Die beiden älteren Herren schmunzeln über das, was sie sehen: Da freuen sich zwei junge Männer über Kühe mit Glocken. Sie begeben sich gar auf die Weide, um ein besseres Foto von sich und einer Kuh machen zu können.
«Das sind Content Creators, sie machen das für Instagram», sagt David Kestens. Er ist der Leiter Marktmanagement und Verkauf der Aletsch Arena und begleitet die jungen Männer heute auf der Wanderung von der Moosfluh zur Riederfurka und zurück nach Riederalp. «Das verstehen wir nicht mehr», sagen die beiden älteren Herren und lachen.
80 der besten Influencer waren im September auf Einladung in der Schweiz unterwegs. Ich durfte sie zwei Tage lang begleiten. Wobei: Influencer ist vielleicht nicht das richtige Wort. Content Creators wäre passender. Oder wie sie sich selbst nennen: «Artists». Künstler also.
Denn wie mir einer kurz und klar sagt: «Wir sind nicht hier, weil wir gut aussehen, uns im Video gut präsentieren und uns übertrieben über etwas freuen. Wir produzieren Inhalte mit unserem eigenen Stil.»
Tatsächlich finden sich unter den Eingeladenen Visual-Effects-Künstler, Zeichnerinnen, Musiker oder Illustratorinnen. Sie haben (zumindest auf den zweiten Blick) nicht viel gemein mit den oft belächelten Influencern, die sich übertrieben vor der Kamera inszenieren und der landläufigen Meinung nach «nichts können».
Man muss natürlich auch die Ergebnisse dieser ausgewählten Gruppe nicht mögen. Aber Talent ist fraglos vorhanden. Die Creators hier haben zusammen nicht über 100 Millionen Follower, weil sie nichts können.
Ich möchte mir ein genaueres Bild machen, wie sie funktionieren, was sie über die Schweiz denken und ob ihnen bewusst ist, was sie für einen Ruf haben.
Was sie über die Schweiz denken, wird in den diversen Story-Posts schnell klar: ein wunderschönes Land, vielleicht das schönste der Welt. Die Hashtags überbieten sich mit Superlativen. Kein grosser Unterschied zu «normalen» Influencern. Ihre Posts und Reels unterscheiden sich aber auf jeden Fall.
Die beiden eingangs erwähnten jungen Männer sind Thomas und Andrew. Die beiden Freunde aus Kalifornien betreiben zusammen die sehr erfolgreichen Accounts We love you. Auf Instagram haben sie 2,1 Millionen Follower, auf TikTok 1,5 Millionen. Kein Wunder irgendwie, die beiden 23-Jährigen wollen schliesslich auch nicht weniger als die Welt retten. «Help us save the world», schreiben sie darum in den Accounts. Und auf TikTok noch dazu: «It will be fun!»
Aber wie wollen die beiden das machen? Sie posten Videos, in welchen sie viel Natur zeigen und Fragen stellen wie «What if the world could talk?», «How to live 1'000'000 years» oder «What are you looking at?». Meist beginnen sie mit der Begrüssung «Hey man!», so bisschen ihr Erkennungsmerkmal. Dann gibt's eine mehr oder weniger philosophische Antwort. Ob die beiden damit die Welt retten, darf bezweifelt werden. Ob sie «fun» sind, soll jeder selbst entscheiden. Aber anscheinend treffen sie einen Nerv.
Thomas und Andrew werden heute vom 27-jährigen Kurzfilm-Autor Baron (@americanbaron, 2,8 Mio. Follower auf TikTok, knapp eine Million auf Instagram) und Sofya, einer 26-jährigen Filmregisseurin, begleitet. Die vier sind Teil des Creator Camps, das im September in Leukerbad stattfand.
Heute sind sie als Vierergruppe unterwegs und haben einen Tag Zeit, um ein 90-sekündiges Video aus der Aletsch Arena zu drehen. Der Grosse Aletschgletscher soll dabei als grandioses Bühnenbild helfen.
