Das Bundesgericht in Lausanne wird sich heute Dienstag mit einem ungewöhnlichen Fall beschäftigen müssen: Es geht um die Frage, an wen man sich wenden kann, wenn man mit der Kommentar-Löschpraxis im Internet nicht einverstanden ist.
Normalerweise ist die Sachlage klar: Wer auf Facebook, Twitter, Instagram, watson oder sonst wo einen Kommentar verfasst, hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass er auch erscheint. Es gilt so etwas wie ein «Hausrecht».
Beim Fall, der heute am Bundesgericht verhandelt wird, könnte die Antwort jedoch anders ausfallen: Quasi auf der «Anklagebank» sitzt nämlich die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (kurz SRG), für die möglicherweise andere Regeln gelten könnten. Den Prozess verursacht hat eine junge Schwyzerin, die wir hier in der Story anonymisiert Stefanie Boschetti* nennen wollen.
Der Streit begann vor über einem Jahr im August 2021. Die Internet-Redaktion von SRF veröffentlichte auf Instagram einen Beitrag zur Coronapolitik in Deutschland, die damals die Abschaffung der kostenlosen Coronatests beschlossen hatte. Die junge Schweizerin kommentierte darunter:
Der Kommentar war zwar zynisch formuliert und hätte aufgrund der gleichgültigen Haltung während der Pandemie zu unzähligen Reaktionen geführt. Die Instagram-Redaktion entschied sich, Boschettis Kommentar zu löschen – offiziell, weil man in ihm die «Netiquette» verletzt sah. Inoffiziell, so erinnern sich SRF-Angestellte, habe man verhindern wollen, dass die Debatte aufgrund des einen provokativen Beitrags eskaliert.
Alle Medien und Organisationen, die Diskussionen in den sogenannten «Sozialen Medien» anbieten, kennen dieses Problem: Anders als auf der eigenen Webseite oder in der eigenen App können auf Instagram, Facebook und Co. alle ihren Senf abgeben. Auch jene, welche die Debatte trollen oder gar zerstören wollen. Die Löschung einzelner Beiträge ist dann oft die einzige Möglichkeit, die Debatte zu moderieren.
Boschetti verstand das aber nicht: Sie beschwerte noch im selben Monat bei der Ombudsstelle. Diese wollte sich aber gar nicht mit der Beschwerde befassen, da sie sich für die die Kommentarspalten auf Instagram nicht zuständig sah. Boschetti zog die Abweisung weiter zur Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (kurz UBI), welche im Oktober 2021 ebenfalls zum Schluss kam: Not our business.
Die Frau aus Wollerau SZ wollte sich nicht geschlagen geben und zog den Entscheid weiter ans Bundesgericht. Dieses urteilt überraschenderweise in Vollbesetzung – sprich: in einer Fünferbesetzung. Zu einer solchen Konstellation kommt es nur, wenn es in einem Fall um eine «grundsätzliche Rechtsfrage» geht oder ein Gerichtsmitglied dies verlangt.
Boschetti fand mit der Zürcher Anwältin Silja V. Meyer eine prominente Vertreterin der Covid-Skeptikerszene, die bereits erfolgreich gegen die Zertifikatspflicht an einer Fachhochschule prozessierte. Die Anwältin stellte den Antrag, dass der «gelöschten Beitrag ‹unverzüglich› wiederherzustellen bzw. an der bisherigen Stelle erneut zu veröffentlichen» sei (was technisch nicht so einfach möglich ist) – oder sich die UBI nochmals mit der Beschwerde befassen müsse.
Meyer hat zwar in ihrem Kampf gegen die Coronapolitik des Bundes Siege erzielt, offen bleibt aber, ob ihr das auch diesmal gelingt: In einem Blogbeitrag stellte die Juristin klar, dass es ihr um einen politischen Kampf geht. Sie bezeichnet die Löschung des Kommentars als Beispiel «verfassungswidriger Zensuren» der SRG, welche Meyer irreführend als «an die Grundrechte gebundenen Staatssender» bezeichnet.
Das Bundesgericht dürfte auf diese politischen Rundumschläge kaum wohlwollend reagieren. Offen bleibt, wie sich die Richterinnen und Richter inhaltlich äussern werden. Die UBI beantragt, die Beschwerde von Boschetti abzuweisen. Sie argumentiert, dass es sich bei der «Netiquette» und der Instagram-Kommentarspalte um ein sogenanntes «übriges publizistisches Angebot» handelt. Bei diesem hat das Gesetz üblicherweise nichts zu sagen.
* Name der Redaktion bekannt
Bundesgerichtsfall 2C_1023/2021, verhandelt am 29. November 2022. Besetzung: Präsidentin und Bundesrichterin Aubry Girardin (Grüne) sowie die Bundesrichterinnen Julia Hänni (Mitte; Instruktionsrichterin), Marianne Ryter (SP) und die Bundesrichter Yves Donzallaz (parteilos, ehemals SVP) und Stephan Hartmann (Grüne).
Kann ich jetzt auch vor Bundesgericht alle Schwurbler anklagen, welche mich in den letzten 2 Jahren mit ihrem primitiven Getue persönlich angegriffen haben?
Wahrscheinlich können schon, aber ich habe ja trotz Impfungen noch die volle Denkfähigkeit....