Sehr geehrter Herr Ständerat Hannes Germann
Seit bald 20 Jahren vertreten Sie den Kanton Schaffhausen in der kleinen Kammer des Bundesparlaments und sind damit der amtsälteste Ständerat. Sie haben an hunderten von Gesetzen mitgewirkt und sich ein riesiges Netzwerk aufgebaut. Das brachte Ihnen eine grosse Verantwortung – so leiten Sie etwa den Schweizer Gemeindeverband, ein Stromunternehmen und eine Bank mit. Auch aber brachte Ihnen Ihre langjährige Politikerkarriere viel Geld ein: Sie können sich mit mehr als sieben Nebenjobs und Mandaten Ihr Portemonnaie aufbessern.
Wenn man es gut mit Ihnen meint, kassierten Sie allein für die Ständeratssitzung am Dienstag 895.65 Franken. Wahrscheinlich ist es mehr, aber die genauen Zahlen sind unbekannt: Sie schweigen zu Ihren Einkünften, die Sie durch Ihr öffentliches Amt bekommen.
Am Dienstag wäre es wichtig gewesen, zu reden und die Argumente zu präsentieren. Im Ständerat stand die Revision des veralteten Sexualstrafrechts auf der Traktandenliste. Es war eine wichtige Debatte, da gewisse Konzepte nicht mehr der Zeit entsprechen: So können aus der Sicht des Strafrechts Männer gar keine Opfer einer Vergewaltigung sein. Frauen, die Opfer werden, können sich wegen starren Vorstellungen der Beweisführung oft nicht wehren. Das muss Sie interessieren: Auch in Schaffhausen kommt es zu solchen Delikten, die durch Gerichte nicht opfergerecht beurteilt werden können.
Über das Thema muss Mann und Frau sprechen. Als erfahrener Ständerat wissen Sie, dass solche Debatten viel Sitzleder abverlangen und stundenlange Kompromissfindungen in Anspruch nehmen. Das gehört zur Schweizer Demokratie. Genau so wie die Entscheidung eines Ständerates wie Sie, sich während der gesamten Strafrechtsdebatte nicht ein einziges Mal zu Wort zu melden. Immerhin drückten Sie dann, als es wichtig war, auf den Abstimmungsknopf. Sie verhalfen damit der «Nein heisst Nein»-Lösung zum Sieg.
Sie werden Ihre Argumente dafür gehabt haben, diese behielten Sie am Dienstag jedoch für sich. Stattdessen setzten Sie einen Tweet ab, in dem Sie «ehrlich» zugeben, dass Sie lieber ein Handballspiel live miterlebt hätten, anstatt «schier endlos über das Sexualstrafrecht zu debattieren».
Im Wahlkampf gaben Sie ein Versprechen ab. Sie versprachen, «zuverlässig und berechenbar» zu sein. Am Dienstag war einzig eines zuverlässig und berechenbar: dass Ihre Lieblings-Handballmannschaft gewinnt. Seit Sie im Ständerat sitzen, gewannen die Kadetten zwölf Mal die Schweizer Meisterschaft. Diese hätten auch ohne Ihr Mitfiebern gute Chancen gehabt, den Pokal zu gewinnen.
Ihr Wahlversprechen wäre woanders gefragt gewesen: Frauen, Männer und Menschen anderen Geschlechts warteten am Dienstag darauf, dass ihre Sorgen und Forderungen mit der geforderten Ernsthaftigkeit diskutiert werden. Also eigentlich das, was Sie seit bald 20 Jahren immer schwören: dass Sie die Pflichten Ihres Amtes gewissenhaft erfüllen. Ihr Handball-Tweet ist – mit Verlaub – eines Staatsmannes unwürdig.