An Rettungsversuchen in letzter Minute hat es nicht gefehlt. Aus der Bundesverwaltung gelangte ein Bericht an die SRF-Medien, den der Bundesrat sogar vor dem Parlament geheim halten wollte. Er zeigt auf, dass bei einem Scheitern des institutionellen Abkommens mit der Europäischen Union gewichtige Nachteile für die Schweiz entstehen könnten.
Die EU-Kommission veröffentlichte ihrerseits ein Factsheet, mit dem sie die Schweiz eindringlich vor einer Erosion des bilateralen Wegs warnt. Es ist keine angenehme Lektüre, und doch ist es bezeichnend, dass der Bericht in der Schweiz komplett ignoriert oder mit der üblichen Mischung aus Arroganz und Ignoranz verwedelt wurde.
Genützt hat alles nichts. Der Bundesrat vermeldete am Mittwoch, was bereits über die Sonntagspresse «angekündigt» worden war: Die Verhandlungen mit der EU über das institutionelle Abkommen werden «beendet». Er betonte, die Schweiz bleibe «eine zuverlässige Partnerin der EU», während diese die «einseitige Entscheidung der Schweizer Regierung» bedauerte.
Zwecks Schadensbegrenzung schickte der Bundesrat die Staatssekretärin und Chefunterhändlerin Livia Leu nach Brüssel. Das ändert nichts daran, dass für die Schweiz eine Reise ins Ungewisse beginnt. Derweil wird sich in Herrliberg jemand die Hände reiben, der stets auf das Scheitern des Vertrags hingearbeitet hat: Christoph Blocher.
Jetzt ist die Saat ist aufgegangen, die er vor bald 30 Jahren mit seinem letztlich erfolgreichen Kampf gegen die Schweizer Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gelegt hatte. Ein vernünftiges und rationales Verhältnis zur EU konnte die Schweiz nie entwickeln, auch wenn sich mit den bilateralen Verträgen ein wackeliges Arrangement ergab.
In den «Nullerjahren» sah es zeitweise so aus, als ob sich die Beziehungen normalisieren würden. Selbst Blocher warb als Bundesrat mit dem Satz «Wir sollten es wagen» für die Bilateralen II, die immerhin die Personenfreizügigkeit auf die neuen Mitgliedsländer vorab in Osteuropa erweiterten. Wirklich abgefunden hat er sich mit den Bilateralen aber nie.
Das Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative kommentierte er 2014 mit unverhohlener Freude. Im Sommer 2016 attackierte er in einem überfüllten Saal im Berner Casino vor den Medien den Rahmenvertrag, mehr als zwei Jahre vor Abschluss der Verhandlungen. Sein damaliges Wunschszenario hat sich nun erfüllt: Der Bundesrat bekam «kalte Füsse».
Er werde das Abkommen mit vollem auch finanziellem Engagement bekämpfen, kündigte der SVP-Doyen an. Nun zeigte sich: Blocher musste nichts tun, er konnte sich zurücklehnen und genüsslich zuschauen. Auch das eigens für den Kampf gegen den Rahmenvertrag gegründete «Komitee gegen den schleichenden EU-Beitritt» war nicht gefordert.
Die Opposition war breit genug, sie umfasste Gewerkschaften (für die flankierenden Massnahmen, gegen den Europäischen Gerichtshof), Rechtsbürgerliche (gegen Unionsbürgerrichtlinie und Europäischen Gerichtshof) und die neu gegründeten Wirtschaftskomitees Autonomiesuisse und Kompass/Europa. Sie grenzten sich ab von Blocher und vollendeten seine Mission.
Schuld daran ist in erster Linie die eklatante Verhandlungs- und Führungsschwäche des Bundesrats und vor allem der beiden FDP-Aussenminister Didier Burkhalter und Ignazio Cassis. Der introvertierte Neuenburger entzog sich der Verantwortung durch Rücktritt, der geschwätzige Tessiner mobilisierte beim Lohnschutz ungewollt den linken Widerstand.
Nun will der Bundesrat irgendwie mit der EU im Gespräch bleiben. Sein «Plan B» liest sich wie eine Mischung aus Wunschdenken (Aufdatierung bestehender und Abschluss neuer Abkommen) und einseitigen Konzessionen (Übernahme von EU-Recht, Auszahlung der Kohäsionsmilliarde ohne Bedingungen). Aber eigentlich hat der Bundesrat keinen Plan.
Nach dem EWR-Nein 1992 setzte der Bundesrat auf die bilateralen Verträge, um einen reibungslosen Zugang zum EU-Binnenmarkt zu erhalten. Jetzt ist ein ähnlicher Ausweg nicht in Sicht. Und schon für die Bilateralen musste der Bundesrat Zugeständnisse machen, gegen die er sich lange gewehrt hatte: den freien Personenverkehr und die Guillotine-Klausel.
Man fragt sich, warum das jetzt besser kommen soll. Kenner der EU, von denen es in der Schweiz viel zu wenige gibt, warnen schon lange, die Schweiz werde am Ende einen schlechteren Vertrag als den nun gescheiterten akzeptieren müssen. Christoph Blocher kann es egal sein. Er kann den Triumph auskosten, den er so lange vorgespurt hat.
Und zwar an Widerstand von Links und Rechts. Ohne ernstzunehmenden Lohnschutz muss man auch keinen weiteren Ablauf starten.