Gute Aussichten für alle, die den Bund fürs Leben schliessen wollen: In der Schweiz ist die Zahl der Scheidungen auf den tiefsten Stand seit 2001 gesunken. Wie die neusten Zahlen des Bundes zeigen, gingen vergangenes Jahr 15'900 Ehe in die Brüche. Zum Vergleich: 2010 waren es noch 22'100 Scheidungen. Gleichzeitig bleibt die Zahl der Hochzeiten auf konstant hohem Niveau. Damit hat eine über Jahre geltende Aussage ihre Gültigkeit verloren: Heute wird nicht mehr jede zweite Ehe geschieden, sondern lediglich jede Dritte. Der Rosenkrieg bleibt öfters aus.
Zu dieser Entwicklung beigetragen hat, dass Paare heute länger zusammen sind, bevor sie heiraten. Viele leben über Jahre in einer gemeinsamen Wohnung, bevor sie vor den Traualtar treten. Solche Ehen seien in der Regel stabiler, sagt François Höpflinger, emeritierter Professor für Familiensoziologe an der Uni Zürich. «Jeder kennt die Eigenheiten des Partners und wie man damit umgehen kann.» Zudem würden in der Ehe heute mehr Freiheiten gewährt. Wenn sich Paare nicht auf einen Ferienort einigen könnten, gingen sie schon mal getrennt in den Urlaub. Statt mit dem Partner sei es heute auch üblich, wenn jeder mit seinen Freunden verreist, sagt Höpflinger.
Zum Wunsch nach einer stabilen Beziehung beigetragen haben allerdings auch Brandherde im Ausland: Finanzkrise, Kriege, Terror. Die Krisenjahre haben Spuren hinterlassen. «In einer unsicheren, schnelllebigen Welt bildet die Familie eine Art Insel», sagt Höpflinger. «Traditionelle Werte erhalten neuen Aufwind.» Die Individualisierung habe ihren Höhepunkt überschritten. «Das Singledasein wurde vom Leitbild zum Leidbild», sagt er. Das zeigt sich auch bei den Geburten. In den vergangenen Jahren haben in der Schweiz kontinuierlich mehr Babys das Licht der Welt erblickt.
Für den Anstieg hauptverantwortlich sind nicht Mütter, die viele Babys bekommen, sondern weniger Frauen verbleiben kinderlos. Es gibt mehr Kleinfamilien.
Das hat Auswirkungen auf die Scheidungsrate. Paare, bei denen die Kinder noch zu Hause wohnen, bleiben eher zusammen als solche ohne Nachwuchs. Geschieden wird zudem erst später: So ist der Anteil der Verheirateten, die sich nach 15 Jahren trennen, in den vergangenen Jahren gestiegen. Als Trennungsgrund wird oft «Auseinanderleben» genannt oder dass sich der Ex-Partner in eine andere Person verliebt hat.
Zudem gibt es grosse kantonale Unterschiede. In ländlichen und katholischen Regionen halten die Ehen in der Regel länger. Die wenigsten Scheidungen gibt es in Uri und Appenzell Innerroden. Auch in Nidwalden, Schwyz und Graubünden bleiben Paare öfter zusammen. Hingegen kommt es in Neuenburg, Waadt oder Genf am häufigsten zu Trennungen. Auch in den Städten (Zürich, Bern, Basel) lassen sich Paare öfter scheiden. Das könne auch an den besseren Kinderbetreuungsmöglichkeiten für alleinerziehenden Mütter in den Städten liegen, sagt Höpflinger.
Doch letztlich steckt in den Zahlen nur die halbe Wahrheit. Ob ein Paar zusammen bleibt oder nicht, sei nicht vorherzusehen, sagt Paartherapeut Klaus Heer. Das Problem liege oft in den überhöhten Erwartungen. «Wir gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass wir zu zweit glücklicher sind als alleine – und vor allem, dass uns unser Gegenüber glücklich machen wird», sagt er, «ein tragischer Irrtum». Besser sei, die Erwartungen an den Partner soweit wie möglich herunterzuschrauben.
Einen generellen Rat, wie Paare lange und befriedigend zusammenbleiben können, gibt es laut Heer nicht. Jede Beziehung sei anders. Trotzdem erkennt auch Heer einen Trend: «Dass jede Liebesgeschichte einmal eine sehr schwierige Phase durchläuft, hat sich inzwischen fast überall herumgesprochen.» Das zeigt sich auch in den gesunkenen Scheidungszahlen.