Schweiz
Justiz

Bundesgericht: Geringfügige Mengen Gras dürfen nicht vernichtet werden

Wegweisendes Urteil: Die Polizei darf geringe Mengen Cannabis nicht mehr einziehen

24.07.2023, 12:0024.07.2023, 14:04
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Wer bis 2017 mit Cannabis in der Tasche von der Polizei kontrolliert wurde, wurde mit einer Ordnungsbusse von 100 Franken belegt. Für diese Praxis besteht in der Schweiz keine Rechtsgrundlage. Denn im Betäubungsmittelgesetz steht:

BetmG Art. 19b:

1. Wer nur eine geringfügige Menge eines Betäubungsmittels für den eigenen Konsum vorbereitet oder zur Ermöglichung des gleichzeitigen und gemeinsamen Konsums einer Person von mehr als 18 Jahren unentgeltlich abgibt, ist nicht strafbar.

2. 10 Gramm eines Betäubungsmittels des Wirkungstyps Cannabis gelten als geringfügige Menge.

Spätestens seit dem Bundesgerichtsentscheid von 2017 dürften Polizistinnen und Polizisten für den blossen Besitz geringfügiger Mengen keine Bussen mehr verteilen (nur für den beobachteten Konsum). Nun geht das oberste Gericht der Schweiz in einem Leitentscheid nochmals einen Schritt weiter.

Die Vermietung einer Eigentumswohnung auf der Plattform Airbnb ist nicht in allen Fällen zulässig, wie das Bundesgericht entschieden hat. (Archivfoto)
Das Bundesgericht in Lausanne bestätigt: Der bisherigen Praxis im Umgang mit geringfügigen Mengen Cannabis fehlt die Rechtsgrundlage. Bild: KEYSTONE

Denn bislang war es zumindest üblich, dass auch geringfügige Mengen bei einer Kontrolle zur Vernichtung eingezogen wurden. Nun schreibt das Lausanner Bundesgericht in einer Medienmitteilung: «Eine geringfügige und für den Eigenkonsum bestimmte Menge Cannabis darf nicht gerichtlich zur Vernichtung eingezogen werden.»

Das ist der Grund für den Entscheid

Der Entscheid geht auf einen Fall von 2019 zurück. Das Grenzwachkorps hatte am Bahnhof St. Margrethen auf einem Mann 2,7 Gramm Marihuana und 0,6 Gramm Haschisch gefunden und mit einer Busse belegt. Das Bundesgericht stellt sich nun gegen den Entscheid des Kreisgerichts Rheintal und des Kantonsgerichts in St. Gallen, die zuvor die Einziehung und Vernichtung der Drogen angeordnet beziehungsweise gutgeheissen hatten.

«Die Sicherungseinziehung von Gegenständen verlangt in jedem Fall einen unmittelbaren Bezug zu einer konkreten Straftat (Anlasstat)», schreibt das Bundesgericht weiter. Denn der Besitzer hat mit dem Besitz von einer geringfügigen Menge Cannabis nach Schweizer Rechtssprechung keine Straftat begangen.

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Wer beim Konsum von Cannabis erwischt wird, muss weiterhin eine Busse bezahlen und mit dem Einzug der Drogen rechnen.Bild: DPA dpa

In der Schweiz sind nur Anbau, Konsum und Verkauf der Droge strafbar – nicht aber der Besitz von kleinen Mengen. So müsste die Polizei für einen Einzug der festgestellten Drogen weitere Abklärungen zur Herkunft der Drogen treffen, was im Falle von geringfügigen Mengen aber nicht verhältnismässig wäre.

Hinter dem Urteil steht ein jahrelanger Kampf

Der Entscheid stellt den Schlusspunkt eines langen Kampfes dar. Till Eigenheer hatte ihn vor fast zehn Jahren bereits als Jus-Student aufgenommen und ein dahingehendes Urteil vor dem Bezirksgericht in Zürich erwirkt. «Ich vertrat bereits damals die Rechtsauffassung, dass der Einzug von geringfügigen Mengen unrechtmässig ist», sagt Eigenheer zu watson.

Diese Rechtsauffassung wurde aber vor der Bestätigung vor Bundesgericht immer wieder von niedrigen Instanzen zurückgewiesen. «Das Urteil wird nun grossflächige Wirkung haben», ist Eigenheer überzeugt. «Es wird schwieriger, Cannabis-Delikte zu verfolgen.»

Die Polizei ist unterwegs an der Seepromenade in der Neujahrsnacht in Zuerich, aufgenommen am Donnerstag, 31. Dezember 2020. (KEYSTONE/Alexandra Wey)
CBD und legaler Besitz: Der Polizei fällt es zunehmend schwierig, Cannabis-Delikte zu ahnden.Bild: keystone

Auch der Verein «Legalize it!» zeigt sich erfreut: Man habe bereits 2013 in einer Rechtshilfebroschüre geschrieben, dass der Besitz von geringfügigen Mengen Gras nicht bestraft und die Drogen somit auch nicht eingezogen werden können. «Es ist eine grosse Genugtuung, nach zehn Jahren darin vom Bundesgericht bestätigt zu werden!», schreibt Vereinsvorstandsmitglied Sven Schendekehl in einer Mitteilung.

Wie weiter mit dem Cannabis?

Für Eigenheer, der sein Jus-Studium mittlerweile beendet und sein eigenes Start-up recht-clever.ch gegründet hat, stellen sich nun weitere Fragen: «Das Bundesgericht stellt in seiner Urteilsbegründung eine geringe Menge Cannabis unter die Eigentumsgarantie.» Wem beispielsweise eine geringfügige Menge Cannabis geklaut wird, könnte diese bei der Polizei als gestohlen melden.

Weiter wird gemäss Bundesgericht auch die Einfuhr von geringfügigen Mengen als Vorbereitungshandlung definiert, die damit straffrei bleibt. Dies wird nicht nur die Polizei, sondern auch den Zoll vor ganz neue Tatsachen stellen.

Trotz all dieser Überlegungen handle es sich beim Urteil nicht um eine schleichende Legalisierung von Cannabis, hält Eigenheer fest. Im Gegenteil: «Das Gesetz wird nun endlich so interpretiert, wie es 2012 vom Parlament angedacht war.» So stand bereits damals im Kommissionsbericht: «Nicht eingezogen werden kann eine geringfügige Menge von Cannabis, die die Täterin oder der Täter nur bei sich trägt.»

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113 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Unicron
24.07.2023 12:12registriert November 2016
Können wir das Zeug nicht einfach endlich ganz legalisieren?
Jeder 15 jährige hat schon mal gekifft, und nur weil es grundlos verboten ist, müssen die sich mit zwielichtigen Drogendealern herumschlagen nur weil man es nicht normal kaufen kann.
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Darkside
24.07.2023 12:42registriert April 2014
In der Schweiz sind nur Anbau, Konsum und Verkauf der Droge strafbar – nicht aber der Besitz von kleinen Mengen.

Wie sinnlos kanns bitte noch werden... wozu sollte man das Zeug besitzen wenn nicht zum Konsum? Endlich legalisieren!
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John Henry Eden
24.07.2023 12:47registriert Januar 2014
Legalisieren - ohne Wenn und Aber.

Die Schweizer Justiz steht laut Tagi eh kurz vor dem Kollaps. Und einen Teil der so gesparten Kosten kann man in die Prävention investieren. Das bringt sowieso mehr.
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