Der Nationalrat hat am späten Montagabend ein Zeichen gesetzt. Mit 109 zu 83 stimmte er einem Ordnungsantrag von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi zu, der die Räumung des Protestcamps auf dem Bundesplatz verlangt. Klimaaktivisten hatten ihn am frühen Morgen handstreichartig besetzt und damit so ziemlich alle überrumpelt.
Während linke und grüne Politiker Verständnis für die Aktion äusserten, reagierten die Bürgerlichen verärgert bis hysterisch. Damit entlarvten sie nur ihr schlechtes Gewissen. Sie sind sich mit Ausnahme der hartgesottenen Klimaleugner durchaus bewusst, dass sie die zunehmend prekäre Klimakrise mitverschuldet haben, die uns existentiell bedroht.
Denn eines muss man den Klimastreikenden und ihren Mitstreitern lassen: Sie generieren viel Aufmerksamkeit und weisen zurecht darauf hin, dass die Schweiz noch immer viel zu wenig gegen die Klimakrise unternimmt. Aber heiligt der Zweck die Mittel?
Nein. Das Ziel der Besetzung ist richtig, der eingeschlagene Weg aber führt ins Abseits.
So haben die Aktivisten am Dienstag ausgerechnet die Marktfahrer verärgert, die genau jene regionalen Produkte anbieten, die wir für einen nachhaltigeren Lebensstil konsumieren müssen. Und sie behindern die Durchfahrt der Busse von Bernmobil und damit den öffentlichen Verkehr, ein wichtiges Element zur Lösung der Klimakrise.
Ausserdem werfen die Klimaaktivisten den Linken und Grünen vor, nach dem Wahlerfolg im letzten Herbst «nichts geliefert» zu haben. Dies offenbart eine bedenkliche Einstellung gegenüber demokratischen Mechanismen. Rot-Grün ist im Parlament nach wie vor in der Minderheit und muss für eine wirksame Klimapolitik Kompromisse eingehen.
Deshalb werden die Grünen am Freitag dem CO2-Gesetz zustimmen, obwohl sie es selbst als ungenügend betrachten. Die Klima-Allianz Schweiz, ein Zusammenschluss von über 90 Umweltorganisationen und weiteren NGOs, hat sich bereits in der ersten Woche der Herbstsession für eine rasche Umsetzung des Gesetzes ausgesprochen.
«Dieses Gesetz ist zwar noch nicht der ausreichende Schritt zur Eindämmung der Erderhitzung, aber sicher der schnellste und mehrheitsfähigste», hielt Christian Lüthi, Geschäftsleiter der Klima-Allianz, in der Mitteilung fest. So funktioniert eben die Demokratie. Sie ist nicht die Kunst des Wünschbaren, sondern des Machbaren.
Den Klimaaktivsten passt dies nicht, was nachvollziehbar ist. Schwer verdaulich aber sind die zunehmend militanten bis demokratiefeindlichen Parolen. Das betrifft besonders die Klimastreik-Bewegung, in der die radikale Fraktion die Oberhand zu gewinnen scheint. Eine anonyme Gruppe von «besorgten Klimastreikern» hat dies in einem Brief kritisiert.
Ein Teil des Klimastreiks scheint sogar mit einem Referendum gegen das CO2-Gesetz zu flirten. Es wäre eine Dummheit ohnegleichen. Er würde zum «nützlichen Idioten» der SVP, die das Gesetz prinzipiell bekämpft, obwohl immer mehr SVP-Bauern nach dem dritten zu trockenen Sommer in Folge verärgert sind über die destruktive Klimapolitik ihrer Partei.
Ein wirksamer Klimaschutz lässt sich nicht mit «sozial-ökologischen» Fantasien herbeiführen, sondern nur mit einem breiten Konsens in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Dafür braucht es langwierige und mühsame Überzeugungsarbeit. Schrille Aktionen wie die Besetzung des Bundesplatzes wirken nur kontraproduktiv.
Wenn die Klimabewegung konkret etwas bewirken will, soll sie die Gletscher-Initiative unterstützen, die bis weit ins bürgerliche Lager auf Sympathie stösst. Sogar der neue SVP-Präsident Marco Chiesa befürwortete sie, bevor er in sein Amt gewählt wurde. Und sie soll dafür lobbyieren, Investitionen in klimaschädliche Aktivitäten zu unterbinden.
Das gelingt weniger mit plumpen Provokationen als mit konkreten Beispielen. Dazu gehört etwa die Brandkatastrophe an der US-Westküste, über die selbst besonnene Stimmen sagen, man könne dort unsere Zukunft schon heute erleben. Oder der Mittelmeer-Orkan «Ianos», der am Wochenende Teile Griechenlands in zuvor nie gekannter Art verwüstet hat.
Auf lange Sicht wird dies viel mehr bewirken als unreflektierte Aktionen und unrealistische Forderungen. Das gilt auch und gerade für die Schweiz mit ihrer demokratischen Tradition.
Sapere Aude
Geo1
DichterLenz