Schweiz
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Möglicherweise tausende Adoptionen durch illegale Praktiken

Tausende Kinder wurden wohl durch illegale Praktiken adoptiert – Aufarbeitung gefordert

Zwischen 1970 und 1999 sind wahrscheinlich mehrere tausend Kinder aus dem Ausland durch Kinderhandel und andere illegale Praktiken zur Adoption in die Schweiz gelangt. Dies geht aus einer neuen Studie hervor.
08.12.2023, 17:0108.12.2023, 17:09
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Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) untersuchte im Auftrag des Bundesrates Unterlagen im Bundesarchiv zu Adoptionen aus Bangladesch, Brasilien, Chile, Guatemala, Indien, Kolumbien, Korea, Libanon, Peru und Rumänien. Dabei stiessen sie auf 8000 Einreisebewilligungen, die in den 70er- bis 90er-Jahren für Kinder aus diesen Herkunftsländern ausgestellt wurden.

epa04338516 A child crawls on a mat during a baby crawling contest in Hong Kong, China, 02 August 2014. The contest is part of the 22nd International Baby/Children Products Expo which runs until 04 Au ...
Tausende Kinder sind wohl durch illegale Praktiken in der Schweiz adoptiert worden.Bild: EPA/EPA

Die meisten dieser Kinder kamen aus Indien mit fast 2799 Einreisen, gefolgt von Kolumbien mit 2122, Brasilien mit 1222 und Korea mit 1065. Doch in allen zehn Herkunftsländern habe es Fälle von Kinderhandel gegeben oder Fälle, bei denen die Schweizer Einreisebehörden mit Kindern konfrontiert wurden, deren Herkunft nicht ausreichend dokumentiert war, sagte Studienleiterin Nadja Ramsauer von der ZHAW.

«Problem externalisiert»

Den Ablauf dieser illegalen Praktiken könne man sich als Zirkel- Bewegung vorstellen. Zum Beispiel seien in den 70er-Jahren die Botschaften in Brasilien mit dem Umstand konfrontiert worden, dass im Geburtsregister die angehenden Adoptiveltern bereits als Eltern eingetragen worden waren.

Wenn die Vertretungen dann beim Bundesamt für Ausländerfragen oder beim Bundesamt für Justiz in Bern Informationen eingefordert hätten, seien an die zuständigen Behörden in Brasilien verwiesen worden. Gleichzeitig habe man gewusst, dass es damals in Brasilien Kinderhandel gab, in den sogar ein Jugendrichter verwickelt war. Doch das Problem sei immer wieder «externalisiert» worden.

In den Akten könne man auch sehen, dass gewisse Eltern zur Verwirklichung ihres starken Kinderwunsches zum Teil sehr weit gegangen seien, «bis hin zu illegalen Praktiken». Vor allem Eltern, die ohne Vermittlungsstellen vor Ort nach einem Kind suchten, um lange Wartezeiten zu umgehen, seien in Gefahr gestanden, mit Kinderhandel in Berührung zu kommen.

Komplexe Verfahren

Dass die Schweizer Behörden trotz Hinweisen auf systemische Fehler nichts unternahmen, habe mit der Zersplitterung der Zuständigkeiten und den komplexen Verfahren zu tun, sagte Ramsauer. Ausserdem habe die Schweiz damals die Uno-Kinderrechtskonventionen und das Haager Kinderschutzübereinkommen noch nicht ratifiziert.

Die Professorin betonte, dass es sich bei ihrer Untersuchung der Akten im Bundesarchiv nicht um eine «gründliche historische Analyse» handle. Es sei lediglich um die Frage gegangen, was die Schweizerischen Vertretungen im Ausland oder die Bundesbehörden über Kinderhandel oder über illegale Adoptionen wussten.

Mit dieser Studie gebe es nun einen Überblick über das vorhandene Archivmaterial. Die Forschenden hätten aber keine Einzelfall-Akten angeschaut. Das gehöre aus ihrer Sicht zu den Forderungen für künftige Forschungsvorhaben. Denn Forschungsbedarf bestehe in allen Kantonen und Vermittlungsstellen, sagte Ramsauer.

Revision des Adoptionsrechts

Der Bundesrat nahm den ZHAW Bericht am Freitag zur Kenntnis. Er bedauerte, dass die Behörden ihre Verantwortung gegenüber diesen Kindern und ihren Familien nur unzureichend wahrnahmen. «Diese Versäumnisse der Behörden prägen das Leben der damals adoptierten Personen bis heute», hiess es in einer Mitteilung.

