Um 12 Uhr mittags wird in der «Lochmühle» in 6102 Malters, Luzern das Feuerwerk gezündet: Einheiten der Sondergruppe «Luchs», eine auf den Anti-Terror-Kampf spezialisierte Einheit der Zentralschweizer Polizeikorps, stürmen die Wohnung von Frau K.
Das sogenannte «Ablenkungsfeuerwerk» soll Frau K. überrumpeln. Doch der Plan geht schief. Frau K., psychisch krank und urteilsunfähig, flüchtet ins Badezimmer und erschiesst sich mit einem Revolver.
17 Stunden zuvor. Die Kapo Luzern ist auf Ersuchen der Zürcher Staatsanwaltschaft in Malters eingetroffen. Es besteht der Verdacht, dass in der Lochmühle, etwas ausserhalb des Dorfkerns von Malters, eine Indoor-Hanfanlage betrieben wird. Besitzer soll der Sohn von Frau K. sein.
Als die Polizisten eine Hausdurchsuchung durchführen wollen, stossen sie auf Widerstand. Frau K., eine 65-jährige Schweizerin, weigert sich, die Türe zu öffnen. Sie droht, eine Schusswaffe gegen die Polizisten einzusetzen. Und sie droht auch, die Waffe gegen sich selber zu richten.
Die Einsatzkräfte bieten Spezialisten der Einheit «Luchs» auf sowie eine Verhandlungsgruppe, die Frau K. zur Vernunft bringen soll. Das oberste Ziel bei solchen Einsätzen: der Schutz von Leib und Leben.
Daniel Bussmann, Chef Kripo Luzern, und sein Vorgesetzter, Adolf Achermann, höchster Polizist im Kanton, wissen das. Sie wissen gemäss Anklageschrift, die watson vorliegt, auch, dass Frau K. psychisch krank ist, unter paranoider Schizophrenie leidet, und sich mitten in einem psychotischen Schub befindet.
Trotzdem entscheiden sie, am frühen Morgen des 9. März 2016, gewaltsam in die Wohnung von Frau K. einzudringen. Während die Verhandlungsgruppe Frau K. ans Telefon bindet, soll draussen, auf der Rückseite der Wohnung, beim Wald, das Feuerwerk gezündet werden. Frau K., dadurch abgelenkt, würde nach hinten gehen, die Polizei die Wohnungstür mit einer hydraulischen Presse sprengen, ein Interventionshund in die Wohnung stürmen und Frau K. überwältigen.
So weit der Plan. Ein schlechter Plan, wie Staatsanwalt Christoph Rüedi in der Anklageschrift gegen Kripochef Bussmann und Polizeikommandant Achermann festhält. Er erhob Anklage gegen die beiden Polizeikader wegen fahrlässiger Tötung.
Gemäss Staatsanwalt Rüedi hätte es Alternativen gegeben. Man hätte beispielsweise den Sohn von Frau K. beiziehen können. Die beiden pflegten eine enge Beziehung. Bis zu seiner Verhaftung im Kanton Zürich besuchte P. seine Mutter praktisch täglich. Er hätte seine Mutter vielleicht dazu bewegen können, die Polizei in die Wohnung zu lassen.
Oder man hätte Frau K. mit ihrem Anwalt sprechen lassen können, wie sie es gefordert hatte.
Oder man hätte die Verhandlungen weiterführen können. Für Anwohner bestand zu diesem Zeitpunkt keine Gefahr, die Polizei hatte die übrigen Wohnungen und die Nachbarsgebäude evakuiert, sogar die Kantonsstrasse zwischen Malters und Schachen war zeitweise gesperrt.
Oder man hätte einfach warten können. Frau K. erbat während der Verhandlungen um einen Tag Bedenkzeit. Wer weiss, ob sie ihre Meinung nicht geändert hätte. Und wenn nicht, dann wäre sie vielleicht irgendwann eingeschlafen. Frau K., 65 Jahre alt, war seit 17 Stunden auf den Beinen.
Vielleicht würde Frau K. dann heute noch leben.
Doch Daniel Bussmann und Adolf Achermann, entscheiden anders. Trotz Bedenken der Verhandlungsgruppe, trotz Warnungen des Polizeipsychologen. Bussmann, Einsatzleiter vor Ort, gibt das O.K. zum Zugriff. Achermann, sein Vorgesetzter, segnet ab und übernimmt die Verantwortung.
Der Suizid von Frau K., so der ausserordentliche Staatsanwalt Christoph Rüedi, «wäre vermeidbar gewesen».
Bussmann und Achermann wurden am Dienstag der fahrlässigen Tötung angeklagt. Der ausserordentliche Staatsanwalt verlangt für beide eine Geldstrafe. Wann es zur Verhandlung kommt, ist noch offen. Für die Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.
Unter dem Strich war dies einfach ein weiteres Opfer des Drogenkriegs (und damit ein weiteres Indiz dafür, dass man die Drogenpolitik in vielen westlichen Ländern dringend überdenken sollte).
Ich hoffe für die Angeklagten und die Polizeiarbeit in der Schweiz, dass es zu einem vollumfänglichen Freispruch kommt.