An einem gewöhnlichen Montagnachmittag klingelt im vierten Stock des gläsernen Gebäudes alle paar Minuten die Klingel. Der Rezeptionist drückt auf den Türöffner. Männer von jung bis alt steigen die Stufen hinauf. Jeweils alleine. Manche tragen Anzug, manche Trainerhosen, manche Jeans.
Wenn sie eintreten, schrecken sie kurz auf beim Anblick der Reporterin vor der Rezeption. Normalerweise treffen sie hier keine Frauen an. Dieser Ort ist Männern vorbehalten. Wir befinden uns im Moustache, einer der ältesten Gay-Saunas in Zürich.
Das Moustache ist 40 Jahre alt. Und das Geschäft läuft nach wie vor gut. Trotzdem muss es per Ende Jahr seine Saunatüren schliessen. Für immer.
Mit ihm geht ein wichtiges Kapitel der Schweizer Schwulengeschichte zu Ende. Eine Chronologie.
Es ist das Jahr 1982 und in einer unscheinbaren Nebenstrasse, mitten in Zürich Wiedikon, öffnet die Gay-Sauna Moustache erstmals ihre Tore. Denn die «Zeit der Angst» scheint vorbei zu sein.
Der Bund hat zwei Jahre zuvor das «Schwulenregister» auf Druck von homosexuellen Vereinen und Organisationen offiziell abgeschafft. In diesem listete die Polizei seit 1934 Homosexuelle. Selbst nachdem die Schweiz Homosexualität 1942 entkriminalisiert hatte.
Gleichzeitig ist für die Jungen die schreckliche Mordserie auf Schwule in der Stadt Zürich, die zwischen 1957 und 1969 sechs Opfer gefordert hat, gefühlt schon lange her. Sie haben keine Lust mehr, sich in öffentlichen Parks, Toiletten und Hinterräumen im Geheimen zu treffen. Sie wollen sich und ihre Homosexualität nicht mehr verstecken. Wollen Leute kennenlernen, sich ausleben.
Aufbruchstimmung liegt in der Luft. Es ist die Zeit der Öffnung und vor allem: eine Zeit der Kommerzialisierung.
Innerhalb weniger Jahre poppen in der ganzen Schweiz Angebote explizit nur für Schwule und teilweise auch für Lesben auf: Bars, Sexshops, Kataloge, Zeitschriften, Gratisanzeiger, Buchläden, Discos, sogar Reisebüros. Und nicht zuletzt natürlich Gay-Saunas wie das Moustache, «mit ihrer Hauptfunktion, sexuelle Kontakte ohne grosse Hemmschwelle in einem geschützten (und geheizten!) Raum zu ermöglichen», wie ein Historiker 1988 in einem Aufsatz schreibt.
Einer, der fast vom ersten Tag des Moustache dabei war, ist der 70-jährige Hanspeter Steger. Er erinnert sich gerne. Sein Lebenspartner Richard Wettstein hat die Sauna damals zusammen mit seinem Partner Fred Winteler gegründet, wie er im Gespräch mit watson sagt.
Ab 1983 waren Steger, Wettstein und Winteler im Trio unterwegs. Die Gründer in den Leitungsfunktionen und Steger als Aushilfe im Moustache. Eine Aushilfe, die Schnauz trug. Denn am Anfang war der «Moustache» beim Saunapersonal noch Pflicht.
«Wir wollten die Szene beleben, ein Treffpunkt und gleichzeitig ein Ort zum Relaxen sein», sagt Steger. Aber natürlich ging es im Moustache auch um Sex. Neben den Saunas, der Bar und einem Ruheraum gab es Kabinen, in die sich die Besucher zusammen zurückziehen konnten.
Schnell erfreute sich das Moustache in Zürich grosser Beliebtheit. Steger sagt:
Sie kamen nicht nur aus Zürich, sondern der ganzen Umgebung. Viele von ihnen waren Männer, die sich selbst nicht als schwul bezeichnen wollten, sondern eher als «Männer, die mit Männern Sex haben», sagt Steger. Männer, die unter einem falschen Namen verkehrten. Zu Hause nicht selten Familie und Kinder gehabt hätten.
Die Hochstimmung in der Schweizer Schwulenszene währte nicht lange. 1981 wird in den USA erstmals von einer neuen Krankheit berichtet, die unter homosexuellen Männern grassiert. GRID wird sie darum zunächst genannt. Eine Abkürzung für «Gay Related Immunodeficiency», zu Deutsch etwa: «in Verbindung mit Homosexualität auftretende Immunschwäche».
