James Bond ist halber Schweizer – immerhin ist die fiktive Mutter des fiktiven britischen Geheimagenten laut 007-Erfinder Ian Fleming eine Waadtländer Bergsteigerin namens Monique Delacroix. Vermutlich liegt es aber nicht an Bonds Herkunft, dass einige Szenen der Filmreihe – und es sind nicht die schlechtesten – in der Schweiz gedreht wurden. Unser Land punktete eher mit spektakulären Gebirgslandschaften, verschwiegenen Banken («Money’s the religion of Switzerland», erklärt Bond seinem Chef M) und als neutraler Tummelplatz für Geheimdienste.
Schon in «Goldfinger» (1964) spielen mehrere Szenen in der Schweiz. Noch viel bedeutender als Schauplatz ist sie aber im sechsten Streifen der offiziellen Reihe: «On Her Majesty’s Secret Service» («Im Geheimdienst Ihrer Majestät», 1969). Hier befindet sich selbst das Hauptquartier des Bösewichts Blofeld auf Schweizer Territorium – im Drehrestaurant Piz Gloria auf dem Schilthorn. Seinen rätoromanisch anmutenden Namen verdankt das Restaurant übrigens dem fiktiven Berggipfel aus der Romanvorlage von Ian Fleming.
Die Dreharbeiten für diesen Bond-Streifen – die grösste Filmproduktion, die es hierzulande bisher gab – dauerten mehr als sieben Monate. Studioaufnahmen gab es nur wenige; vielmehr diente die Schweizer Berglandschaft als Kulisse für atemberaubende Action-Szenen. Selbst eine Lawine wurde für die Aufnahmen per Sprengung ausgelöst, notabene ohne behördliche Bewilligung.
Der Einfall dieser Produktionsmaschinerie in die beschauliche Berner Bergwelt wurde von der Boulevardzeitung «Blick» dokumentiert, deren Reporter die Dreharbeiten nahezu täglich begleiteten. Das Spektakel hinterliess zwangsläufig auch Spuren in den Fotoalben der Einheimischen: Dutzende junge Männer und Frauen wurden für den Film rekrutiert; Stuntmen, Komparsen, Barmänner, Hotelmanager und Zimmermädchen begegneten den Filmstars in Fleisch und Blut. Und viele Einwohner von Mürren, dem Hauptquartier der Filmproduktion, erlebten die Dreharbeiten hautnah mit.
Aus diesem umfangreichen Fundus von Geschichten, Bildern und Dokumenten haben die Bond-Kenner Peter Wälty und Steffen Appel einen eindrücklichen Bildband destilliert, der auf mehr als 360 Seiten über 700 Abbildungen präsentiert – viele davon werden zum ersten Mal gezeigt. «The Blofeld Files» ist allerdings nicht einfach eine simple Bildersammlung, sondern versteht sich, wie der Klappentext betont, «als illustriertes Zeitdokument zum Dreh von ‹On Her Majesty’s Secret Service› in der Schweiz».
Die Autoren haben denn auch weitgehend auf offizielle Fotos der Produktionsfirma EON verzichtet. Ihre Auswahl des Materials war vielmehr vom Anspruch geleitet, eine intime, spontane und authentische Nähe zu Cast und Crew herzustellen – vor und hinter den Kulissen. Der englische Begleittext liefert dazu den soziokulturellen Kontext und bietet Hintergrundinformationen über den Lifestyle der späten Sechzigerjahre. Damit ist dieser Bildband nicht nur ein Muss für hartgesottene Bond-Fans und Film-Freaks, sondern hat auch jenen etwas zu bieten, die sich für die Ästhetik der Sixties begeistern.
«The Blofeld Files» kommen zu einem Zeitpunkt auf den Markt, da die Marke «Bond» wieder einmal vor einer Neudefinition steht. Nachdem die Produzenten-Familie Broccoli beinahe 60 Jahre lang die kreative Kontrolle über die Filmreihe behalten hatte, hat sie die wohl grösste Franchise der Filmgeschichte an Amazon MGM Studios abgegeben. Wie sich dies auf die «Identität» des britischen Geheimagenten auswirken wird, steht in den Sternen.
Auch George Lazenby – der übrigens ein Vorwort zum Bildband beigesteuert hat – glaubte nach «On Her Majesty's Secret Service», der klassische Bond sei überholt: Die Figur sei ein Relikt aus einer vergangenen Ära und werde den Übergang zu den 1970er-Jahren nicht überleben. Er lehnte das Angebot der Produzenten für sechs weitere Bond-Filme ab – mit katastrophalen Folgen für seine Filmkarriere. Lazenby glaubte am Ende, die Bond-Produzenten hätten sich an ihm gerächt und dafür gesorgt, dass er nie wieder eine bedeutende Rolle erhielt. Wälty/Appel kommentieren dies in «The Blofeld Files» lakonisch mit dem Satz: «Es gibt keine Beweise für diese Behauptung, aber viele, die Lazenbys Arroganz bestätigen.»
