
Benjamin Bartholomä outete sich mit 17 Jahren als trans. Bald darauf folgten erste operative Eingriffe.Bild: zvg
Interview
Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) will operative Geschlechtsangleichungen für Minderjährige auf nationaler Ebene verbieten. Ein trans Mann erzählt, was das für ihn bedeutet hätte.
09.07.2025, 19:0010.07.2025, 10:37
Herr Bartholomä, wann wurde Ihnen klar, dass Sie trans sind?
Benjamin Bartholomä: Ich wusste mit zwölf Jahren, dass ich trans bin. Mein Outing hatte ich dann mit 17. Kurz davor googelte ich oft: «Wie weiss ich, dass ich trans bin?» Dabei habe ich mich an Geschichten anderer trans Menschen orientiert. Irgendwann bin ich an den Punkt gelangt, an dem ich akzeptiert habe: Wenn ich mich immer frage, ob ich trans bin, und als Mann wahrgenommen werden möchte, dann bin ich es wahrscheinlich auch.
Was heisst «trans»?
Eine Person, deren
Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihr
bei der Geburt zugewiesen wurde, ist
trans. «Trans» wird oft als Adjektiv verwendet und kleingeschrieben (z.B. trans Mann oder trans Jugendliche).
Ein
trans Mann wurde bei der Geburt aufgrund körperlicher Merkmale als Mädchen eingeordnet, eine
trans Frau als Junge.
Transition oder
Geschlechtsangleichung meint den Prozess, bei dem trans Menschen zum Beispiel medizinische oder juristische Änderungen vornehmen, um ihre Lebensumstände ihrer Geschlechtsidentität anzupassen.
Weitere Informationen:
TGNS.
Wie haben Sie Ihre eigene Transition erlebt? Wie ging es Ihnen damals?
Bevor ich akzeptiert habe, dass ich trans bin, sah ich meine Zukunft als ein schwarzes Loch. Für mich war klar: Ich möchte sterben, bevor ich eine erwachsene Frau bin. Ich kann nicht als Frau leben. Nur konnte ich es damals nicht so ausdrücken. Nach meinem Outing hatte ich plötzlich ganz viele Zukunftswünsche, Dinge, die ich erleben wollte. Ich freute mich zum Beispiel darauf, irgendwann Papi zu werden oder zu heiraten.
«Als ich mit den Hormonen anfangen konnte, fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen.»
Welchen Unterschied machten die angleichenden Massnahmen für Sie?
Als ich mit den Hormonen anfangen konnte, fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen. Endlich veränderte sich mein Körper in eine Richtung, die mit meinem Inneren übereinstimmte. Bald darauf machte ich auch eine erste operative Angleichung. Davor hatte ich schwere psychische Probleme, ich war suizidal. Das hörte mit meiner Geschlechtsangleichung auf.
Was denken Sie, welche Auswirkungen es für Sie gehabt hätte, wenn Sie noch länger auf die Transition hätten warten müssen?
Ich weiss nicht, ob ich heute noch am Leben wäre. Ich sah damals keine Möglichkeit, als Frau zu leben. Noch länger zu warten, wäre für mich wohl unaushaltbar gewesen.
«Noch länger zu warten, wäre für mich wohl unaushaltbar gewesen.»
Lass dir helfen!
Du glaubst, du kannst eine persönliche Krise nicht selbst bewältigen? Das musst du auch nicht. Lass dir helfen.
In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in suizidalen und depressiven Krisen da sind – vertraulich und kostenlos.
– Die Dargebotene Hand: Tel 143, www.143.ch
– Beratung + Hilfe 147 für Jugendliche: Tel 147, www.147.ch
– Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch
Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli möchte operative Geschlechtsangleichungen bei Minderjährigen verbieten. Für den Kanton Zürich hat sie bereits einschränkende Massnahmen verhängt. Was löst diese Nachricht bei Ihnen aus?
Der Entscheid hat mich schockiert, weil ich weiss, dass damit unnötiges Leiden erzeugt wird. Ich frage mich: Was ist der Sinn und Zweck, auf eine Gruppe loszugehen, die es ohnehin schon schwieriger hat und marginalisiert ist? Und ich dachte mir: Die rechte Propaganda, die trans Personen zur Zielscheibe macht, hat auch hier Auswirkungen.