Obwohl man die Krankheit relativ schnell zu AIDS (HIV) umbenennt, sprechen Schweizer Medien wenige Jahre später von der «Schwulenseuche», der «Pest der Homosexuellen» oder von «Schwulenkrebs». Und schon ist ein neues, negatives Stigma gegenüber Homosexuellen geboren. Dabei wollen Schwule und Lesben solche doch endlich hinter sich lassen.
Doch nicht nur die Begrifflichkeit schwappt in die Schweiz über, sondern leider auch das Virus selbst. Das damals eben tatsächlich hauptsächlich unter Homosexuellen zirkuliert.
Aufklärung, Prävention muss her. Und zwar am besten dort, wo sich die Männer zum Sex treffen. «Die Schwulensaunas wehrten sich zunächst dagegen. Die Krankheit bedeutete vor allem erneute Diskriminierung», sagt Daniel Bruttin von schwulengeschichte.ch zu watson. Er arbeitete selbst viele Jahre in der AIDS-Prävention.
«Doch als den Saunas die Kunden wegstarben, begannen sie mit den Behörden zusammenzuarbeiten», sagt Bruttin. Dadurch erachteten Schwule den Staat zum ersten Mal in der Geschichte der Schweiz als Verbündeten. Auch das Moustache.
Hanspeter Steger erinnert sich schmerzlich:
Fotoalben von Partys im Moustache haben er und sein Mann inzwischen entsorgt. Sie sind zu deprimierend. «Man geht nur die Fotos durch und muss sagen: Der ist gestorben, den hat die Krankheit ins Grab gebracht, dieser starb viel zu jung.»
Auch Moustache-Gründer Fred Winteler steckte sich mit AIDS an und litt viele Jahre unter der Krankheit, bis er 1992 verstarb. Vielleicht war das Moustache darum eine der ersten Schwulensaunas in der Schweiz, die Plakate der Aidsprävention in ihren Räumen aufhängten, Informationsveranstaltungen durchführten, in ihren Kabinen Kondome und Gleitgel aufstellten und mit aufgelegten Prospekten versuchten, die Szene aufzuklären. Als «Pioniere in der Prävention» beschreibt Steger sein ehemaliges Moustache heute gerne.
2010 verkauften Steger und Wettstein das Moustache an R. Zbinden und seine zwei Geschäftspartner. Diese liessen die Sauna als Erstes totalsanieren. Sie wollten wegkommen vom einstigen Schmuddel-Image der Gay-Saunas und einen hochstehenden Wellnessbetrieb anbieten. Heute finden die Kunden im Moustache ein grosses Angebot vor: Bio-Sauna, finnische Sauna, Kaltwasserdusche, Schaumbad, Whirlpool, Ruheliegen.
Doch auch die restlichen Bereiche richtete Zbinden mit Liebe zum Detail ein. Die Räume sind dunkel, aber nicht düster. Die Sitzgelegenheiten bequem, aus praktischem schwarzem Leder, und dennoch schön anzusehen. Elektrische Kerzen sorgen für gemütliches Licht. Im Hintergrund läuft leiser Techno.
Die gut ausgestattete Bar sieht aus wie jede andere Szenebar in Zürich. Dazu gibt es eine Raucherlounge, eine Leseecke, Umkleiden, Spinde. Im Eingangsbereich liegen Zeitschriften wie das «Cruiser Magazin» auf und eine kleine Tafel macht Werbung für den Partnertag. Eintrittspreis: zwei für einen.
Die Zeiten haben sich geändert. «Heute braucht es unsere Saunas nicht mehr in erster Linie, damit Schwule in einem geschützten Raum andere Schwule kennenlernen und Sex haben können», sagt Zbinden. Dafür würden die meisten das Internet nutzen.
Sex spielt dennoch auch heute eine Rolle im Moustache. Im Schaufenster direkt neben der Rezeption sind Sexspielzeuge ausgestellt. Daneben bietet die Sauna ein «Video-Dampfbad», «Video-Kabinen» sowie einen «Dark- und Playroom» an, wie es auf der Website heisst. Prospekte von der Aids-Hilfe Schweiz liegen zudem nach wie vor auf.
Vor drei Jahren wollten die Eigentümer des Gebäudes, in dem das Moustache eingemietet ist, das Haus verkaufen. Zbinden und die übrigen Geschäfte im Gebäude spannten zusammen, um es gemeinsam abkaufen zu können. Doch die Zürcher Kantonalbank (ZKB) – die übrigens auch ihre Kreditgeberin gewesen wäre – überbot sie. Und erhielt somit den Zuschlag.
Nächstes Jahr lässt die ZKB das Gebäude nun renovieren. Wohnungen und Büroflächen sollen entstehen. Platz für eine Gay-Sauna gibt es da nicht mehr.
