Ja, es gibt sie. Die Europameisterschaft im Improvisationstheater. Seit dem 18. April duellieren sich 54 Improvisateur:innen in 3er-Teams aus 18 Ländern in München. Mit dabei ist auch die Schweizer Gruppe vom Ensemble «anundpfirsich»: Simone Schwegler, Björn Bongaards und Romeo Meyer. Die drei schafften am vergangenen Samstag in der Vorrunde gegen das bulgarische Team den Einzug ins Halbfinale am 18. Mai.
Die drei Impro-Profis sind seit Sonntag für einige Tage zurück in der Schweiz – und noch ganz hype von den Vorrunden: «Dass wir im Halbfinale stehen, habe ich erst am Sonntag richtig begriffen», erzählt Björn (32), «und es hätte mich ehrlich gesagt auch ein bisschen angesch**en, wenn die Reise hier schon zu Ende gewesen wäre.» Das bestätigen auch Romeo (46) und Simone (39). Sie seien zwar erschöpft, aber sehr zufrieden mit ihrem Erfolg und freuen sich, dass sie noch einmal nach Deutschland reisen dürfen. «Jetzt können wir träumen, jetzt heisst es Vollgas!», freut sich Björn.
Die Impro-EM in München ist Teil des Kunst- und Kulturprogramms der UEFA EURO 2024 in Deutschland. Bei mehr als 300 Veranstaltungen an insgesamt 45 Orten können Fussball- und Kulturbegeisterte abseits des Rasens erleben, welche Bedeutung das Wechselspiel von Fussball und Kultur hat. Angelehnt ist die Impro-EM am Aufbau der Fussball-EM, mit klassischen Vorrunden, Halbfinalen und dem Finale am 19. Mai. Fussball ziehe sich tatsächlich durch das gesamte Event hindurch und helfe Impro-Nichtkennern, sich an etwas zu orientieren, das sie kennen. «Auf der Bühne ist jeweils ein Rasen ausgelegt, auf dem wir spielen», erklärt Romeo, «ausserdem tragen wir alle ein Trikot unseres Landes und wenn wir nicht an der Reihe sind, sitzen wir am Rand der Bühne auf einer Art Ersatzbank.» Simone, Björn und Romeo sehen sich selbst auch als Spieler auf dem Feld. Björn sei ein Stürmer, Simone eine starke Verteidigerin und Romeo sieht sich selbst als Torwart.
Das Schwierigste sei es gewesen, zu jonglieren zwischen dem kompetitiven Aspekt der Europameisterschaft und einem der Grundsätze von Improvisationstheater: «Impro basiert auf Zusammenarbeit mit dem gegnerischen Team und hier an der EM steht plötzlich etwas auf dem Spiel», erklärt Simone. Und Björn ergänzt: «Es ist ein Balanceakt. Wollen wir den Sieg zu fest, werden wir verbissen und liefern einfach ab, was wir können. Darunter leidet aber dann die Spielfreude und das Potenzial, das eine Geschichte auf der Bühne haben kann.»
Björn macht ein Beispiel aus der Vorrunde gegen Bulgarien: «Plötzlich standen noch 30 Sekunden auf der Uhr und dann ging es nur noch darum, wer die letzte Pointe setzen kann und sich so noch einen Punkt vom Publikum holt.» Über den Sieg entscheidet nämlich nicht der Schiedsrichter des Spiels, sondern die Menschen in den Sitzreihen. Auf jedem Stuhl liegt ein Bierdeckel mit verschiedenfarbigen Seiten. Jede Zuschauerin und jeder Zuschauer entscheidet für sich, wer Punkte erhalten soll, und hält die dementsprechende Farbe hoch. Der Schiri führe als Gastgeber durch die Spiele hindurch und verteile lediglich gelbe und rote Karten, erklärt Romeo. Wer dann tatsächlich die letzte Pointe gesetzt hat, können die drei nicht mehr genau rekonstruieren. Für den Sieg hat's trotzdem gereicht.
Wer eine gelbe oder rote Karte kassiert, verliert Punkte. Das passiert bei der Impro-EM zum Beispiel, wenn ein Team die vorgegebene Zeit überzieht. Die längsten Runden dauern fünf Minuten, die kürzesten nur 30 Sekunden. «Wir sind uns nicht gewohnt, auf Zeit zu spielen», erläutert Björn und runzelt die Stirn, «normalerweise ist eine Geschichte halt dann fertig, wenn sie fertig ist. Unter Zeitdruck auch wirklich die eigenen Stärken zeigen zu können, ist schon schwierig.»
Auch die Sprache wird an der EM zu einem entscheidenden Faktor. Die Spiele werden auf Englisch ausgetragen, was bei den meisten Teilnehmenden nicht die Muttersprache ist. Björn sieht aber den Vorteil darin, dass die Ideen einfach bleiben. «Die Sprache limitiert einerseits, doch es hilft, nicht zu weit zu denken und nicht nur auf Verbales zu setzen.» Romeo setzt noch einen obendrauf: «Die Leute lieben es, uns hadern zu sehen!» Ein Beispiel: Er wusste nicht, was «Gymnastikband» auf Englisch heisst, und ersetzte das Wort einfach mit «stringy-thingy.» Das Publikum fand das grossartig. Impro sei aber immer ein bisschen ein Tanz an der Klippe. «Wir nehmen nicht immer den sicheren, betonierten Weg. Wir riskieren etwas, aber springen nicht komplett ins kalte Wasser. Und manchmal geht's halt ein bisschen in die Hose. Aber die Leute finden das cool», schwärmt Simone.
Bis zum Halbfinale am 18. Mai bleibt noch ein bisschen Zeit zur Erholung – und auch zur Vorbereitung. Gemeinsam werden die drei brainstormen, welche Spiele es gibt, die ungefähr zwei, drei Minuten dauern, und ein bisschen «jammen», also frei improvisieren. Die Gruppe hat auch einen gemeinsamen WhatsApp-Chat, in welchem sie Englisch schreiben. Zum Üben. «Unsere Vorbereitung ist aber vor allem das Zusammensein», betont Simone, «wir vertrauen auf unsere Fähigkeiten, aber es muss auch zwischenmenschlich stimmen. Wenn wir dann in München wieder viel Zeit gemeinsam verbringen, schweisst uns das zusammen und wir können die Stimmung in dieser Bubble richtig geniessen.»
Schlussendlich zählt für Simone, Björn und Romeo vor allem eines: Die drei wollen Freude haben, die Zeit in München geniessen und nicht verbissen einfach ihre Fähigkeiten abliefern, sondern auch ihr gegnerisches Team unterstützen können. «Im Idealfall wird das vom Publikum erkannt, und wird für uns mit ein Grund, warum wir gewinnen.»
Gilt auch für offene PoetrySlams und Powerpoint Karaoke!
Dem Schweizer Team gutes Gelingen! ❤️
Gruss
Chorche, schwenkt die Fahne
Danke für diesen ausführlichen Artikel und das Video!
Impro ist manchmal super (manchmal ganz schrecklich) – aber immer ein kleines Wagnis...