Mein Kurztrip aus dem lauten Familien-Alltag in die Ruhe
Ich will nicht klagen. Das Leben mit drei Kindern mit kurzem Altersabstand ist selbst gewählt und wunderbar. Meine Frau und ich arbeiten beide Teilzeit, teilen uns die Erziehung so gut wie möglich auf.
Wichtig ist uns auch, dass wir uns Freiräume geben. Ausflüge mit Freunden, Weekends mit Freundinnen – das soll alles Platz haben.
Was bei alldem meist fehlt: Ruhe. Einfach mal Stille. Beim Nachtessen von niemandem gestört werden, mit niemandem reden – etwas, das ich lange nicht mehr erlebt habe. Restaurantbesuche sind mit drei kleinen Kindern nicht immer einfach. Meistens verzichten wir darauf. Und manchmal wünsche ich mir, dass ich einfach irgendwo alleine in ein Restaurant sitzen und das Abendessen geniessen kann.
Wie gerufen kam da die Einladung zu einer «Alleinreise». Das sei im Trend. Zwei Nächte im Hotel Schweizerhof Flims, mit einem «wohltuenden Rahmen für Solo-Traveller». Ich bin ja eigentlich ein erfahrener Solo-Traveller. Früher bereiste ich die Welt mehrmals, verbrachte Monate in Südafrika und Chile.
Allerdings war es immer so: Ich ging zwar alleine, freundete mich aber schnell mit irgendwelchen Leuten an und war dann doch oft in Gesellschaft unterwegs. Dieses Mal soll es absichtlich nicht so sei.
Diese «Solo-Trips» seien auf dem Vormarsch. In Japan ist die Industrie am weitesten fortgeschritten. Du kannst da angeblich auch einen eigenen Raum in einer Karaoke-Bar mieten.
In Deutschland verreisten 2023 rund 2,3 Millionen Menschen alleine. In einem ZDF-Beitrag verrät eine Frau ihren Grund für das Alleinreisen: «Einfach mal zu sich kommen. Ein bisschen Kraft schöpfen.» In der Schweiz werben mittlerweile auch diverse Reiseveranstalter mit Alleinreisen.
Eine Anfrage beim Bundesamt für Statistik (BfS) zeigt: Zahlenmässig gab es seit 2020 eine Zunahme, allerdings hängt dies auch eng mit der Coronapandemie zusammen. Die neuesten BfS-Daten von 2024 weisen mit jährlich rund 15 Millionen Alleinreisen (ohne Geschäftsreisen) den höchsten Wert aus. Dieser liegt mehr oder weniger auf den Vor-Corona-Werten.
Eigentlich kein Wunder: In mehr als jedem dritten Schweizer Haushalt lebt nur eine Person. Rund 1,5 Millionen Menschen in der Schweiz wohnen in einem Einpersonenhaushalt, das sind rund 37 Prozent der Bevölkerung. Einpersonenhaushalte nehmen zu. Das BfS schätzt, dass diese Zahl bis ins Jahr 2050 weiter wachsen wird. Warum also nicht auch alleine in die Ferien?
Bei Schweiz Tourismus wird auf Anfrage auf den Tourismus Monitor Schweiz TMS verwiesen (aktuellste Daten von 2023). Alleinreisende machen dabei 10,9 Prozent aller Touristen (international und national) aus. Bei den Unter-35-Jährigen sind sie am häufigsten vertreten.
Schweiz Tourismus teilt die Gäste in sechs Charaktere ein. In den Kategorien «Local Explorer» (suchen neue Eindrücke, aber auch Herausforderungen, physisch wie kulturell) und «Active Adventurer» (reisen, um ihren Sport zu betreiben) ist der höchste Anteil Alleinreisender zu finden.
Graubünden gehört zu den Regionen, welche das Thema Alleinreisen auf dem Radar haben: «Wir beobachten den Trend ‹Solo Travel› genau. Dieser birgt Potenzial, da einerseits immer mehr Menschen allein reisen, andererseits Alleinreisende meistens nicht an Schul- oder Semesterferien gebunden sind», schreibt Thalia Wünsche von Graubünden Ferien auf Anfrage.
Für die einzelnen Destinationen habe man den Praxis-Impuls «Alleinreisende» dieses Jahr erstellt. Darin heisst es unter anderem, dass Solo-Reisende höhere Pro-Kopf-Ausgaben während der Reise verzeichnen. Der Begriff «Solo Travel» sei «seit 2023 eines der am meisten nachgefragten Themen im Nischentourismus».
Genaue Zahlen zu Alleinreisenden werden in Graubünden nicht erfasst. Gemäss Thalia Wünsche gehen viele Destinationen noch zurückhaltend mit dem Thema um. Die Website mit Informationen für Alleinreisende in Graubünden wird derzeit überarbeitet. Spezifische Angebote gibt es im Kanton teilweise, so auch im Hotel Schweizerhof, wo ich meine Auszeit verbringe.
Wichtig dabei: Ich reise alleine an, habe meinen Einzeltisch im Restaurant reserviert, kann die Wellness-Angebote nutzen oder einfach mein Einzelzimmer geniessen. Es gibt aber auch täglich (Gruppen-)Angebote für eine Mountainbike-Ausfahrt, Waldbaden oder Kinoabende auf der Dachterrasse.
«Man kann sich jederzeit einer Gruppe anschliessen oder für sich alleine die Zeit geniessen», sagt Hoteleigentümer Christoph Schmidt. Wie eingangs erwähnt, soll der Aufenthalt eher einer Auszeit entsprechen, darum verzichte ich auf die Gruppenangebote.
Ich verbringe meine Tage in Flims meist draussen. Alleine gehe ich auf zwei Wanderungen, geniesse die Stille frühmorgens am Caumasee, Waldbaden wollte ich schon lange mal probieren, den Kinofilm auf der Dachterrasse schenke ich mir. Ungewohnt ist vor allem: Morgen- und Abendessen an einem Einzeltisch. Was für ein Kontrast zu meinem lauten und hektischen Familienalltag.
Um mich herum zähle ich während eines Abendessens noch weitere fünf Alleinreisende. Es sind meist Frauen. «Wir haben viele Mütter, die sich hier mal eine Auszeit gönnen», sagt Schmidt. Viele haben ein Buch dabei. «Zuhause müssen sie jeden Tag funktionieren, hier können sie einfach mal sein.»
Schmidt schätzt den Anteil Alleinreisender in seinem Hotel auf rund zehn Prozent, je nach Saison. Das Angebot komme insgesamt gut an, wie der Hotelier, der das Haus zusammen mit seiner Frau in vierter Generation führt, erklärt: «Ein Hotel lebt nicht nur durch die ‹Hardware›, sondern durch die ‹Software›. Das Angebot trifft den Zeitgeist.»
Ich habe die «drei Tage abschalten» total genossen. Einfach mal wieder Zeit für sich haben – unbezahlbar. Ich weiss, ich bin privilegiert, dass ich das machen konnte. Allerdings musste ich auch feststellen: Ich habe schon gerne Leute um mich. Ein Abendessen alleine in einem Restaurant – das ist für mich gewöhnungsbedürftig und zwischendurch super. Aber den ganz normalen Familien-Wahnsinn, den vermisse ich dann schon.
Die Reise erfolgte auf Einladung des Romantik Hotel & Spa Schweizerhof Flims.
