Am 7. Oktober 1991, einem Montag, hing mein Leben am seidenen Faden: Es fehlten Zentimeter und ein 12 Tonnen schwerer Schützenpanzer hätte mich zermatscht und unter sich begraben.
Wir sollten an dem Tag vom Waffenplatz Hongrin im Kanton Waadt in den Jura (nach Bure) «verschieben».
Als Unteroffizier befehligte ich einen «Schüpa» und hatte mich dazu in die Commander-Luke gestellt, direkt hinter dem Fahrer. Den schweren runden Stahldeckel drehte ich nach vorn, um mich vor dem Fahrtwind zu schützen.
Auf geraden Strecken waren wir mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs ... und ich weiss noch, dass wir ausserorts auf einer Landstrasse dahin ratterten, als es plötzlich einen heftigen Ruck gab und unser M-113 nach links ausscherte. Über die Mittellinie. Dann war alles schwarz.
Als ich zu mir kam, liess ich mich auf den Boden plumpsen. Das war weniger schmerzhaft, als man annehmen könnte – und ich spürte es wohl gar nicht richtig.
Der Schützenpanzer war nach dem Zusammenstoss mit dem Tanklaster Dutzende Meter durch die Luft geschleudert worden und schliesslich auf seiner rechten Seite zum Stillstand gekommen, so dass ich aus der Luke hing.
Jedenfalls rannte ich im Schock in Richtung der vermeintlich entgegenkommenden Autos. Ich wollte wohl versuchen, den Verkehr zu regeln (laut Schilderungen von Kameraden, die im Panzer vor mir gewesen waren). Dann wankte ich mit zittrigen Beinen an den Strassenrand und legte mich hin.
Es folgte GABI. (So hiess früher der im Nothelferkurs und im Militär gelehrte Spruch, um Erste Hilfe richtig zu leisten).
Das Zeitgefühl war mir abhanden gekommen. Und ich bekundete wegen des in den Mund laufenden Blutes Mühe, zu sprechen. Als ich zu verstehen gab, dass ich meine Beine nicht mehr richtig spüre, schnürten mich die Rettungssanitäter auf eine «Luftmatratze» und ab ging's ins Spital.
Am Folgetag erzählte man mir, was passiert war. Ich erfuhr von der starken Hirnerschütterung. Und von der zweiten Mundöffnung, die ich vorübergehend hatte, respektive dem vertikalen Riss (den ein mir unbekannter Westschweizer Arzt schön zugenäht hat, vielen Dank dafür! 🙏).
Offenbar hatte auch meine zu Kartoffelgrösse angeschwollene Nase Bekanntschaft gemacht mit dem stählernen Lukendeckel. Dank ihr und dem robustem Kunststoffhelm gabs keinen Schädelbruch, und auch der Rücken blieb heil ...
Ich will mich nicht beschweren. Darf man auch nicht, wenn man in Erinnerung ruft, dass Militärunfälle immer wieder tragisch enden, mit Schwerverletzten und Toten.
Wie durch ein Wunder waren bei unserem Unfall keine Opfer zu beklagen und niemand wurde schwer verletzt. Mehrere Soldaten waren im Transportraum hinter mir gemütlich herumgelümmelt. Zum Teil ohne Helm, wie es bei langen «Verschiebungen» zwar verboten, aber üblich war.
Die meisten Männer waren wohl am Dösen, als es knallte. Das erklärte ich auch den beiden Untersuchungsrichtern, die mir noch am Spitalbett einen Besuch abstatteten.
Die Schweizer Armee wollte umgehend ermitteln, wie es zum schweren Zusammenstoss kommen konnte.
Sicher war: Wir hatten auch insofern Glück, dass der Tanklastwagen, den wir ausserorts fast frontal gerammt hatten, kein Benzin mitführte, sondern 20'000 Liter Heizöl.
Nach Abschluss der Untersuchung sollte sich herausstellen, dass wohl ein technischer Defekt eine Raupe blockiert hatte. Weder dem Panzerfahrer noch mir wurde ein Verschulden angelastet. Und zum Glück waren wir beim Einrücken am Vorabend (wie fast immer) «brav» gewesen.
Abgesehen von kleinen Narben und gelegentlichen Albträumen hielten sich die Auswirkungen des Unfalls für mich in Grenzen. Zwar konnte ich über Wochen nur Suppe schlürfen und musste im «Ausgang» neidisch mitansehen, wie die Kollegen Steaks und Schnitzel mit Pommes-Frites reinschaufelten. Aber immerhin blieben mir meine Vorderzähne und die Wurzeln starben trotz ärztlicher Befürchtungen nicht ab.
Und die Moral von der Geschichte?
Dass ich nach dem schweren Unfall wieder einen Schützenpanzer bestiegen habe und weiterhin Militärdienst leistete, mag man mit Dummheit erklären oder den Folgen der Gehirnerschütterung ... doch für mich kam der Austritt aus «dem grünen Verein» nicht infrage.
Ich denke relativ selten an den Unfall zurück und träume auch nicht mehr davon. Nach dem anfänglichen Frust über die eingedrückten Zähne machten sich positive Gefühle bereit. Irgendwie hatte ich ein zweites Leben gewonnen.
Das bringt uns zum Grund, warum ich viele Jahre später von jenem beinahe verhängnisvollen Tag in Enney FR erzähle.
Anlass war eine simple Medienmitteilung aus Bern: Am Wochenende feiert der älteste Waffenplatz der Schweiz grosses Jubiläum (siehe Box). In Thun, vor den Toren der Allmend, steht die Dufour-Kaserne, das Zuhause der Panzergrenadiere, das ich mit vielen Erinnerungen verbinde.
Mit schönen und weniger schönen.
Wir waren eine eingeschworene Truppe, die gemeinsam durch dick und dünn ging. Am Samstag werde ich ein, zwei Bierchen darauf trinken.