Die Kantone seien nun dafür verantwortlich, die Betroffenen bei der Herkunftssuche zu unterstützen. Für den Bundesrat sei klar, dass es solche Unregelmässigkeiten in Zukunft nicht mehr geben dürfe. Dazu brauche es eine Revision des internationalen Adoptionsrechts.

Eine vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe entwickelte zum Thema internationale Adoption zwei mögliche Szenarien: Beim Ersten müsste – zusätzlich zur Gesetzesreform – die Zusammenarbeit auf Länder beschränkt werden, welche die Mindestgarantien «nachweisbar» einhalten.

Die zweite Möglichkeit wäre der komplette Ausstieg aus internationalen Adoptionen. Gemäss dem Bericht wurden in den letzten Jahren noch etwa 50 Kinder pro Jahr aus dem Ausland adoptiert. Der Bundesrat beauftragte die Experten, ihm bis Ende 2024 «vertiefte Abklärungen» vorzulegen.

Reaktionen

Nach der Veröffentlichung der Studie haben verschiedene Organisationen den Bund aufgefordert, ein Moratorium der Auslandsadoptionen zu prüfen. Ausserdem müssten sämtliche internationale Adoptionen systematisch aufgearbeitet und die betroffenen Personen bei der Herkunftssuche unterstützt werden.

Die Adoptierten hätten das Recht, zu erfahren, ob ihre Adoption illegal war und ob die Behörden ihre Aufsichts- und Schutzpflicht vernachlässigt hätten, teilten vier Organisationen mit, die sich für die Rechte der Betroffenen einsetzen. Dazu gehören Espace A, der Internationale Sozialdienst SSI, Pflege- und Adoptivkinder Schweiz (Pach) und der Suchdienst Schweizerisches Rotes Kreuz.

Denn das Recht auf Kenntnis der eigenen Herkunft sei im Schweizer Recht anerkannt. Die Organisationen fordern unter anderem, dass die Herkunftssuche für alle betroffenen Personen kostenfrei bleibt und dass für deren Betreuung spezifisch geschulte und qualifizierte Personen eingesetzt werden. Weiter brauche es den Aufbau einer sicheren DNA-Datenbasis und die nötigen Rechtsgrundlagen dafür.

Der Bericht der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) habe deutlich gemacht, dass eine historische Aufarbeitung sämtlicher Auslandsadoptionen in der Schweiz von den 60er-Jahren bis heute nötig sei. Dazu sollen weitere wissenschaftliche Forschungsarbeiten durchgeführt werden, auch für andere Herkunftsländer. Und auch die aktuelle Adoptionspraxis in den Kantonen solle Teil der Untersuchung sein.

Trotz Verbesserungen gebe es bis heute Hinweise auf illegale Adoptionspraktiken. Die Organisationen rufen die Behörden deshalb dazu auf, ein Moratorium für Auslandsadoptionen zu prüfen. Zur Sensibilisierung der Bevölkerung brauche es ausserdem eine Informationskampagne.

Schliesslich wollen die Organisationen für die adoptierten Personen eine Plattform aufbauen, auf der die Betroffenen sich informieren und organisieren können. Dazu sei ein nationales Vernetzungstreffen im Lauf des kommenden Jahres geplant. (saw/sda)

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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Macca_the_Alpacca
08.12.2023 17:18registriert Oktober 2021
Manchmal verstehe ich die Welt schon kein bisschen mehr. Bin wohl ein Ausserirdischer. Wenn ich meinen Abfall nicht genau in dem Zeit Fenster, dass die Stadt definiert hat, raus stelle --> Busse und falls die Busse nicht bezahlt wird --> Knast. So geschehen in der Stadt in der ich wohne (nicht mir).

Andere setzten Milliarden in den Sand (Benko), fingerlen seit Jahrzehnten an Kindern rum (katholische Kirche), prügeln Schulkinder (Läderach) oder handeln mit Menschen (Adoption) und was passiert denen? Gar NICHTS!

Unsere Gesellschaft muss sehr dringend mal über die Bücher.
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Lowend
08.12.2023 17:17registriert Februar 2014
Ich habe eine gute Kollegin, die als Kind adoptiert wurde und immer dachte, sie komme aus Indien, bis sie Nachforschungen anstellte und dabei herauskam, dass ihre Unterlagen gefälscht waren und die angegebene Mutter nicht aufzufinden war. Sie weiss seither nicht mehr woher sie stammt, wer ihre leiblichen Eltern sind und wo ihre Wurzeln liegen.

Zum Glück ist sie eine starke Frau, die mit einer gehörigen Portion schwarzem Humor und dem Rückhalt ihrer Adoptivfamilie damit irgendwie umgehen kann, aber ich befürchte, andere Menschen können an einem solchen Schicksal zerbrechen.
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