«Weder Ihr Gang, Ihr Gehabe oder Ihre Bekleidung haben auch nur annähernd darauf hingedeutet, dass Sie homosexuell sein könnten»: Das ist nicht der einzige Satz in einem negativen Asylbescheid der österreichischen Behörden für einen 18-jährigen Flüchtling aus Afghanistan, der beim Lesen Kopfschütteln auslöst.
Auch Freunde habe der Gesuchsteller nicht sehr viele, heisst es dort: «Sind Homosexuelle nicht eher gesellig?» So formuliert der zuständige Beamte seine Zweifel. «Sie sind nicht homosexuell und haben daher bei Ihrer Rückkehr nach Afghanistan nichts zu befürchten», kommt er zum Schluss. Der Afghane hat gegen den Entscheid Rekurs eingelegt.
Die Enthüllung des Wiener Magazins Falter über die Argumentation des Beamten sorgt in Österreich für Aufsehen. Auch in der Schweiz löst das Thema Homosexualität im Asylrecht regelmässig Diskussionen aus.
So etwa im Fall des nigerianischen Staatsbürgers O., der nach Bekanntwerden einer homosexuellen Beziehung vom eigenen Vater mit dem Tod bedroht wurde. Nach seiner Flucht in die Schweiz wurde sein erstes Asylgesuch 2014 abgelehnt, was zahlreiche Protestaktionen auslöste. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hielt seine Geschichte nicht für glaubwürdig. Im Januar 2017 änderten die Behörde ihre Meinung und anerkannte O. als Flüchtling.
Grundsätzlich wird Homosexualität in der Schweiz unter bestimmten Umständen als Asylgrund anerkannt. Menschen, welche aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt werden, rechnet das SEM zu den «Opfern aus Gründen der sexuellen Orientierung/ Geschlechtsidentität» (englisch: sexual orientations/gender identity, SOGI). Eine automatische Anerkennung geht damit aber nicht einher.
«Jeder Fall muss einzeln und umfassend geprüft werden», sagt SEM-Sprecherin Emmanuelle Jaquet von Sury auf Anfrage. Im Zentrum steht die Glaubwürdigkeit der Aussagen. Es genüge nicht, der Kategorie SOGI anzugehören. Asylsuchende müssten glaubhaft machen können, dass sie aufgrund ihrer Homosexualität einer «asylrelevanten Verfolgung» ausgesetzt waren oder eine solche befürchteten, erläutert Jacquet von Sury.
Dass wie im österreichischen Fall Beamte aufgrund oberflächlicher Kriterien eine Aussage über die Homosexualität von Asylsuchenden treffen, ist laut Jacquet von Sury in der Schweiz nicht möglich. «Die Prüfung der Glaubwürdigkeit bezieht sich auf die erlittenen oder drohenden Benachteiligungen, nicht auf die Frage der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität.»
Dennoch würden LGBTI-Asylsuchende teilweise immer noch Fragen zu ihren sexuellen Beziehungen gestellt, wie Muriel Trummer von der Menschenrechtsorganisation Amnesty Schweiz kritisiert. «Argumente, welche gegen das Glaubhaftmachen der Homosexualität herangezogen werden, basieren teilweise immer noch auf stereotypen Vorstellungen von homosexuellen Asylsuchenden.»
Auch in den Augen von Jakob Keel gibt es hierzulande noch Nachholbedarf beim Thema Homosexualität im Asylrecht. Er ist seit 6 Jahren bei der Queeramnesty engagiert, der LGBTI-Sektion der Menschenrechtsorganisation Amnesty Schweiz.
Für das SEM reicht es gemäss Keel oft nicht als Asylgrund aus, als Homosexueller aus einem Land geflohen zu sein, in dem Homosexuelle verfolgt würden: «Immer wieder werden Gesuche abgelehnt, weil angeblich keine ausreichende persönliche Bedrohung vorliegt.»
SEM-Sprecherin Emanuelle Jacquet von Sury kontert Keels Kritik mit dem nüchternen Verweis auf die juristischen Leitplanken. Sei das Herkunftsland eines Asylbewerbers nicht für eine «systematische kollektive Verfolgung» von Homosexuellen bekannt, werde jeder Einzelfall danach beurteilt, ob eine persönliche und gezielte Verfolgung vorliege. Die Betroffenen müssten Opfer erkennbarer Massnahmen oder eines unerträglichen psychischen Drucks aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität geworden sein.
Für Jakob Keel von Queeramnesty ist diese Begründung unzureichend. In ihm bekannten Einzelfällen seien die Gesuche von homosexuellen Asylbewerbern in der Schweiz abgelehnt worden – «in anderen Mitgliedsstaaten des Dublin-Abkommens wie etwa Deutschland oder die Niederlande hingegen wären sie als Flüchtlinge anerkannt worden. Hier ist die Schweizer Praxis unzureichend.»
Und dennoch findet Keel mit Blick auf das Nachbarland auch versöhnliche Worte für die Schweizer Behörden: «Etwas dermassen Blödes wie diese Ablehnungsbegründung aus Österreich habe ich in meiner jahrelangen Tätigkeit in der Schweiz noch nicht gesehen.»