«Ich weiss, dass damit unnötiges Leiden erzeugt wird.»
Rickli argumentiert, dass sie Jugendliche mit diesem Entscheid davor schützen möchte, übereilte Entscheidungen zu treffen, die nicht mehr umkehrbar sind. Können Sie diese Argumentation nachvollziehen?
Detransition, also das Rückgängigmachen einer Geschlechtsangleichung, ist vor allem medial und politisch immer wieder ein Thema. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass wir von einem oder zwei Prozent reden, die ihre Geschlechtsangleichung bereuen. Die einzelnen Schicksale sind schlimm und da müssen wir hinschauen. Wir müssen aber aufpassen, dass wir das Phänomen nicht aufbauschen.

Natalie Rickli hielt am Montag eine Medienkonferenz zu medizinischen Eingriffen bei trans Jugendlichen ab.Bild: keystone
Sie sehen also kein Problem in der heutigen Handhabung?
Wenn man trans Kinder und Jugendliche wirklich schützen will, dann schafft man mehr Beratungs- und Begleitungsangebote, man erschwert ihnen nicht den Zugang zu medizinischen Behandlungen. Ich glaube, hier wird ein Problem bearbeitet, das gar keines ist. Und die tatsächlichen Probleme von Jugendlichen, die trans sind, sind damit auch nicht gelöst. Im Gegenteil.
«Die tatsächlichen Probleme von Jugendlichen, die trans sind, sind damit nicht gelöst.»
Pubertätsblocker und Hormontherapien für Minderjährige sollen nur noch unter wissenschaftlicher Begleitung abgegeben werden, fordert Rickli. Ihrer Erfahrung nach: Welche Folgen könnten solche Einschränkungen für Kinder und Jugendliche haben?
Wenn trans Jugendliche keine Pubertätsblocker nehmen, kommen sie irgendwann in die biologische Pubertät. Ohne Hormonblocker und anschliessende Hormontherapie entwickelt sich der Körper in dieser Zeit weiter, da passieren Veränderungen, die nicht umkehrbar sind. Wenn ein trans Mädchen zum Beispiel den Stimmbruch durchläuft, wird es für immer eine tiefe Stimme haben. Das könnte mit einer Hormonbehandlung vermieden werden. Oder ein trans Junge bekommt Brüste, die später operativ entfernt werden müssen. All das kann zu erhöhten psychischen Problemen und einer höheren Suizidalität führen. Und das in einer Gruppe, die ohnehin schon häufiger von psychischen Problemen und Suiziden betroffen ist.
Was müsste Ihrer Meinung nach stattdessen geschehen?
Es gibt Empfehlungen von Fachpersonen zum optimalen Umgang mit trans Jugendlichen. Dort steht, dass Jugendliche die Möglichkeit haben sollten, ihre Pubertät zu verzögern, damit sie mehr Zeit haben und möglichst eng begleitet und beraten werden sollten. Aber nirgendwo steht, dass man den Zugang zu geschlechtsangleichenden Massnahmen erschweren sollte.
Ab welchem Alter finden Sie es sinnvoll, geschlechtsangleichende Operationen zu erlauben?
Dafür gibt es keine pauschale Antwort. Aber ich denke, es ist wichtig, dass wir das Narrativ verändern: Bei Kindern unter 14 Jahren werden keine Operationen durchgeführt. Dort kommen Hormonblocker zum Einsatz, die wichtig sind, damit die Pubertät nicht einsetzt. Denn dann beginnen der Stimmbruch, Bartwuchs oder das Wachsen der Brüste.
«Bei Kindern unter 14 Jahren werden keine Operationen durchgeführt.»
Was würden Sie Kindern und Jugendlichen empfehlen, die sich eine Geschlechtsangleichung überlegen oder die ihre Transidentität neu entdeckt haben?
Das Allerwichtigste ist, Leute zu finden, mit denen man sich austauschen kann. Das Transgender Network Switzerland hat zum Beispiel eine Jugendgruppe, bei der man sich melden kann. Dann gibt es den Verein Du bist Du von der Fachstelle Sexuelle Gesundheit Zürich, dort beraten Jugendliche und junge Erwachsene, die selbst queer sind. Schliesslich würde ich empfehlen, sich Leute im eigenen Umfeld zu suchen, denen man vertraut und mit denen man ein gutes Verhältnis hat. Das müssen nicht die eigenen Eltern sein, das kann auch eine Lehrperson oder ein Grosselternteil sein. Das ist das Wichtigste: Nicht damit alleine zu bleiben.

