Er führt die grösste Schweizer KI-Firma – und überlegt sich, wegzuziehen
Wenn Dominic Williams von seinen Visionen spricht, wirkt er wie ein Tech-Messias im Wollpullover und Turnschuhen. Er will das Internet neu erfinden, die Welt verbessern und die Menschheit von der Abhängigkeit der Big Five befreien: Tech-Giganten wie Microsoft und Amazon, die heute vom Suchen bis zum Speichern jede digitale Interaktion prägen.
Williams spricht gerne über seine Ambitionen. Er präsentiert sich als «Tech-Pionier» in internationalen Medien wie «Forbes» oder spricht am World Economic Forum als der «nächste grosse Innovator der Blockchain-Technologie».
Für seine Mission hat sich der britische Unternehmer ausgerechnet die Schweiz ausgesucht. Von seinem Büro in Zürich aus arbeitet er als Gründer der mit über zwei Milliarden US-Dollar bewerteten Stiftung Dfinity daran, seine Vision in die Realität zu bringen.
Sein Weg vom Silicon Valley nach Zürich
Williams lächelt, wenn er über seine Anfänge in der Schweiz spricht. Im Gespräch im fünften Stock seines Firmengebäudes erzählt er, dass er einem Vorbild nacheiferte.
Als Brite mit Silicon-Valley-Erfahrung hätte er sich überall niederlassen können. Aber er entschied sich für die Schweiz, inspiriert vom Erfolg von Ethereum, der in Zug gegründeten, mittlerweile zweitgrössten Kryptowährung der Welt.
Das Modell mit neutralem Standort und klarer Stiftungsstruktur überzeugte ihn. Im Gegensatz zu vielen Ethereum-Nachahmern habe er aber keine Briefkastenfirma gewollt, sagt Dominic Williams: «Die meisten Stiftungen in Zug sind leere Hüllen, die Kapital horten.» Dfinity dagegen habe seit der Gründung 2016 Forschung, Ingenieure und Labore aufgebaut.
Rund 250 Mitarbeitende, viele mit ETH- oder IBM-Hintergrund, arbeiten seither an einem Ziel: dem «Internet Computer Protocol» (ICP) – einer Blockchain-Plattform, die ein dezentrales Internet ohne Cloud-Dienste von Google, Amazon oder Microsoft ermöglicht.
Der Unterschied: Der «Internet Computer» ist eine öffentliche Cloud, betrieben von über hundert unabhängigen Rechenzentren, auf der Websites, Apps und andere digitale Dienste laufen. Die Daten sollen dadurch den Nutzern gehören, statt den Grosskonzernen.
In der Theorie klingt das nach digitaler Emanzipation, in der Praxis ist die Kluft noch gross. Während Cloud-Anbieter wie Amazon und Google Milliarden umsetzen, generiert der «Internet Computer» nur Bruchteile davon.
Williams verweist auf drei Millionen «Internet Identities» und fast eine Million Smart Contracts, doch aktive Nutzerzahlen nennt er keine.
Sein grösster Absturz
Als das «Internet Computer Protocol» 2021 vorgestellt wurde, schoss der dazugehörige Token kurzfristig auf über 500 US-Dollar, um gleich darauf dramatisch abzustürzen. Stand Mitte Oktober 2025 liegt der ICP-Token bei rund drei US-Dollar. Bald machten Spekulationen die Runde, ob gar Dfinity selbst den Absturz begünstigt habe. In den USA reichten Anleger eine Sammelklage ein, die Williams Marktmanipulation vorwarf. Das Verfahren wurde abgewiesen, mehrere weitere Klagen endeten zugunsten von Dfinity.
Williams bezeichnet den Launch rückblickend als «sehr schwierig», ausgelöst durch «Feinde der Branche». Er beschuldigt den mittlerweile zu 25 Jahren Haft verurteilten FTX-Gründer Sam Bankman-Fried, den Markt gezielt sabotiert zu haben. Belege dafür gibt es keine.
Auf seinen angeschlagenen Ruf nach dem Crash angesprochen, sagt Williams: «Der Tokenpreis lag ursprünglich bei drei Cent. Ich habe also Tausende Millionäre geschaffen.» Jeder seiner Investoren habe in den letzten Finanzierungsrunden Gewinne erzielt. Überprüfen lassen sich einzelne Gewinne der Investoren abgesehen vom Tokenpreis aber nicht.
