancen, dass Menschen ihnen in die Falle tappen.
Mit der Antwort ist die Sache für Candinas nicht erledigt, wie er sagt. Er werde nun das Gespräch mit Fachleuten und Expertinnen der Polizei suchen und dann schauen, welche weiteren Schritte sinnvoll sind. «Die Schweiz tut gut daran, nicht einfach das Minimum an möglichen Massnahmen zu machen», ist er überzeugt.
Wie hoch der Schaden ist, der jährlich durch Spoofing entsteht – dazu gehören neben dem Romance Scam auch andere Varianten wie etwa der Enkeltrickbetrug – kann der Bund nicht beziffern. Die Schadenssummen in den einzelnen Fällen würden «extrem» variieren und eine genaue Rechnung verunmöglichen. «Zudem ist von einer Dunkelziffer auszugehen, da sich nicht alle Geschädigten an die Polizei wenden», schreibt der Bundesrat.
Auch Candinas geht davon aus, dass längst nicht alle Fälle zur Anzeige gebracht werden, «da sich viele gutgläubige Menschen dafür schämen und die Tat den Behörden nicht melden.» Auch darum brauche es nun wirksame Massnahmen, um die Bevölkerung besser zu schützen, dass solche Fälle gar nicht erst passieren. (aargauerzeitung.ch)