Bleibt er oder geht er? Bundespräsident Alain Berset hat mehrfach durchblicken lassen, dass er im Dezember zur Wiederwahl antreten will. Etwa letzte Woche am Swiss Economic Forum in Interlaken, auf eine allerdings sehr suggestive Frage von SRF-Moderator Reto Lipp. Er habe sehr grosse Dossiers und die wolle er «zu Ende» bringen, sagte Berset.
Der 51-jährige Freiburger ist das an Lebensjahren jüngste und gleichzeitig amtsälteste Mitglied des Bundesrats. In letzter Zeit war wiederholt über einen Rücktritt spekuliert worden, vor allem in Zusammenhang mit der Coronaleaks-Affäre. Bei dieser steht der ehemalige Sonderermittler inzwischen jedoch stärker im Zwielicht als der SP-Bundesrat.
Die Pandemie hatte den Gesundheitsminister ans Limit gebracht. Nun scheint er wieder Energie zu besitzen. Falls er tatsächlich bleiben will und wiedergewählt wird, wartet nämlich ein sehr hartes erstes Halbjahr 2024 auf ihn. Denn das mit den grossen Dossiers stimmt. Im äussersten Fall muss er fünf Abstimmungsvorlagen aus dem Innendepartement vertreten.
Am Dienstag schickte der Nationalrat die Renteninitiative der Jungfreisinnigen bachab. Zuvor hatte er sich in der Sommersession noch ganz knapp für einen Gegenvorschlag ausgesprochen, doch die zuständige Kommission konnte sich nicht einigen. Das lag vor allem am Zickzackkurs der SVP, die sich mit der Altersvorsorge traditionell schwertut.
Damit wird die Initiative, die ein Rentenalter 66 und danach eine schrittweise Anpassung an die Lebenserwartung fordert, ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung kommen, vermutlich am 3. März 2024. Gleichzeitig sind zwei weitere Vorlagen abstimmungsreif: die Volksinitiative des Gewerkschaftsbunds für eine 13. AHV-Rente und die BVG-Reform.
Gegen diese haben Linke und Gewerkschaften das Referendum ergriffen. Die nötigen 50’000 Unterschriften wurden gemäss «Blick» klar übertroffen. Weil in der zweiten Hälfte eines Wahljahres im Normalfall keine Sachvorlagen zur Abstimmung kommen, könnte es am 3. März 2024 somit zu einem «Super Sunday» mit drei Renten-Vorlagen kommen.
Es ist eine pikante Konstellation, mit einer linken und einer rechten Volksinitiative und einer umstrittenen Pensionskassenreform. Ein dreifaches Nein wäre keine Überraschung, wenn man bedenkt, wie knapp die AHV 21 mit dem Frauenrentenalter 65 angenommen wurde. Gleichzeitig waren linke Bestrebungen, die AHV auszubauen, wiederholt chancenlos.
Alain Berset wäre gefordert, doch damit nicht genug. Auf der zweiten notorischen Reform-Baustelle seines Departements, der Gesundheitspolitik, wird derzeit im Parlament um zwei Volksinitiativen gerungen: die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei und das Begehren der SP, das eine deutliche Entlastung bei den Krankenkassenprämien fordert.
In beiden Fällen ist ein Gegenvorschlag in Arbeit. Jenem zur Mitte-Initiative wurde der schärfste Zahn in Form von verbindlichen Kosten- und Qualitätszielen bereits gezogen. Auf einen Gegenvorschlag zur Prämien-Initiative der SP trat der Ständerat erst im zweiten Anlauf ein, weil er einsah, dass sie sonst eine grosse Erfolgschance haben würde.
Gerungen wird noch um das Ausmass der Prämienverbilligungen, das die Kantone zusätzlich übernehmen müssten. Setzt sich die «knausrige» Variante des Ständerats – 356 Millionen Franken – durch, dürfte die SP an ihrer Volksinitiative festhalten. Je nach Verlauf der Debatte sind beide Vorlagen nach der Herbstsession bereit für die Volksabstimmung.
Das bedeutet: Im Extremfall muss Alain Berset im nächsten März fünf Abstimmungsvorlagen vertreten. Das wäre auch für den Corona-gestählten Bundesrat ein happiges Programm. So weit wird es kaum kommen. Eine Faustregel besagt, dass ein Bundesrat jeweils nur eine Vorlage an einem Abstimmungssonntag vertreten soll. Das lässt sich sicher nicht einhalten.
Als «Ausweg» drängt sich wie erwähnt auf, die drei Vorlagen zur Altersvorsorge im März und die beiden gesundheitspolitischen Vorlagen am 9. Juni 2024 zu bringen. Wobei dies vom Ausgang der Beratungen im Parlament abhängig ist. Werden zwei «akzeptable» Gegenvorschläge erarbeitet, dürften die Volksinitiativen zurückgezogen werden.
Auf jeden Fall wartet ein hartes erstes Halbjahr auf Bundesrat Berset. Sofern er tatsächlich weitermachen will. Im letzten Dezember verweigerte ihm die bürgerliche Mehrheit den Wechsel ins Finanz- oder ins Aussendepartement. Und eine neue Chance wird er so schnell kaum erhalten. Ein Rücktritt im Herbst ist deshalb nicht ausgeschlossen.
Die andere SP Bundesrätin, EBS, ist eher wirkungslos. Ihre 100-Tage-Bilanz war ja nun wirklich erschütternd: Sie habe genderneutrale WCs im Bundeshaus eingeführt. Naja.