Im November 2023 verliess Brian Keller nach sieben Jahren das Gefängnis. Er sass wegen mehrerer Delikte so lange. 2016 hatte er einem Kontrahenten in Zürich mit einem Faustschlag den Unterkiefer gebrochen. Danach ging er im Gefängnis auf Aufseher los. Mit der Freilassung wollte das Gericht die Gewaltspirale endlich durchbrechen.
Der bekannteste Ex-Häftling trat noch vor dem Gefängnis vor die Medien und sagte: «Die Menschen müssen nichts von mir befürchten. Wer mich respektiert, den respektiere ich auch.» Das Problem dieser Aussage offenbarte sich ein halbes Jahr später.
Wer ihn nicht respektiert, dem bricht er das Jochbein. So endete jedenfalls eine Auseinandersetzung zwischen ihm und einem anderen Ex-Gefangenen. Beide inszenierten sich auf Tiktok als «Crimefluencer». Mit ihrer kriminellen Vergangenheit erzielten sie auf der Social-Media-Plattform Aufmerksamkeit. Am 6. Juni steht Keller deswegen in Zürich vor dem Bezirksgericht.
Jetzt liegt die Anklageschrift vor.
Viele Leserinnen und Leser fragen das und wünschen, das Leben des Brian Kellers möge künftig ausserhalb des medialen Scheinwerferlichts stattfinden. Doch das Problem lässt sich nicht einfach ausblenden. Die Justiz muss sich an ihrem Umgang mit Extremfällen messen lassen.
Bekannt wurde er 2013 unter dem Pseudonym «Carlos». Ein Zürcher Jugendanwalt entwickelte für ihn ein Sondersetting, das staatlich finanziertes Boxtraining enthielt. Nach einem medialen Aufschrei stoppte es die Regierung. Seither sucht die Justiz nach einer Lösung für den Intensivtäter. Die Anklage dokumentiert den jüngsten Rückfall.
Die Vorwürfe wiegen schwer. Die Anklage besteht aus zwei Dossiers.
Er stellt sich einmal mehr als Opfer dar. Sein Kontrahent habe ihn und seine Familie bedroht, verkündete er auf Instagram. Skorp habe den Streit gesucht, damit Keller wieder ins Gefängnis müsse. Sein Anwalt schweigt auf Anfrage.
Die Anklage erhebt derselbe Staatsanwalt, der Brian schon bisher vor Gericht gebracht hat. Der Angeklagte weigerte sich im letzten Prozess allerdings erfolgreich, das Gefängnis zu verlassen und im Saal zu erscheinen. Der Staatsanwalt bedauerte dies und sagte: «Er ist eine Reizfigur und wird provoziert werden. Wie wird er darauf reagieren?» Da die Antwort nun vorliegt, droht ihm eine Freiheitsstrafe. Derzeit gilt die Unschuldsvermutung.
Keller hat nur ein Ziel in seinem Leben: Er möchte Boxchampion werden. Im April absolvierte er seinen ersten Showkampf, der allerdings nach 38 Sekunden bereits zu Ende war. Keller hatte seinen Gegner k. o. gehauen. Um einen Titel gewinnen zu können, benötigt er allerdings eine Profilizenz. Der Schweizer Boxverband stellt ihm diese nicht aus, weil er keine Amateurkämpfe absolviert hatte.
Zudem zweifelt der Verband, ob Keller den Unterschied zwischen einer Schlägerei und einem sportlichen Wettkampf kennt. Weil er bisher den grössten Teil seines Lebens in Gefängnissen und der Psychiatrie verbracht hat, hatte er wenig Gelegenheiten, sich in Freiheit zu bewähren. Deshalb herrschte nach seiner letzten Verurteilung ein breiter Konsens, dass er eine letzte Chance verdient habe. Falls er nun erneut verurteilt wird, wird er eine Profikarriere nicht einmal beginnen können. Dann bleiben ihm nur die Showkämpfe. Seinen ersten Auftritt absolvierte er vor vielen leeren Plätzen. (aargauerzeitung.ch)