«Ich stelle mir vor, wie wir uns küssen, ich deine Brüste. Und du dich dann hinkniest und bläst, mit deinen crazy Lippen.» Diese Chatnachricht soll ein Journalist der Republik an eine junge Journalistin gesendet haben.
In einem Beitrag des SRF, der am Donnerstag veröffentlicht wurde, schildern insgesamt sechs Journalistinnen unabhängig voneinander unerwünschte, sexuelle Anspielungen am Arbeitsplatz oder via Chat, Machtmissbrauch und gar einen «massiven sexuellen Übergriff». Diese sollen sich mehrheitlich innerhalb der letzten fünf Jahre abgespielt haben. Immer ausgeübt von derselben Person.
Die Betroffenen, die zu Wort kommen, sind aktuelle und ehemalige Arbeitskolleginnen ihres mutmasslichen Peinigers. Sie erzählen von einem Mann, der im Büro als unantastbar galt. Zahlreiche preisgekrönte Reportagen hat er geschrieben. Sich einen Namen gemacht, indem er sich mit den Mächtigen anlegte. Er ist ein Reporter, welcher der Republik nicht nur gute Geschichten, sondern auch Prestige bringt. «Er ist der Krasse. The special guy. Er muss sich an nichts halten. Er kommt nicht an Sitzungen, wenn er nicht will», sagt etwa eine der Journalistinnen im Beitrag von SRF.
Bei solchen Erzählungen läuten bei Susanne Nef die Alarmglocken. Sie ist Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann des Kantons Zürich. «Machtmissbrauch entsteht häufig aus starken Hierarchien heraus», sagt Nef.
Stark hierarchisch organisiert? Die Republik? Das können sich wohl viele nicht vorstellen. Schliesslich hatte es sich das Onlinemagazin bei ihrer Gründung 2017 zum Ziel gemacht, alles anders zu machen als die herkömmlichen Verlage. Unabhängig. Ohne jegliche Werbung. Dafür ausschliesslich finanziert durch die Leserinnen und Leser. Als Genossenschaft organisiert.
Doch auch in einem solchen Unternehmen kann es toxische Hierarchien geben, so Susanne Nef. «Es reicht, wenn implizit eine Hierarchie vorherrscht. Wenn ein Mitarbeiter etwa einen Sonderstatus gegenüber anderen Mitarbeitenden auf derselben Stufe geniesst.»
Denn viele Betroffene hätten Angst, Vorwürfe gegen eine solche Person zu machen. Angst, ihre Stelle zu verlieren. Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird. Dass das Unternehmen am Ende gar nichts unternimmt. Oder auch Angst, dass die Übergriffe durch den Täter zunehmen, weil er von den Anschuldigungen erfährt.
Eigentlich wollte die Republik für solche Fälle vorsorgen. Sie informierte ihre Mitarbeitenden, dass sie sich bei Übergriffen am Arbeitsplatz an die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich wenden sollten.
Genau das machten die betroffenen Journalistinnen auch. Gemäss der Republik sei das Onlinemagazin schliesslich Ende Juni von der Fachstelle wegen der Vorwürfe gegen einen ihrer Mitarbeiter kontaktiert worden. Doch Konsequenzen gab es für den Journalisten vorerst nicht.
In ihrem Newsletter, den die Republik am Donnerstagmorgen – kurz vor der Veröffentlichung des SRF-Berichts – an ihre Leserinnen und Leser sandte, erklärte sie diese Untätig wie folgt: «Eine ‹See only›-Klausel verbot und verbietet den zuständigen Stellen in der Republik, mit jemand anderem intern oder extern über die Vorwürfe zu reden.»
Aufgesetzt hat diese Klausel die Anwältin, welche die Republik über die Vorwürfe der Journalistinnen informierte. Der Geschäftsleitung hatte sie ausführliche, anonymisierte Protokolle der Betroffenen vorgelegt. Oben auf dem Dokument aber standen die besagten Worte: «See only». Das bedeutet: Die Geschäftsleitung darf über die konkreten vorgebrachten Vorwürfe der Betroffenen mit absolut niemandem reden. So soll der Täter nicht herausfinden können, wer die Vorwürfe gegen ihn gemacht hat.
«Wir waren seit der Meldung in engem Kontakt mit der Mittelsperson, um herauszufinden, wie wir unter diesen Bedingungen bestmöglich mit der Situation hätten umgehen können», schreibt die Republik auf Anfrage von watson. Nach solchen Vorwürfen zu handeln und die Vorfälle sorgfältig abzuklären, ist nach Schweizer Recht auch ihre Pflicht.