Tatsächlich profitierte auch Williams selbst. Nach Analysen des Krypto-Datenportals Messari und weiterer Blockchain-Reports hielten Williams und sein Team zum Start des Projekts rund 18 Prozent aller Internet-Computer-Token, die Dfinity-Stiftung weitere rund 24 Prozent. Die Stiftung veröffentlicht jedoch keine detaillierte Token-Aufschlüsselung.
Seine zweite Wette
Während in der Blockchain-Community die Skepsis seither wuchs, will Williams nun mit einer neuen Plattform beweisen, dass seine Technologie auch im Alltag ankommt.
Schaffen will er das mit «Caffeine AI» einer «selbstschreibenden KI». Eine Plattform, die komplette Web-Anwendungen allein auf Basis natürlicher Sprache erstellt. Nutzer sollen nur sagen, was sie wollen, und ein Ensemble von KI-Modellen generiert daraus Code, Design und Datenbankstruktur. In Williams' Vision ersetzt Caffeine ein ganzes Entwicklerteam. Die Idee: von der Eingabe bis zur Live-App in wenigen Minuten, ganz ohne Programmierkenntnisse.
Technisch läuft die Plattform vollständig auf dem «Internet Computer», also auf der Blockchain-Infrastruktur von Dfinity, womit die Applikationen ganz ihren Erstellern und keinen privaten Cloud-Anbietern gehören. Ein integrierter Marktplatz erlaubt es, Apps zu teilen, klonen oder anzupassen.
Trotzdem sind Fachleute skeptisch: «Ich habe viele AI-Coding-Tools ausprobiert und sehe nicht, was Caffeine AI so radikal Neues bringt, dass Entwickler ihre Tech-Stacks aufgeben würden», schreibt ein Entwickler auf Reddit. Ein anderer hält die Beispiel-Apps im öffentlichen Caffeine-Portal für «rudimentär».
Don Tuggener, Dozent für Künstliche Intelligenz an der ZHAW, sagt zur Idee einer self-writing-AI: «Diese Art natürlichsprachiger Interaktion mit einer KI ist ein wachsender Trend. Doch es gibt bereits zahlreiche ähnliche Low-Code-Ansätze, auch von Google oder OpenAI. Für einfache Tools wie Blogs mag das funktionieren – von komplexer Software ohne menschliche Entwickler sind wir aber noch weit entfernt.»
Auf die Frage, was er tue, wenn Caffeine scheitere, reagiert Williams gereizt. «Das ist eine sehr europäische Frage», sagt er. Genau diese Mentalität sei der Grund, weshalb es in Europa kaum grosse Tech-Firmen gebe. Für ihn liegt das Problem in der Kultur: in der Angst vor Risiko, in Steuern, in Regeln, die aus seiner Sicht Innovation verhindern.
Seine Kritik an der Schweiz
So sagt Williams, er habe derzeit «Schwierigkeiten mit den Steuerbehörden in Zürich». Wegen der «Vermögenssteuer überlege er sich, die Schweiz zu verlassen». Er wirft den Steuerbehörden vor, dass sie Forschungsausgaben wie Gewinne behandelten und dadurch illiquide Vermögenswerte «unrealistisch» bewerteten. Das belaste ihn finanziell und gefährde seine Arbeit als Unternehmer in Zürich.
Was ihn in Europa als Tech-Unternehmer zusätzlich frustriere, sei die Regulierungsdichte: Arbeitsrecht, Datenschutz, Bürokratie, all das mache es europäischen Start-ups unmöglich, mit der Dynamik der USA oder Chinas mitzuhalten. Williams argumentiert, Tech-Unternehmen müssten wie Spitzenteams funktionieren: schnell und leistungsorientiert. «Wie willst du mit Firmen konkurrieren, die 996 arbeiten – von neun bis neun, sechs Tage die Woche?», fragt er.
Deshalb fordert Williams Sonderzonen für Tech-Unternehmen, Freihandelszonen nach dem Vorbild von Shenzhen. Orte mit vereinfachtem Arbeitsrecht, Steueranreizen und technikfreundlicher Regulierung. Für Williams ist das keine Wirtschaftsfrage, sondern eine Überlebensstrategie. «In Zukunft wird es keinen Bereich mehr ohne KI geben. Tech wird die ganze Wirtschaft sein. Europa aber generiert lieber keinen Wohlstand, als das soziale System zu ändern.»
Wenn Dominic Williams von seinen Visionen spricht, klingt es nach Erlösung. Für die Tech-Welt.