Der schwächste Radiosender der SRF-Familie fällt seit einigen Wochen mit einer lauten Werbekampagne auf. Die Rede ist von Radio SRF Virus: Er war seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 1999 ein Nischensender für Jugendliche und Musikfans ausserhalb des Mainstreams. Doch das war einmal.
Seit Mitte 2022 fährt SRF Virus eine neue Strategie. Aus dem alten Slogan «Radio, aber anders» wurde «Live mit dir»: Im Zentrum stehe die junge Hörerschaft. Sie solle mitentscheiden, was auf dem Sender läuft. Und damit sie das auch tut, musste eine PR-Kampagne her: Werbeclips wurden auf nahezu allen Kanälen der «Generation Z» gebucht – darunter: TikTok, Instagram, YouTube, Snapchat, Twitch, Reddit.
Wie teuer die Kampagne war, ist unbekannt. SRF wollte gegenüber watson nur eine Grössenordnung bekannt geben: «Um den Relaunch von Radio SRF Virus in der Zielgruppe bekannt zu machen, wurde ein mittlerer sechsstelliger Betrag eingesetzt», sagt Claudia Zellerhoff, Leiterin Marketing beim SRF.
Das ist viel Geld für einen Radiosender, der bislang nur ein Nischenpublikum erreichte: Branchenzahlen zufolge erreichte SRF Virus in den vergangenen drei Jahren nur gerade mal 20'000 bis 30'000 Hörerinnen und Hörer am Tag. Im Vergleich mit Privatradiosendern würde Virus damit hinter dem Schaffhauser Sender «Munot» und dem Walliser «Rottu» landen.
Bei den Privaten verfolgt man diese PR-Aktion kritisch. «Die SRG will bei der Altersgruppe stärker werden, wo traditionell die Privaten stark sind. Das birgt ein gewisses Konfliktpotenzial», sagt Jürg Bachmann, Präsident des Verbands Schweizer Privatradios. Er sieht dies nicht bloss wegen des Konkurrenzverhältnisses, sondern auch aus Fairnessgründen: «Es geht um ein grösseres Budget aus staatlichen Töpfen: Auch die lokalen und nationalen Privatsender hätten gerne so viel Geld, um ein paar Wochen national Werbung machen zu können.»
Dass sich die Konkurrenz darüber ärgert, überrascht nicht. Im Rahmen der watson-Recherche zweifelten in der Privatwirtschaft tätige Publizistinnen und Publizisten gar die Einhaltung der Konzession ein: Dieses Dokument regelt neben dem Gesetz, was die SRG mit den Radio- und TV-Abgaben tun darf.
Zur Einordnung: Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft erhält als privatrechtliches Unternehmen jährlich 1,2 Milliarden Franken aus dem Gebührentopf. Hinzu kommen rund 230 Millionen Franken, welche die SRG mit dem Verkauf von Werbung erwirtschaftet.
Im Gegenzug investierte die SRG vergangenes Jahr rund 22,7 Millionen Franken ins Marketing. Beim Fernsehen ergibt das ökonomisch Sinn. Wenn SRF und Co. häufiger geschaut werden, kann die TV-Werbung teurer verkauft werden.
Beim Radio gilt hingegen ein striktes Werbeverbot. Mehr Hörerinnen und Hörer bringt also «nur» ein grösseres Publikum. Bei SRF bestätigt man diese Absicht: «SRF hat den Auftrag, alle Menschen in der Deutschschweiz zu erreichen. Aktuell nutzen aber insbesondere Menschen unter 45 unsere Angebote weniger stark.»
Um dieses Ziel zu erreichen, muss sich die SRG aber an gewisse Regeln in der Konzession und im Gesetz halten. Bei der Werbung «in eigener Sache» gelten zwei Prinzipien:
Die Grosskampagne für Radio Virus fällt hingegen nicht darunter. Der Grund: SRF ist zwar beispielsweise auf YouTube mit einem eigenen Konto aktiv – die für viel Geld gebuchte Werbung erscheint aber nicht auf youtube.com/srf, sondern vor den Videos anderer YouTuber. Dasselbe gilt für Twitch, Reddit, Instagram.
Oder anders gesagt: Die Konzession regelt das schlicht nicht. Dies bestätigt der Staats- und Medienrechtler Urs Saxer, der sich in der Vergangenheit mehrfach kritisch zur Konkurrenzstellung der SRG äusserte. «Die SRG ist zwar der Konzession und dem Gesetz verpflichtet – die Inserate bei Social Media sind aber im konkreten Fall nicht reglementiert.»
Das bedeute aber nicht, dass jegliche Form von Werbung erlaubt sei: «Die SRG kann sich zwar in solchen Fällen auf die Wirtschaftsfreiheit berufen, sie muss aber dabei Augenmass bewahren. Die Beurteilung kann schnell kippen, wenn mit Abgabengeldern finanzierte Werbeausgaben zulasten von Service-Public-Inhalten ausufern. Ferner ergeben sich Konflikte in der Konkurrenz mit Privatradios.»
Und diese sind dem Vernehmen nach nicht erfreut. Nicht nur, weil sie so im Wettbewerb bedrängt werden. Kritisiert wird auch, dass von den Werbeausgaben in erster Linie die Social-Media-Giganten wie Meta (USA) oder das chinesische TikTok-Unternehmen ByteDance profitieren.
Hinzu kommt, dass SRF Virus in den kommenden Tagen zwei Partys in St.Gallen und Solothurn durchführen will, bei denen zwei DJs und der Schweizer Musiker Nemo auftreten werden.
Tickets dafür gibt es nicht. SRF wählt die Gäste mit einer öffentlichen Verlosung aus, womit die Party zur geschlossenen Gesellschaft wird. Eine legale Veranstaltung also, finanziert durch öffentliche Gelder.
Solche Events gab und gibt es auch von Privatradiosendern. Bekannt ist etwa die Energy Star Night von Radio Energy, welches jedes Jahr mehrere Tausend Gäste zählt. SRF sagt zur Konkurrenzstellung, dass Konzerte zu den «üblichen Marketingmassnahmen» gehören würden.
Die Gelder für die gesamte Kampagne seien vor längerer Zeit eingeplant und «umgeschichtet worden». SRF würde dabei eine «zurückhaltende Strategie» verfolgen. Dass diesmal auch «gezielte Werbung» auf Drittplattformen wie Instagram, Reddit und Co. geschaltet wurde, erklärt SRF damit, dass die junge Zielgruppe ansonsten über die «eigenen Kanäle nicht erreicht werden könnte».
Der Bundesrat widerspricht dieser Strategie nicht. Auch er wiederholte vergangenen Monat, dass die SRG «alle Regionen, Landessprachen und Altersgruppen bedienen» solle. Die Landesregierung, welche für die Konzessionserteilung zuständig ist, kündigte aber Anpassungen an, welche sich auch gegen SRF Virus richten könnten: Die SRG solle sich im Bereich Unterhaltung auf «jene Bereiche fokussieren, die von anderen Anbietern nicht abgedeckt werden», so der Bundesrat.
Diese Pläne wurden im Hinblick auf die SRG-Konzession fürs Jahr 2025 geäussert. Hinzu kommt Druck aus rechtsbürgerlichen Kreisen: Vertreterinnen und Vertreter der SVP und FDP lancierten im Sommer dieses Jahres eine Initiative zur Senkung der Radio- und TV-Abgabe auf 200 Franken. Sie dürfte vermutlich erst 2025 zur Abstimmung kommen.
Korrektur: In einer ersten Fassung wurde eine Mediensprecherin zitiert. Die Aussagen stammten jedoch von der Marketingabteilung, welche von der Medienstelle zur Verfügung gestellt wurden. Wir bitten die falsche Zuordnung der Zitate zu entschuldigen.
Wieso regt man sich nicht darüber auf, dass die WeKo wegschaut, wenn ein Privatradiomonopol durch eine einzelne Mediengruppe aufgebaut wird? Das würde mir beispielsweise als Radio Munot mehr Sorgen bereiten.