Aber David Kestens dämpft die Erwartungen schon in der Gondel nach Riederalp, als er die Webcam checkt: «Aktuell hat's oben Nebel. Aber ich bin sicher, wir werden zumindest einen sonnigen Moment erleben.» «Es braucht nur einen solchen Moment», antwortet Thomas, «dann posten wir den und sagen: ‹So war es den ganzen Tag.›» Alle lachen. Sie wissen, was Leute von ihnen und ihrer Arbeit denken.
Immerhin reicht die Sicht bis zu den unter uns grasenden Kühen. «Wusstet ihr, dass die Kühe in den Bergen längere Hinter- als Vorderbeine haben? So können sie besser am Hang stehen», erklärt Kestens. Die vier Creators machen grosse Augen. Einen Moment wirkt es, als würden sie ihm das abnehmen. Aber sein Lachen verrät ihn.
Weniger zu lachen haben wir im ersten Moment oben auf der Moosfluh. Statt des Aletschgletschers sehen wir nur das:
Trotzdem machen die Creators erste Aufnahmen und Dialoge für ihren Kurzfilm. Baron führt Regie. Während Corona war ihm langweilig, er fing an, Drehbücher für Kurzfilme zu schreiben und setzte diese um. Die Resultate liessen sich auf Social Media sehen. Er sammelte viele Follower, erhielt diverse Aufträge. Seit einem Jahr ist er selbstständig als Autor, wie er sich selbst bezeichnet. Das Geschäft laufe gut. Er sei halt reingerutscht.
Auch Thomas und Andrew starten unerwartet durch. «Wir hatten diese Idee für den Account ‹We love you›.» Die ersten Videos waren nichts, aber für das vierte änderten sie ihren Stil und erzählten was von Schnecken unter einem Stein am Fluss. «Das ging durch die Decke», sagt Thomas. Das war im Sommer 2023.
Sie wohnten damals in Los Angeles und San Francisco. Und ihnen war klar: Wir brauchen mehr davon. Also fuhr Andrew durch die Nacht nach San Francisco und am nächsten Tag produzierten sie weitere Reels. Die Followerzahlen explodierten.
Ein Jahr später werden sie in die Schweiz eingeladen. Reich werden sie mit ihrem Account (noch) nicht. «Wir machen keine Sponsorenaufträge. Das könnten wir nicht mit unserem Content vereinbaren», sagt Thomas. Sie würden aber Fanartikel wie T-Shirts verkaufen. «Wir leben bescheiden in kleinen Wohnungen. Mit dem Geld können wir immerhin die Miete bezahlen.»
So geht es übrigens überraschend vielen der hier anwesenden 80 Influencer. Sie wollen keine Sponsorendeals, damit sie sich nicht verbiegen müssen. Andere arbeiten fast nur noch auf Auftrag.
Zurück zum Aletschgletscher. Dieser zeigt sich später tatsächlich noch kurz. Er wird aber nicht die prominente Rolle im Kurzfilm einnehmen, für die er wohl gedacht war. Denn unten, Minuten bevor die Seilbahn uns zurück ins Tal bringt, öffnet sich der Himmel. Die vier drehen hier innert kurzer Zeit ihren Hauptteil des Videos:
Am Abend werden sie erfahren, dass ihr Beitrag beim internen Creator-Camp-Filmfestival mit rund 20 Teams nicht prämiert wird. Immerhin wurde ihr Video von den watson-Usern in unserer Kurzumfrage am besten bewertet. Aber so entscheidend ist das alles nicht.
Die Creators müssen Content liefern, der ihren Followern gefällt. «Wenn wir sehen, dass etwas funktioniert, machen wir natürlich mehr davon», sagt Andrew. So sei schliesslich auch ihr Account gewachsen. Und warum kommt ausgerechnet ihr Content so gut an? «Ehrlich?», fragen die beiden, «wir wissen es auch nicht genau.»
In der Gondel zurück ins Tal erzählt David Kestens den Influencern von den beiden älteren Herren, die sagten, sie würden die Social-Media-Welt nicht mehr verstehen. Thomas meint trocken: «Verständlich. Ich verstehe sie auch kaum.»