Als Kind deutscher Einwanderer wäre mir Anfang der Neunziger nie eingefallen, Respektspersonen mit einem «Hallo» zu begrüssen. Das forsche «Hallo», das in Deutschland in allen Lebenslagen neutral zum Einsatz kommt, klingt in Schweizer Ohren viel zu kumpelhaft, das merkte ich schnell.
Internetseiten für deutsche Einwanderer warnen auch heute noch eindringlich vor dem sorglosen «Hallo»-Gebrauch. Doch in letzter Zeit, so scheint mir, werde ich in städtischen Bars, Cafés und Restaurants, in Läden oder auch am SBB-Schalter häufiger mit einem «Hallo» begrüsst. Und auch ich sage manchmal wieder «Hallo», was bei meinem Gegenüber mal mehr oder mal weniger gut ankommt.
Ist das «Hallo» in der Schweiz zu einem ernsthaften Konkurrenten des «Grüezi» geworden? Der an der Universität Bern lehrende Dialektforscher Adrian Leemann, Projektleiter des im November erscheinenden grossen «Dialäktatlas», der die Schweizer Dialekte von den 1950er-Jahren bis in die Gegenwart vergleicht, war ebenfalls von diesem Verdacht angetrieben, als er mit seinem Team an 127 Schweizer Gemeinden 1016 Personen zu ihren Sprachgewohnheiten befragte.
Gründe für einen möglichen «Hallo»-Boom gäbe es viele: Da wäre die in unseren helvetischen Breitengraden durch den Einfluss der englischen Sprache sich gemütlich machende «Kumpelitis»: Professoren wie Adrian Leemann, der mich mit einem «du» begrüsst, duzen Kollegen ganz selbstverständlich. Vor allem in Branchen, in denen Englisch die vorherrschende Kommunikationssprache ist, ist die Hemmschwelle zum du gesunken. Kommt hinzu, dass das «Hallo» vom «Hello» auch lautlich nicht weit entfernt ist.
Zweitens werden Begrüssungs- und Verabschiedungsformeln in der Schweiz immer kürzer. Junge Menschen begrüssen einander in der Schweiz lieber mit «Morge» als mit «Guete Morge». Auch das kurze und praktische «Ade» ist auf dem Vormarsch. Ein «Hallo» geht schneller über die Lippen als ein «Guete Morge» und ist zudem nicht zeitgebunden, was unter der jüngeren Bevölkerung, die nicht mehr so sehr nach dem Rhythmus eines Tages lebt und arbeitet wie der Bauer auf dem Feld, allseits geschätzt wird.
Und noch etwas macht das «Hallo» so attraktiv: In einer Gesellschaft, die in der Sprache zunehmend Distanz ablegt, ist das «Hallo» die perfekte neutrale Anredeformel, mit der man sich bei all den Unsicherheiten im Sprachgebrauch einigermassen souverän hindurchwurschteln kann, weil offen bleibt, ob man sich an ein du oder an ein Sie richtet, wenngleich das in der Schweiz noch immer nicht überall so gesehen wird. Gerade in Verkaufsgesprächen, wo Nähe hergestellt wird und dennoch höfliche Distanz erwartet wird, eignet sich das «Hallo» ganz hervorragend.
Die Forschungsergebnisse aus dem «Dialäktatlas» werden nun all jene beruhigen, die eine schleichende Germanisierung der Schweiz befürchtet hatten. Das «Hallo» kommt auf den aktuellsten Karten, welche die Verbreitung der Begrüssungsformeln in der Schweiz aufzeigen, kaum vor. Nur in der Region Zürich, in Teilen der Zentralschweiz und in der Grenzregion zwischen dem Kanton Glarus und Graubünden hat das Forschungsteam das «Hallo» vereinzelt dokumentiert.
Was viel augenfälliger ist: Das in der Region Zürich verbreitete «Grüezi», diese gottesfürchtige Formel und Abkürzung von «Gott grüsse euch» befindet sich bei jüngeren Menschen klar auf dem Vormarsch – bis nach Basel! Die Forscher vermuten dahinter die ökonomische Vormachtstellung der Region Zürich. Zudem ist «Grüezi» kurz wie «Hallo» und deshalb für junge Menschen attraktiv.
Leemann und sein Team hatten angenommen, dass das «Hallo» zumindest bei Telefongesprächen vermehrt zur Anwendung kommen könnte, schliesslich meldet man sich auf Englisch üblicherweise mit einem «Hello». Doch auch hier bestätigte sich ihr Verdacht nicht: Menschen zwischen 20 bis 35 Jahren bevorzugen beim Telefonkontakt die Nennung ihres Vor- und Nachnamens.
Trotz dieses deutlichen Befunds will Adrian Leemann nicht ausschliessen, dass an der Beobachtung eines «Hallo»-Booms in den Städten etwas dran ist. «Wir haben für unsere Befragung Menschen ausgewählt, die an dem jeweiligen Ort, den sie repräsentieren, aufgewachsen sind und grösstenteils dort gelebt haben. Sie durften nicht länger als zwei Stunden, pendeln und einer der beiden Elternteile musste aus der Region kommen», so Leemann. Jugendliche unter zwanzig waren von den Befragungen prinzipiell ausgeschlossen, um Verzerrungen durch Jugendsprache zu vermeiden. Auch Menschen mit Migrationshintergrund, die vierzig Prozent der Schweizer Bevölkerung ausmachen, wurden nicht berücksichtigt. Die tendieren ersten Forschungsergebnissen zufolge aber viel öfter zu hochdeutschen Begriffen. (aargauerzeitung.ch)
Was ich da auf meine (relativ) alten Tage so alles lerne… 😂
„Grüezi“ war für mich immer die Abkürzung für „(ich) Grüsse Sie“ bzw in meinem Berndeutsch „Grüessäch“ eben „(ich) grüsse euch“.
Wo ist denn da der liebe Gott?
„Hallo“ empfinde ich als salopp und verwende es sehr selten. Dafür ist „Hoi“ unter vertrauten Personen, gemäss meiner Erfahrung, recht verbreitet und wird auch von mir verwendet.
Bin gespannt, was andere dazu schreiben! 😊