Ihr Arbeitsalltag sah so aus: Petru und Lascar* parkierten ihr Auto vor einem Laden, Petru kundschaftete die Bedingungen im Laden aus und füllte einen Einkaufskorb mit Alkoholika und Zigarettenstangen. Dann informierte er Lascar in einem toten Winkel der Ladenkameras per Handy, dass die Gegenstände zum Abtransport bereit seien. Darauf kam Lascar in den Laden, steckte die Ware in den Hosenbund, bedeckte sie mit einer Jacke und verliess den Laden sofort wieder.
Diebstähle im Umfang einer Vollzeitstelle, so bezeichnete die Staatsanwältin am Bezirksgericht in Zürich die Arbeit der beiden Rumänen. Ihre Anklagen sind zwei unter vielen Fällen bandenmässigen Diebstahls, welche in diesen Monaten stattfinden. Dieser Zeitung sind acht Angeklagte bekannt. Alles Rumänen. Ein weiterer Fall betrifft einen Tamilen: einen Hehler. Ware von über vierhundert Diebstählen hat dieser innerhalb von acht Monaten den Rumänen abgekauft.
150 Übernahmen von Deliktgut fanden statt. Er verkaufte sie an Ladenbesitzer, die Alkoholika und Zigaretten im Sortiment haben – mit einem Gewinn von rund 22'000 Franken. Manchmal lieferten die Diebe mehrmals pro Tag in seiner Wohnung an der Zürcher Langstrasse ihre Beute ab.
Der Kriminaltourismus hat in den letzten Jahren zugenommen. Das bestätigt die Kantonspolizei Zürich. Die meisten Diebe stammen aus Rumänien, dem Balkan, Moldawien und Georgien. «Diebstähle von Kriminaltouristen werden in der Statistik nicht separat ausgewiesen, doch unsere Diebstahl-Spezialisten haben diese Erkenntnis», sagt Kapo-Mediensprecher Werner Schaub. Im Kanton Zürich haben die Ladendiebstähle generell von 2015 auf 2016 um 8 Prozent zugenommen. Die von Ausländern verübten Ladendiebstähle stiegen laut Bundesamt für Statistik gesamtschweizerisch von 5248 auf 5502 Straffälle.
Petru und Lascar schafften es auf 70 Diebstähle innerhalb von acht Tagen. Sie machten mit ihrem Auto eine wahre Tour de Suisse. Vom Spar in Gerlafingen SO über den Denner in Bilten GL, den Coop in Davos oder den Volg in Koppigen BE. Die Verhandlung vor Bezirksgericht hatte wenig Publikum. Sie unterschied sich nicht von anderen Anklagen Kleinkrimineller. Nur dass Petru und Lascar keine Kleinkriminellen sind.
Zu 33 Monaten Freiheitsstrafe unbedingt wurde der vorbestrafte Petru verurteilt, zu 24 Monaten der geständige Helfer Lascar. Und dies, obwohl beispielsweise Petru nur einen Gesamtdeliktsbetrag von Fr. 3037.95 vorgehalten werden konnte. Das Geld verwendeten die beiden laut Anklageschrift für Hotel-, Essens- und Benzinkosten. Doch was zählte, war, dass die beiden bandenmässigen Diebstahl im Akkord verübt hatten und aufgrund der Vorstrafen nicht davon auszugehen war, dass sie Anfänger sind. In Österreich, Deutschland und Frankreich war es ebenfalls zu Straftaten gekommen.
Lascar und Petru haben in den einzelnen Läden keinen grossen Schaden angerichtet. Pro Laden entwendeten sie meist weniger als sechs Flaschen. Champagner vorzugsweise. Aber der Gesamtschaden zählt. Und besonders betroffen ist der Detailhändler Denner. Die Hälfte ihrer Diebstähle betrafen Denner-Filialen. Bei den Fällen des Hehlers ist es noch extremer: Die 400 Fälle, in denen er die Waren den Dieben abgekauft hat, betreffen fast ausschliesslich Denner-Filialen.
Das Unternehmen ist sich der Problematik bewusst: «Die Anzahl der Diebstahldelikte sind in den letzten Jahren stark angestiegen. Dabei sind nicht Gelegenheitsdiebe das Problem, sondern vielmehr organisierte Banden, die Auftragsdiebstahl für Mittelsmänner betreiben», sagt die Leiterin Unternehmenskommunikation Grazia Grassi. Gesucht würden vor allem Produkte die sich leicht weiterveräussern lassen: Markenspirituosen und Tabakprodukte. Man habe in den letzten Jahren viel in die Diebstahl-Prävention investiert, sagt Grassi, könne aber aus Sicherheitsgründen keine Details bekannt geben. Denner arbeitet intensiv mit der Polizei zusammen.
«Nur in enger Zusammenarbeit mit relevanten Partnern sind bandenmässige Ladendiebstähle zu bekämpfen», sagt Grassi. «Aufgrund der guten Zusammenarbeit vor allem mit der Polizei wird der organisierte Ladendiebstahl vermehrt aufgedeckt und die Täter zur Rechenschaft gezogen.»
Überführen konnte die Polizei die beiden Rumänen und den Hehler durch die Handydaten. Wann immer beispielsweise der Hehler mehr als drei Minuten mit bekannten Dieben telefoniert hat, gingen die Ermittler davon aus, dass eine Übergabe vereinbart wurde. Im Falle von Petru und Lascar konnte zudem das GPS-Gerät ihres Mietwagens ausgewertet werden, was die Tour de Suisse zu den 70 Läden ergab. Dass andere Detailhändler viel seltener von Kriminaltouristen heimgesucht werden, hat vermutlich mit der Ladenstruktur von Denner zu tun: Es gibt weniger Personal und in den tendenziell kleineren, schlichten Läden finden die Diebe schnell die gewünschte Ware.
In den Filialen im Wynecenter Buchs AG und dem Shoppyland Schönbühl BE, die von den Handlangern des Hehlers mehrmals aufgesucht wurden, stehen die Paletten mit Alkohol ausserdem gleich beim Eingang. Die Diebe sind meist in ihren Dreissigern, wie auch der genannte Hehler. Vor Gericht machten sie einen niedergeschlagenen Eindruck, alle drei waren schon mehr als ein halbes Jahr in vorzeitiger Haft und bekräftigten, künftig nur noch legales Geld verdienen zu wollen. Der tamilische Hehler übergab dem vorsitzenden Richter weinend ein paar Fotos seines einjährigen Sohnes, den er noch nie treffen konnte. Dass speziell Denner mit Diebstahl aus Südosteuropa zu kämpfen hat, ist kein neues Phänomen.
Schon 2014 machte das Unternehmen das Problem publik und sagte, man rüste die Verkaufsstellen konsequent mit Alarmanlagen aus und schule das Personal bezüglich Überfällen. Damals waren die zunehmende Professionalisierung der Banden sowie die Gewaltbereitschaft problematisch. Wenn die Diebe nun tagsüber in die Filialen kommen – wie Petru und Lascar – und unbemerkt wieder abschleichen, nützt diese Prävention allerdings nicht mehr.