Seitdem ist Zbinden auf der Suche nach einer neuen Mietfläche in der Stadt Zürich. Vergebens. Entweder sind die Preise zu hoch oder die Verwaltungen haben Bedenken, eine Schwulensauna bei sich aufzunehmen, wie Zbinden erzählt. Sie sorgen sich etwa um «Lärm». «Das ist völliger Quatsch. Wir sind ein leiser Betrieb, veranstalten keine Partys, haben in all den Jahren nie jemanden in der Nachbarschaft gestört.»
Vor einem Jahr schöpfte Zbinden dann plötzlich Hoffnung. Auf dem ehemaligen Koch-Areal war ein 800 Quadratmeter grosser Raum inklusive Dachterrasse zu vermieten. Er bewarb sich mit dem Moustache. Neben dem bisherigen Sauna- und Barbetrieb wollte er auf der Fläche auch ein Restaurant mit günstigen Mittagsmenüs anbieten. Passend für die umliegenden Büroangestellten. Rooftop-Bar und Restaurant wären für alle offen gewesen.
«Die Verwaltung hat zugesagt. Doch sie musste noch mit der Stadt Zürich abklären, ob unser Betrieb mit dem Baurechtsvertrag konform war», sagt Zbinden. Die Stadt Zürich als Eigentümerin des Koch-Areals hält in ihrem Baurechtsvertrag nämlich fest, dass auf dem Gelände «Betriebe aus den Bereichen Produktion und Handwerk, Reparatur und Instandhaltung, Detail- und Grosshandel, Gastronomie, Schulungs- und Bildungsangebote sowie quartierbezogene Dienstleistungen angesiedelt werden» müssen.
Eine Gastronomie hätte das Moustache nachweislich anbieten wollen. Trotzdem lehnte die Stadt Zürich das Vorhaben ab. Die Begründung sei per Telefon von der Verwaltung gekommen: Das Moustache habe zu wenig «Quartierbezug».
«Was für ein Affront! Das Moustache gibt es schon seit 40 Jahren im Kreis 4», sagt Zbinden. Auf Nachfrage von watson bei der Stadt heisst es, unter «quartierbezogenen Dienstleistungen» würden nicht solche verstanden werden, die es schon zuvor im Quartier oder der Umgebung gegeben hätte, sondern solche, von denen die Anwohnerinnen und Anwohner direkt profitieren würden. Diese Erklärung kann Zbinden nicht verstehen. Von der Gastronomie und der Bar hätte das ganze Quartier etwas gehabt.
Auf diesen Widerspruch angesprochen, antwortet die Stadt Zürich ausweichend. «Es war keine Entscheidung gegen das Moustache, sondern für einen anderen Betrieb, der die Stossrichtung, die die Stadt für das Quartier vorgesehen hat, besser erfüllt.» Der Fokus im neuen Areal liege auf Handwerksbetrieben.
Ausserdem widerspricht sie Zbindens Version der Geschichte. Die betreffende Verwaltung habe das Konzept des Moustache eingehend geprüft und sich schliesslich entschieden, die Verhandlungen mit der Gay-Sauna nicht weiterzuführen. «Die Stadt Zürich hat diesen Entscheid mit Blick auf die Nutzungsbeschränkungen im Baurechtsvertrag gestützt.»
Es steht Aussage gegen Aussage.
So oder so ist das Moustache am Ende die Verliererin. Inzwischen hat Zbinden die Hoffnung aufgegeben, eine passende Location in Zürich zu finden. Und ausserhalb von Zürich kann er sich einen Betrieb nicht vorstellen. «Unsere Sauna lebt davon, dass sie zentral ist.»
Am 31. Dezember schliesst das Moustache darum endgültig seine Saunatüren. Das fällt Zbinden schwer. Das Moustache war sein Baby. Elf Angestellte verlieren nun ihren Job. Und auch er selbst muss schauen, wie es danach für ihn weitergehen wird.
Traurig ist Zbinden aber nicht nur darum: «So wie uns geht es vielen kleinen KMUs, Cafés, Bars, Läden, die den Zürcherinnen und Zürchern am Herzen liegen, aber die sich die hohen Mietpreise in der Stadt nicht mehr leisten können.» Damit sterbe in der Stadt nach und nach ein Stück Kultur und Geschichte.
Also meiner Meinung nach erfüllt das Mustache dieses Kriterium vollumfänglich. Was dort abgeht beinhaltet doch explizit „Handwerk“. Ich würde der Stadt ein Wiedererwägungsgesuch zur Neuüberprüfung stellen und darin das Handwerk hervorheben….. 😂