Die eigens für die Dreharbeiten ein Stockwerk unter dem Alpensaal eingerichtete Kantine mit Grossküche kann bis zu 120 Personen bewirten. Bond-Darsteller Lazenby und seine Kolleginnen tragen Bademäntel über ihren Kostümen, damit diese nicht von Flecken verunreinigt werden können.
Auch in der Bundesstadt Bern spielen einige Szenen des Films. Lazenby verbringt die Nacht in Zimmer 317 (jetzt 411) des Hotels Schweizerhof. Weit ist es nicht zum Set: Der Dreh findet praktisch direkt vor seinem Zimmer statt. Bond empfängt hier den Safeknacker, den ihm der MI6-Agent Shaun Campbell per Baukran auf den Balkon hievt. Hinter der Balkontür befindet sich das vermeintliche Büro der Anwaltskanzlei Gebr. Gumbold, in dem Bond den Safe entdeckt, der Dokumente mit Blofelds Adresse enthält.
Nach den Dreharbeiten in Bern findet eine Party im Hotel Jungfrau statt. Lazenby tanzt in Après-Ski-Schuhen der ursprünglich in Mürren ansässigen Firma Kandahar mit Crew-Mitgliedern. Dabei geht es mitnichten wild zu und her: «Blick»-Fotograf Felix Aeberli, der mit seiner Kamera dabei war, kommentierte später:
Bond im Kreise von hübschen Frauen ... Die Szene ist freilich längst nicht so harmlos, wie sie den Anschein macht: Die zwölf jungen Frauen auf Piz Gloria sind in Wirklichkeit Schläferagenten, die von Bösewicht Blofeld einer Gehirnwäsche unterzogen wurden. Das Schminkset, das sie jeweils vor ihrer Abreise in die verschiedenen Kontinente als Weihnachtsgeschenk erhalten, hat es in sich: Der Parfümzerstäuber enthält ein Unfruchtbarkeitsvirus, das Vieh und Feldfrüchte unfruchtbar machen und eine weltweite Hungersnot auslösen soll; ein als Puderdose getarnter Funksender dient Blofeld dazu, die Schläfer bei Bedarf zu aktivieren.
«On Her Majesty’s Secret Service» ist der einzige Film aus der Bond-Serie, in dem George Lazenby die Rolle von 007 spielt. Der zuvor völlig unbekannte Australier setzte sich im Casting unter anderem deshalb durch, weil er bei Probeaufnahmen einem Stuntman versehentlich die Nase brach. So robust Lazenby aber physisch wirken mochte – als Kind sah es zunächst nicht gut aus für ihn: Die Ärzte mussten ihm eine und eine halbe Niere entfernen – deshalb die Narben – und prophezeiten, er werde nicht viel älter als zwölf Jahre alt werden.
An einem drehfreien Tag besucht Lazenby in Begleitung des israelischen Bond-Girls Helena Ronee die Urania-Wache der Stadtpolizei Zürich. Kommissar Fritz Oertle erklärt dem Bond-Darsteller, wie «seine Kollegen» – so schreibt damals der «Blick» – arbeiten, und Lazenby darf sogar eine Maschinenpistole in die Hand nehmen.
Curling auf der Bergstation Piz Gloria: Bond trägt einen erdfarbenen Ulster-Mantel von Hilary Bray, der mit der farbenfrohen und modischen Erscheinung der jungen Frauen kontrastiert. Dieser viktorianische Mantel mit Umhang – übrigens ein beliebtes Kleidungsstück in Arthur Conan Doyles «Sherlock Holmes»-Romanen – wurde ursprünglich für Kutscher entworfen, um sie beim Warten vor Regen zu schützen.
Diana Rigg, die im Film Teresa «Tracy» di Vincenzo spielt, mochte Lazenby nicht. Ihr offener Brief an Lazenby, der 1970 im «Daily Sketch» veröffentlicht wurde, sagt alles:
Rigg ist nicht die Einzige, die Lazenby nicht ausstehen kann. Er gilt als aussergewöhnlich anspruchsvoll und irritiert mit kulinarischen Sonderwünschen, etwa Filet Mignon zum Frühstück. «Die Rolle ist ihm zu Kopf gestiegen», sagt Ruedi Meyer, Direktor des Hotels Jungfrau. Set-Doktor Dr. Rolf Heimlinger, der von Lazenby oft um Rat gefragt wurde, sieht es differenzierter: