In einem ganzseitigen Brief haben sich der Bieler Reallehrer Alain Pichard (GLP) und der deutsche Autor Thilo Schneider (FDP) in der jüngsten Ausgabe der «Weltwoche» an die Klimajugend gewandt. Ein Auszug:
Das schreiben die Autoren, welche sich selbst als «alte, weisse Männer» bezeichnen.
Die Weltwoche die Klimastreikenden im Voraus angefragt, eine direkte Replik zu verfassen. Was die Aktivisten Rahel Ganarin, Caesar Anderegg und Dominik Waser mit anderen Personen des Redaktions-Kollektivs machten. Schlussendlich hat die Weltwoche ihre Gegenrede aus der Ausgabe gekippt. Der Artikel sei «nicht adäquat für Weltwoche-Leser», hiess es.
Watson springt in die Bresche und veröffentlich die ungekürzte Replik:
Es freut uns, dass auch ihr unseren Widerstand nicht mehr verdrängen könnt. Richtig erkannt, eure Generation hat uns die Suppe versalzen. Doch noch können wir sie mit den richtigen Rezepten wieder geniessbar machen. Ihr wollt uns die Angst nehmen? Wir euch die Ignoranz. Es ist höchst bedenklich, dass ihr in eurem Brief die Klimakrise bagatellisiert, denn es bahnt sich eine reale Klimakatastrophe an. Es ist töricht, die Wissenschaft nicht zu beachten.
Die 20 wärmsten Jahre weltweit sind in den vergangenen 22 Jahren registriert worden. Damit Hand in Hand geht eine Zunahme der Konzentration klimaschädlicher Gase in der Atmosphäre. Die Schweizer Klimaszenarien CH 2018 zeigen, dass «Trockene Sommer», «Heftige Niederschläge», «Mehr Hitzetage» und «Schneearme Winter» absehbare Folgen eines ungebremsten Klimawandels für die Schweiz sind. In den letzten 40 Jahren sind die Gletscherflächen um einen Drittel geschrumpft. Dies führt zu Naturgefahren, Problemen in Tourismus und Wassernutzung, insbesondere für Stromproduktion und Landwirtschaft.
Es geht uns in keinster Weise um freie Schulstunden, sondern darum, unsere Verantwortung für kommende Generationen und Flora und Fauna wahrzunehmen und die drohende Klimakatastrophe abzuwenden. Wir fordern den nationalen Klimanotstand!
Die Klimastreik-Bewegung ist überzeugt, dass Reduzieren und Verzicht die einzigen griffigen Zukunftsstrategien sind. Der globale Anstieg von Flugkilometern und Fleischkonsum – zwei Hauptfaktoren der menschengemachten Klimaerwärmung – ist nicht mehr tragbar und muss gestoppt werden. Verzicht ist essentiell, doch das Problem kann nicht auf individueller Ebene gelöst werden. Wenn der Schweizer Finanzplatz mit seinen Investitionen über 20 Mal mehr CO2-Emissionen als die gesamte Schweiz verursacht, wird ersichtlich, dass die Reduktion von Kaffee-Plastikdeckeln nicht mehr als Kosmetik ist. Stattdessen brauchen wir strukturelle Veränderungen unserer Wirtschaft, die eine nachhaltige Gesellschaft ermöglicht.
Das hat nichts mit Kommandowirtschaft zu tun, sondern mit einem energischen Wandel hin zu einem demokratischeren System, das auf den Interessen aller basiert. Wenn dieser dringend notwendige Umbruch ausbleibt, wird trotz Erfindergeist unser Leben weiterhin vom Raubbau an der Natur und der Ausbeutung der Arbeit abhängen. Ja, innovative erneuerbare Energien sind ökologisch sinnvoll. Doch es gilt zu beachten, dass auch sie aus Profitgründen produziert werden, nicht aus Gründen der Ökologie. «Grünes Wachstum» kann keine Alternative sein. Der von euch hochstilisierte Steve Jobs steht für eine fortschrittliche, erfolgreiche Marke. Trotzdem funktioniert Apple, wie fast alle andere Grosskonzerne, nur mittels einer rücksichtslosen Firmenpolitik, die verheerende ökologische und soziale Folgen in Kauf nimmt.
Es stimmt, dass wir in eine Gesellschaft hineingeboren wurden, der es noch nie so gut ging wie heute. Doch Wohlstand und Freiheit verpflichten unweigerlich zu globaler Verantwortung. Denn unser Reichtum basiert auf der Armut anderer. Genau weil jeder Mensch auf der Welt den gleichen Anspruch auf Rechte und Freiheiten hat, ist Klimagerechtigkeit eine Hauptforderung von Klimastreik Schweiz!
Natürlich sind Forschung und Wissenschaft, insbesondere in Bezug auf Umweltfragen, unerlässlich. Obwohl seit Jahrzehnten unzählige wissenschaftliche Studien zum Klimawandel veröffentlicht werden, finden die Resultate in der Politik geringe Beachtung. Ein naturwissenschaftliches Studium allein ändert darum wenig. Ein beträchtlicher Teil der Forschung richtet sich nicht nach ökologischen Gesichtspunkten, sondern nach den Bedürfnissen der Wirtschaft. In Bildungsfragen auf den liberalen Markt zu vertrauen, ist daher keine Option.
Das kürzlich vom Parlament abgelehnte CO2-Gesetz ist nur das letzte traurige Beispiele der Willenlosigkeit der Schweizer Politik, griffige Massnahmen für den Klimaschutz zu beschließen. Damit sich die Politik endlich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung besinnt und die jetzige Extremsituation als solche anerkennt, braucht es einen energischen demokratischen Umbruch. Dieser setzt den Druck der Zivilbevölkerung voraus. Demonstrationen sind ein essenzielles Instrument zur Herstellung unmittelbarer, demokratischer Öffentlichkeit. Erst durch dieses gemeinsame politische Handeln kann Macht erzeugt werden. Darum ist solidarischer Widerstand auf der Strasse von fundamentaler Wichtigkeit gegen die Apathie der wirtschaftshörigen Politik. Demonstrationen und Streiks sind nicht Freistunden, sondern ein wichtiger Unterricht anderer Art, der den Beteiligten erlaubt, sich als politische Akteure zu begreifen und sie lehrt, sich selbst zu artikulieren.
Wir haben Angst vor der Zukunft, doch der Mut ist ungleich stärker. Gegen den Pessimismus der Vernunft, den Optimismus des Willens! Falls ihr dies nicht gemerkt habt, wir handeln bereits. Und ihr? Wenn ihr endlich unserem Druck auf der Strasse Taten folgen lässt, dann werden wir euch wieder ernst nehmen. Zeigt uns, dass ihr nicht nur alt seid, sondern auch lernfähig! Ihr habt unser aller Lebensgrundlage aufs Spiel gesetzt – die Suppe fast unrettbar verkocht. Wir retten sie, und werden sie fair verteilen!