Es war ein Debakel der Extraklasse: Im Dezember 2018 versenkte eine «unheilige Allianz» aus SVP und Rotgrün im Nationalrat die Totalrevision des CO2-Gesetzes. Die Prügel aber kassierten nicht die beiden Pole, sondern die FDP, und das zu Recht. Sie hatte das Gesetz zuvor in der Detailberatung im Gleichschritt mit der SVP kräftig verwässert.
Die Empörung der Freisinnigen über das Scheitern war scheinheilig, denn die SVP hatte nie im Sinn, dem Gesetz zuzustimmen. Entsprechend heftig war der Shitstorm, der auf die FDP niederging. Und ebenso abrupt war der Sinneswandel. Auf einmal sprach sich Parteipräsidentin Petra Gössi für ein griffiges Gesetz aus, inklusive Flugticketabgabe.
Nicht wenige witterten ein taktisches Manöver mit Blick auf die Wahlen im folgenden Herbst. Denn die Klimastreikbewegung hat auch in der Schweiz Spuren hinterlassen. Schon früh zeichnete sich bei den Wahlen eine «grüne Welle» ab, die tatsächlich eintraf. Seither wurde das CO2-Gesetz im Ständerat und diese Woche erneut im Nationalrat behandelt.
Man darf erfreut feststellen: Die FDP bleibt auf Kurs. Sie hat mit Ausnahme einiger Abweichler in beiden Räten dazu beigetragen, dass das Gesetz von einer klaren Mehrheit angenommen wurde. Noch gibt es in einzelnen Punkten Differenzen, aber die sind zu wenig gewichtig, um die Vorlage auf der Zielgeraden erneut zum Absturz zu bringen.
Als eigentliche Siegerin kann sich die Mitte-Fraktion aus CVP, EVP und BDP betrachten. Sie hat ihre bei den Wahlen gestärkte Rolle als Mehrheitsbeschafferin unter Beweis gestellt und die meisten Anträge auf Verschärfung von links oder Abschwächung von rechts abgeblockt. Ohne die Mitte gibt es in der Schweiz definitiv keine griffige Umweltpolitik.
Das Gemaule von rechts und links ist deswegen nicht verstummt. Die SVP wird das Referendum ergreifen. Und der Klimastreik Schweiz verschickte am Mittwoch eine Stellungnahme, als die Debatte im Nationalrat noch in vollem Gang war. Darin bezeichnet eine Aktivistin das Gesetz als «absolut katastrophal». Ganz falsch liegt sie nicht.
Schottland: -66% Inlandreduktion. EU: -50% bis 55%. Was macht die "innovative" Schweiz? Sie beschliesst im NR ein mikriges -37.5% Verminderungsziel im #CO2Gesetz. Dies muss nachbessert werden! @ChVuille @fabian_fellmann @PetBlun @P_Imboden @ErwinSchmid @klauseram @elia_bluelle pic.twitter.com/lhowrSmVuV
— WWF Schweiz (@WWF_Schweiz) June 9, 2020
Die Corona-Pandemie wird vorübergehen, die Klimakrise aber bleibt und wird sich weiter verschärfen. Die Schweiz mit ihrem überhaupt nicht nachhaltigen Ressourcenverbrauch ist in der Pflicht, auch im Inland eine umfassende Reduktion der CO2-Emissionen anzustreben. Das Gesetz sieht bis 2030 eine Abnahme von 37,5 Prozent gegenüber 1990 vor.
Das sei mickrig, klagt der WWF auf Twitter und verweist auf Länder und Regionen mit deutlich ambitionierteren Zielen. Sie haben allerdings einen Vorteil: Sie müssen sich nicht mit einem «störrischen» Stimmvolk herumschlagen. Dieses hat sich in der Vergangenheit nicht immer offen für ökologische Anliegen gezeigt, wenn das Portemonnaie ins Spiel kam.
Die vom Nationalrat beschlossene Benzinpreiserhöhung um bis zu 12 Rappen wird manchen Autofahrern sauer aufstossen. Dies dürfte nicht zuletzt auf die Randregionen zutreffen, die sich häufig benachteiligt fühlen und auf Motorfahrzeuge angewiesen sind. Weshalb schon Vergleiche mit den «Gilets Jaunes» in Frankreich gezogen wurden.
Und unter den jungen Menschen gibt es nicht nur Klimastreiker, sondern auch Hedonisten, die gerne für ein Party-Weekend nach Berlin jetten. Oder zum Shoppen nach London. Umfragen zeigen, dass die Bereitschaft zum Verzicht gerade bei der jüngeren Generation nicht sehr ausgeprägt ist. Das mindert die Begeisterung über die Flugticketabgabe.
Umgekehrt findet das CO2-Gesetz bei der Landwirtschaft viel Zuspruch. Sie bekommt die Folgen des Klimawandels mit immer heisseren und trockeneren Sommern direkt zu spüren. An der bäuerlichen Basis wächst der Unmut über die Ignoranz der SVP. Im Kanton Zug ist ein Lokalpolitiker aus Protest gegen die Klimapolitik aus der Partei ausgetreten.
Die Chancen in einer Volksabstimmung sind deshalb intakt. Falls die Differenzen zwischen den Räten schon im Herbst bereinigt werden, könnte es in ziemlich genau einem Jahr so weit sein. Für die Grünen ist das CO2-Gesetz «ein wichtiger erster Schritt». Weitere werden folgen müssen. Doch ohne einen ersten Schritt kommt man nie vom Fleck.
«Das Gesetz reicht nicht aus, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen», hält Christian Lüthi, Geschäftsleiter der Klima-Allianz Schweiz, in einer Mitteilung fest. «Aber es schafft den nötigen Rahmen für viel griffigere Klimaschutzmassnahmen nach 2020.» Die Möglichkeit ergibt sich schon bald, etwa bei der Beratung der Gletscherinitiative.
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