Also doch! Alain Berset, das an Lebensjahren jüngste und Amtsjahren älteste Mitglied des Bundesrats, wird auf Ende Jahr abtreten. Der Rücktritt – ob man ihn so nennen will oder nicht – kommt nicht überraschend. Er hat sich im Gegenteil abgezeichnet, auch wenn Berset in den letzten Monaten (vermeintlich) gegenteilige Aussagen gemacht hat.
In Wirklichkeit hat der 51-jährige Freiburger nie explizit gesagt, er wolle im Bundesrat bleiben. Es wäre auch ein Novum, wenn ein Mitglied der Landesregierung seinen Abgang in einem Interview erklären würde. Überraschend ist höchstens, dass die Ankündigung mit einem halben Jahr Vorlauf erfolgte. Man kann dies als Gefallen an seine Partei interpretieren.
Durch den frühen Zeitpunkt wird die SP zusätzliche Publizität im Wahlkampf erhalten. Ein ähnliches Szenario gab es 1995, als Otto Stich zurücktrat und Moritz Leuenberger zum Nachfolger gewählt wurde. Die SP legte danach bei den Wahlen zu. Gelingt das erneut, wird ein allfälliger Angriff von Grünen oder Grünliberalen wohl ins Leere laufen.
Alain Berset selbst wirkte vor den Medien auffällig entspannt. Es sei «der richtige Zeitpunkt» für einen Neuanfang. Abgezeichnet hatte er sich schon im letzten Dezember. Obwohl er als Gesundheitsminister während der Coronakrise bis ans Limit gefordert war, verwehrte ihm die SVP/FDP-Mehrheit im Bundesrat den erhofften Departementswechsel.
Berset wurde zum Verbleib im undankbaren Innendepartement «verdonnert», und als zusätzliche «Ohrfeige» erzielte er bei der Wahl zum Bundespräsidenten mit 140 Stimmen ein miserables Ergebnis. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss sich der Freiburger gefragt haben, wie lange er sich das noch antun will. Denn zu gewinnen gab es für ihn nichts mehr.
Die Bilanz seiner zwölf Jahre als Departementschef ist überschaubar, was er indirekt einräumte. Kritik daran ist durchaus angebracht. Man kann sich fragen, ob Berset mehr hätte erreichen können. Doch letztlich scheiterte er am bekannten Übel: Bei der Altersvorsorge und in der Gesundheitspolitik herrscht eine notorische Reformblockade.
Grosse Würfe sind fast unmöglich. Das zeigte sich bei seiner wohl bittersten Niederlage, der Ablehnung der Altersvorsorge 2020 im September 2017. Es war der (zu) ambitionierte Versuch, die erste und die zweite Säule gemeinsam zu reformieren. Noch schwieriger ist die Lage im Gesundheitswesen, in dem mächtige Player ihre Pfründe verteidigen.
Man kann nachvollziehen, dass Berset keine Lust hatte, sich länger damit herumzuschlagen, zumal nächstes Jahr mehrere Vorlagen aus dem Innendepartement vors Stimmvolk kommen dürften. Auch deshalb hat er einen guten Zeitpunkt für den Abgang gewählt. Ebenfalls eine Rolle spielten wohl die diversen Affären, die ihn zunehmend belastet haben.
Zuletzt waren es die Corona-Leaks, die mutmassliche Weitergabe von Bundesrats-Interna während der Pandemie durch seinen ehemaligen Kommunikationschef an den Ringier-Verlag. Alain Berset behauptet, er habe nichts gewusst. Eine Untersuchung durch das Parlament läuft, aber es dürfte schwierig sein, ihm das Gegenteil zu beweisen.
Der Verlust seines langjährigen Kommunikationschefs Peter Lauener dürfte ihn dennoch geschmerzt haben, denn er war einer seiner engsten Vertrauten. Und einer der cleversten Spin Doctors in Bundesbern. Alles in allem haben sich die Motive für seinen Abgang in letzter Zeit dermassen summiert, dass er ihm sichtlich leichtgefallen ist.
Alain Berset ist ein für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich intelligenter und charismatischer Politiker. Er musste mit der Coronapandemie die grösste Krise in der Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg bewältigen. Er tat dies nicht makellos, doch die Mehrheit der Bevölkerung stand hinter ihm, wie sich am Sonntag beim dritten Ja zum Covid-Gesetz erneut gezeigt hat.
Letztlich ist sein Rücktritt eine Erlösung für alle: den Bundesrat, das Departement, die SP und Alain Berset selbst. Als Bundespräsident hat er in den letzten Monaten Auftritte auf der internationalen Bühne regelrecht gesucht. Vielleicht wartet dort ein neuer Job auf ihn.