Bartholomä dient beim Militär als Seelsorger und schliesst bald sein Theologiestudium ab.Bild: zvg
Welchen Rat haben Sie für Eltern, wenn sich ihr Kind als trans outet?
Sie sollten sich zum einen selbstständig über das Thema informieren und das nicht dem Kind überlassen. Denn dieses ist in dieser Situation ohnehin bereits belastet. Aber auch als Elternteil muss man nicht alleine bleiben. Das Transgender Network Switzerland bietet Elterngruppen an. Ein Coaching oder Familienberatung können in dieser Situation ebenfalls sinnvoll sein. Das Wichtigste aber ist: dem eigenen Kind zuzuhören, es ernst zu nehmen und mit offenem Herzen mit dem Kind umzugehen.
Wie reagierten Ihre Eltern auf Ihr Outing?
Meine Mutter unterstützte mich sehr. Wenn andere sie dafür kritisierten, dass sie mir die Geschlechtsangleichung erlaubte, antwortete sie jeweils: «Ich habe lieber einen glücklichen Sohn als eine tote Tochter.»
Zur Person
Benjamin Bartholomä ist 27 Jahre alt. Vor zehn Jahren outete er sich als trans. Mit 17 Jahren begann er eine Hormontherapie, später folgten operative Eingriffe. Heute studiert Bartholomä Theologie und arbeitet als Leiter der LGBTQ+ Fachstelle für die reformierte Kirche der Stadt Zürich und leistet seinen Dienst bei der Armee als Seelsorger. Er ist verheiratet und lebt in Zürich.
Diese Massnahmen trifft die Gesundheitsdirektion Zürich:
Liebe watson-Community, danke, dass ihr bei diesem sensiblen Thema respektvoll bleibt. Denkt dran: Betroffene lesen mit.
Von Shein zu Cartier am Openair Frauenfeld wird alles getragen. Seit Mittwoch ist das grösste Hip-Hop-Festival von Europa wieder in vollem Gange. Auch dieses Jahr lockt das Festival mit Headlinern wie ASAP Rocky oder 50 Cent wieder Unmengen Besucher an.
Der Boden am Openair Frauenfeld im Thurgau ist uneben und dreckig. Ein gutes Schuhwerk wäre am grössten Hip-Hop-Festival Europas nur angebracht – könnte man denken. Doch falsch gedacht. Der Gedanke bleibt einer. Für den perfekten Auftritt auf dem Catwalk am Openair verzichten die Besucherinnen und Besucher auch dieses Jahr nicht auf ihre hohen Schuhe, teuren Ketten und (fake) Louis-Vuitton-Taschen.
«Ich habe lieber einen glücklichen Sohn als eine tote Tochter.» 🌹
Dieser einfache Satz ist sehr berührend.
Das Leiden derjenigen, die sich einer Geschlechtsangleichung unterziehen möchten, ist real - es ist kein Modeeffekt. Und es wäre eine große Verschwendung, wenn Missverständnisse zwischen Eltern und Kindern zu ihrem Leid noch hinzukämen.
Es ist keine einfache Situation, aber das Einzige, was helfen kann, ist, den Dialog aufrechterhalten.
Und für die eigene Kinder da sein.
Was mich daran immer bisschen stört ist die Aussage "mir wurde bei der Geburt das männliche/weibliche Geschlecht zugewiesen".
Zugewiesen klingt, als hätte die Hebamme eine Münze geworfen oder je nach Tagesform entschieden, ob es jetzt ein Junge oder Mädchen sein soll.
Ich fände daher das Verb 'festgestellt' treffender, da nun mal aufgrund der äusseren Merkmale festgestellt wird, welches Geschlecht das Kind hat.
Auch der erwähnte Unterschied zwischen Pubertätsblockern, Hormontherapie und angleichenden Operationen wird von transphoben Gruppen gerne mit Absicht weggelassen. Pubertätsblocker sind für einen Zeitraum von einigen Jahren reversibel. Es gibt daher keinen rationalen Grund, diese Jugendlichen mit einer Geschlechtsdysphorie vorzuenthalten.