Doch wie sollte vorgegangen werden, wenn die Geschäftsleitung gegenüber dem mutmasslichen Täter keinen einzigen konkreten Fall vorbringen durfte? Denn auch gegenüber ihm hat die Republik als Arbeitgeberin eine Fürsorgepflicht. «Nach den Grundsätzen eines fairen Verfahrens hat eine beschuldigte Person das Recht zu wissen, wer ihr was vorwirft, sonst kann sie sich nicht konkret dazu äussern und entlastende Tatsachen nicht richtig vorbringen», schreibt die Republik.
Eine Pattsituation. Nicht nur für die Arbeitgeberin, sondern auch für die Journalistinnen selbst, welche die Vorwürfe aussprachen. Die Klausel, die sie schützt, stellt ihnen gleichzeitig ein Bein. Kann das wirklich sein? Roger Rudolph ist Professor am Lehrstuhl für Arbeits- und Privatrecht an der Universität Zürich und sagt: «Solche Klauseln sind unüblich und im geltenden Arbeitsrecht nicht vorgesehen.» Die «See only»-Klausel rechtfertige aber nicht, dass eine Arbeitgeberin ihrer Fürsorgepflicht und damit dem Schutz der belästigten Person nicht nachkomme.
Gegenüber watson sagt die Republik, dass ihre Abklärungen über das weitere Vorgehen noch immer liefen, als sich das SRF mit konkreten Vorwürfen der Frauen Anfang Woche bei ihnen sowie dem beschuldigten Journalisten meldete. Eine unschöne Medienanfrage, die gleichzeitig schon fast willkommen kam. Zumindest für die Journalistinnen, welche die Vorwürfe aussprachen. Denn damit änderte sich die Ausgangslage.
«Wir haben nun mit der beschuldigten Person geredet. Und sind übereingekommen, sie per sofort und für die Dauer einer Untersuchung der Vorwürfe freizustellen», schreibt die Republik am Donnerstagmorgen in ihrem Newsletter. Sie will den Fall nun möglichst ohne jegliche Verzögerungen aufklären. Dafür hat sie eine externe Stelle beauftragt. Für den beschuldigten Journalisten gilt bis auf Weiteres die Unschuldsvermutung.
Die neusten Belästigungsvorwürfe in einem Schweizer Medienunternehmen zeigen, dass solche Fälle für alle Parteien eine Herausforderung sind. Susanne Nef von der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann des Kantons Zürich plädiert deshalb darauf, dass Unternehmen sich präventiv mit den Themen Machtmissbrauch, Übergriffe und Diskriminierung auseinandersetzen. Bevor es zu einem konkreten Fall kommt.
Denn es gäbe viele Möglichkeiten, seine Mitarbeitenden zu schützen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) empfehle etwa die Einführung einer Sanktionsskala. In solchen Reglementen seien die Rechte und Pflichten aller Mitarbeitenden festgehalten. «Dafür muss man das Reglement aber nicht nur aufsetzen, sondern auch sicherstellen, dass die gewünschte Firmenkultur gelebt wird», sagt Nef. Hierfür empfehle es sich, wenn die Mitarbeitenden selbst bei der Aufsetzung beteiligt werden.
Aber auch Schulungen oder Analysen durch externe Stellen könnten Problemherde aufdecken. Ein Sonderstatus eines Mitarbeitenden könnte etwa ein genau solcher Problemherd sein.
Wir als Gesellschaft sollten uns dringend mit Macht & vor allem Machtmissbrauch beschäftigen.
Wenn man gewisse Titel heutzutage nicht so inflationär gebrauchen würde, käme der eine oder die andere ev. gar nie auf das hohe Ross und müsste zwischendurch wieder ein bisschen auf Normalgrösse zurechtgestutzt werden, damit er/sie einigermassen erträglich für den Rest der Menschheit bleibt.
Gab es sie früher weniger? Ich glaube nicht aber die Frauen getrauten sich nicht gegen diese Peiniger vorzugehen.
Ich hoffe, dass durch das gesteigerte Risiko nicht straflos davon zu kommen, diese Übergriffe/ Belästigungen weniger werden.
Und den Frauen rate ich, lasst euch das nicht gefallen, wehrt euch auch wenn ihr dadurch vielleicht im ersten Moment etwas verliert. Nichts ist schlimmer als solche Typen erdulden zu müssen!