Weisse, wie mit Puderzucker bestäubte Gipfel gehören zum Bild der Schweiz. Zumindest zu jenem klischierten Bild, mit der Touristiker in der ganzen Welt für das Land werben. Doch eine Farbe dominiert in der Realität immer stärker: grün. Das zeigen hochaufgelöste Satellitendaten aus den vergangenen 38 Jahren.
Die Ökologin Sabine Rumpf von der Universität Basel hat diese mit einem Team unter anderem von der Universität Lausanne ausgewertet. Das Resultat: In diesem Zeitraum sind Pflanzen in neue, deutliche höher gelegene Gebiete vorgedrungen und haben dort Wurzeln geschlagen. Und dies in einem beachtlichen Ausmass. Insgesamt hat das Pflanzenwachstum auf 77 Prozent der Fläche oberhalb der Baumgrenze zugenommen, schreiben das Forschungsteam im Fachmagazin «Science».
Das Ergrünen der Alpen sei enorm, sagt Sabine Rumpf. Die Ursache? Der Klimawandel. Dieser trifft die Bergregionen besonders empfindlich. Sie erwärmen sich rund doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt. Die schmelzenden Gletscher sind die bekanntesten Symbole dieser Entwicklung. Mit der Ergrünung verändert der Klimawandel nun zusätzlich das Gewand der Alpen.
Das wirkt sich auf die Artenzusammensetzung im alpinen Raum aus. Kurzfristig nehme die Biodiversität stellenweise zwar zu, sagt Rumpf. «Aber auf längere Sicht betrachtet, werden bisherige Arten der höheren Lagen verdrängt, die hochspezialisiert auf ihre Umgebung sind.» Die Vielfalt der Vegetation im alpinen Raum droht also abzunehmen.
Zwar geben die Satellitendaten keine Auskunft über die einzelnen Arten, die sich in höhere Gefilde ausbreiten. Rumpf hat sich jedoch in früheren Studien mit den Veränderungen der Pflanzenwelt in den Alpen beschäftigt und festgestellt: «Im Grossen und Ganzen sind es Arten aus tieferen Lagen, die sich nun auch in höhere Gebiete ausbreiten. Aufgrund der Klimaerwärmung wachsen sie zudem dichter und höherwüchsiger.» Die Heidelbeere sei beispielsweise eine Pflanze, die von der klimatologischen Veränderung profitiere.
Diese zeigt sich nicht nur durch längere Vegetationsperioden, da der Schnee früher schmilzt und die Pflanzen entsprechend mehr Zeit haben, sich fortzupflanzen und zu wachsen. Auch die Niederschläge verändern sich – aussergewöhnliche Ereignisse wie Dürre oder extremer Regen nehmen zu.
Abseits des Klimawandels beeinflussen zudem Stickstoffdepositionen die Artenvielfalt im alpinen Raum, sagt Rumpf. Stickstoff wird etwa durch den Verkehr, die Industrie oder die Landwirtschaft freigesetzt und gelangt teilweise durch den Regen zurück auf die Erdoberfläche. Auf die Vegetation wirkt er als Dünger. Allerdings können nicht alle Arten diese Nährstoffe gleich gut nutzen. «Alpine Arten sind auf harsche Umweltbedingungen spezialisiert und nicht auf die Nährstoffaufnahme», sagt die Ökologin. Entsprechend werden sie von anderen Arten verdrängt, die aufgrund der Stickstoffdepositionen regelrecht zu wuchern beginnen.
Erstmals wurde das Phänomen des Ergrünens, also einem massiven Anstieg der Biomasse, in der Arktis festgestellt. Jene Region, die sich weltweit am schnellsten aufheizt. Dort wird aufgrund der Klimaerwärmung seit den frühen 1980er-Jahren die Vegetation dichter und die Pflanzen grösser. In Zentralasien drängt die Vegetation ebenfalls in höhere Gebiete vor. Rumpf weist jedoch auf das hin, was danach passiert:
Ähnlich wie bei einer Topfpflanze, deren Besitzer oder Besitzerin das Giessen vergisst, sterben die Pflanzen aufgrund von zu wenig Wasser ab. Oder weil es ist ihnen schlicht zu heiss geworden ist. «In den Alpen zeigt sich dieses Phänomen punktuell auch schon. Allerdings nur auf äusserst kleinen Flächen», sagt Rumpf. Von einem Trend könne daher momentan nicht gesprochen werden. «Was aber nicht heisst, dass das Erbraunen nicht auch im alpinen Raum zunehmen könnte», sagt die Ökologin.
Nicht nur deshalb weist die Ergrünung auf einen problematischen Wandel hin. Neben der Zunahme der Vegetation hat das Forscherteam auch die Veränderung der Schneeoberfläche untersucht. Ihre Ergebnisse zeigen, dass das Ausmass der Schneefläche in den Alpen deutlich zurückgegangen ist, wenn auch auf weniger als zehn Prozent der untersuchten Fläche.
Über die Dicke der Schneedecke lassen sich anhand der Satellitenbilder keine Aussagen treffen. Sie ist für die Gesamtmasse des Schnees aber ebenfalls relevant. Und diese ist bedeutend: Das Schmelzwasser von Gletschern und Schnee liefert fast die Hälfte der weltweiten Süsswasserressourcen. Für die europäischen Alpen ist in den nächsten zehn bis dreissig Jahren ein Rückgang der Schneemassen um bis zu 25 Prozent prognostiziert.
Sabine Rumpf geht davon aus, dass die Ergrünung zusätzlich einen negativen Effekt auf die Schneedecke haben wird: «Eine grünere Bergwelt reflektiert weniger Sonnenlicht und führt somit zu einer weiteren Klimaerwärmung – und daher zum weiteren Schwinden reflektierender Schneeflächen.» Ein Teufelskreis, bei dem Permafrost taut und Bergrutsche auslösen kann. Es sind Bilder, die nicht zu jenen der Klischeeschweiz passen. (aargauerzeitung.ch)
Es wäre sicher eindrücklich gewesen, selber zu sehen, wie sich das Gebirge, wie im Artikel beschrieben, verändert hat.