Es klingt mutig, was ESC-Gewinner Nemo sagt: Israel soll raus aus dem Eurovision Song Contest. Weil es Menschenrechte verletzt. Weil es Gaza bombardiert. Weil es nicht zu einem Event passt, der Vielfalt und Frieden feiern will. Doch diese Forderung ist zwar nachvollziehbar – aber politisch verfehlt.
Denn wer Israel ausschliessen will, weil es ihm Kriegsverbrechen vorwirft, muss sich fragen: Wer benennt diese Verbrechen – und wer kann sie stoppen? Die Antwort ist einfach: nicht der ESC. Sondern Regierungen. Parlamente. Diplomatie. Strafgerichtshöfe.
Die Bühne des ESC hat Symbolkraft, ja. Sie war immer politisch – von queeren Statements bis zu antiautoritären Balladen. Aber sie ist keine Instanz, die Verantwortung trägt. Der ESC kann keine Staaten verurteilen, keine Blockade beenden, keine Haftbefehle ausstellen. Ihn zum Tribunal umzudeuten, entwertet das, was tatsächlich Macht hat: das Völkerrecht.
SP-Nationalrat Fabian Molina fordert aktuell, der Bundesrat solle Israels Kriegsverbrechen benennen – notfalls auch den Vorwurf des Genozids prüfen. Frankreich denkt laut über die Anerkennung eines Palästinenserstaates nach. Der Internationale Strafgerichtshof steht vor möglichen Haftbefehlen. Und die Schweiz? Schweigt.
Wenn Nemo seine Stimme erhebt – warum dann nicht dort, wo sie wirklich Druck erzeugen kann? Vor dem Bundeshaus. Vor dem Europäischen Parlament.
Weder die Opfer in Gaza noch die regierungskritischen Stimmen in Israel profitieren von Ausschlüssen. Der ESC war immer am stärksten, wenn er Widersprüche ausgehalten hat. Als russische Acts auftraten, während ihre Regierung Oppositionelle verfolgte. Als Israel gewann – und gleichzeitig in Tel Aviv gegen die Besatzung protestiert wurde.
Wer heute Israel ausschliessen will, müsste auch Aserbaidschan und andere Länder ausschliessen, denen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen und dokumentiert wurden. Und dann? Wäre von einem paneuropäischen Song Contest nicht viel mehr übrig als eine westliche Selbstbespiegelung mit moralischem Filter.