Oh! Was ist denn das! Schlagerfee Francine Jordi lauert ganz zufällig im Wald einer Frau auf, die hart vom Schicksal getroffen wurde, und besingt sie. Die Frau weint – aus Angst? Nein, aus Überwältigung natürlich! Willkommen in der SRF-Samstagabendshow «Ich schänke dir es Lied».
Eine andere Frau, die auf dem Land lebt und alles ausser dem Land ablehnt, insbesondere Schminke, kocht. Aber wieso zieht sie zum Servieren eine grässlich unbequeme Tracht an? Ah ja, weil Land. Die «Landfrauenküche» tanzt wie immer den Folklore-Retro-Techno.
Menschen essen Fleisch mit einer Kartoffelbeilage. Fünf Abende hintereinander. Sie nennen es «Mini Beiz, dini Beiz». Sie beklagen sich ständig darüber, dass die Beizen zu wenig gemütlich seien. Zu hohe Decken, zu modern, und vor allem viel zu wenig Holz. Hallo, Holz! (Wenn Städter drin vorkommen, sind sie immer doof. Hallo, Casting!) Am vierten Abend, im «Donschtig-Jass», fällt Matthias Hüppi von seinen Wasserskiern in den Walensee. Lustig!
Irgendwo singt immer Melanie Oesch. Oder ein junger Mensch namens Kunz, von dem ich ausserhalb des Fernsehens noch nie gehört hab. Aber SRF sagt, er sei ein Star. Nik Hartmann sitzt nachdenklich mit Menschen vom Land auf Steinen, weil man das halt gerne macht als Wandersmann. Oder er steht auf einem Gipfel und weist in die Weite. Wo garantiert gerade eine weitere Jass-Sendung aufgezeichnet wird, unter Roman Kilchsperger oder Monika Fasnacht oder so.
Das tägliche Info-Mail von SRF kündigt an, dass am Samstag «Potzmusig Stammtisch» unsere Trübsal mit lüpfigen Melodien verblassen lassen wird. Und dann steht auch schon wieder «Focus Blind Date» ins Haus! Awesome! Anna Rossinelli wird ganz unerwartet auf Alt-Kugelstosser Werner Günthor stossen.
Hat Anna Rossinelli nicht eben noch mit diesem Kunz gesungen? In «Ich schänke dir es Lied»? Und ist er nicht eben noch neben Melanie Oesch in der voll tollen Sendung «Landfrauenküche: Die Nacht der Siegerinnen – 10 Siegerinnen aus 10 Jahren» aufgetreten? Ja! Und wer singt eigentlich in «Happy Day»? Ah ja! Auch schon mal der Kunz! Der seine Single «Lüüt so wie mer» auch in einer «Happy Day Version» veröffentlicht hat! So geil!
Im «Club» diskutieren eine Frau und sechs Männer über Humor. Die Hauptattraktionen: Emil und Peach Weber. Der Dokfilm am Sonntag wird sich einem 64-jährigen Pianisten widmen. Bam! Und weil das alles noch nicht alt genug ist, gibt's ab 21. Juli mal wieder so ein richtig fetziges History-Reenactment und Sabine Dahinden reist in «Dahinden vor 500 Jahren» dahin, wo die Pilger und Ritter lebten.
Damit wir uns recht verstehen, SRF: Im Einzelnen ist das alles nicht schlimm! Nik Hartmann ist sowas von einem feinen Kerl, Francine Jordi ein Schatz und Emil ein Nationalheiligtum. Und ja, die Schweiz ist wunderwunderschön, man kann gar nicht genug kriegen von ihren Bergen, Kühen und Küchen. ABER DOCH NICHT IMMERZU!!! DANK EUCH KENN ICH JEDEN FUCKING GERANIENKÜBEL IN DIESEM LAND! SRF, QUO VADIS???
Jetzt könnt ihr natürlich sagen: Dann schau doch einfach was Anderes, Fernsehen ist schliesslich zum Wegzappen da! Hab ich ja versucht! Mit der Sendung «12 Schauspielschüler», der zweiten Staffel von «13 Schauspielschüler», und ich muss sagen: Wow, das ist jetzt zwar anders, aber genauso klischiert wie die ganze volkstümliche Sause. Okay, ich hab nur 20 Minuten ausgehalten.
Da wird nämlich alles reproduziert, worüber sich der Volksmusik-Jass-Stammtisch lustig macht: Die Protagonisten (aus Zürich! Wäääk, dieses Zürich!) sind elitär verkrampfte, abgehoben arrogante Egozentriker und lauter Drama Kings und Queens. Was sie ja auch sein müssen. Bloss: Ihr hättet vielleicht anders drangehen können? Nicht so Arte im Kunsthandwerk-Overdrive? So, dass die Schauspielschüler am Ende genau so nahbar und nett erscheinen wie die Landfrauen? Das könnt ihr doch so gut! Die Menschen menscheln zu lassen!
Apropos: Hab ich schon «Fiirabig» erwähnt? Brandneu! So herzig! Wir lernen Thun durch die Augen einer 88-jährigen Sackmesser-Verkäuferin kennen! Woooow! Und in «Verkehrte Welt» wird ein Bauer aus dem Emmental nach Südafrika geschickt. Was ihm als Erstes auffällt? Es hat «e chli vil Dunkli».
Wahrscheinlich bin ich der einzige Mensch, der ausserhalb von Altersheimen Schweizer Fernsehen schaut. Ich kann halt nicht anders. Der Slogan «Mini Schwiiz, mis Färnseh» hat sich unwiderbringlich in meine Feierabend-DNA eingefräst. Wenn ich einer Institution in Liebe verfallen bin, dann dir, SRF. Weil ich mit dir gross geworden bin? Weil mein Geld in dir steckt? Aber wie es halt so ist: Hass ist nur eine Form enttäuschter Liebe. Und im Moment hass ich dich. Recht fest.