Die Asyllage in der Schweiz bleibt angespannt: Der Bund rechnet 2023 mit rund 27’000 neuen Asylgesuchen. Überfordert vom Ansturm an Schutzsuchenden in den letzten Monaten sind einige Kantone in der Schweiz, die deshalb die Asylnotlage ausgerufen haben: Es fehlt vielerorts an Unterkünften.
Schlimmer sei jedoch die Situation im Ausland, sagte der Zürcher Regierungsrat und Sozialdirektor Mario Fehr an einer Medienkonferenz am Montag zum aktuellen Stand im «Asyl- und Flüchtlingsbereich» im Kanton.
Fehr erklärte, dass in den «Niederlanden und in Belgien Schutzsuchende im Freien schlafen» müssten, in Frankreich an der Küste zu England «ein Chaos herrsche» und auch in Deutschland «eigentlich gar nichts mehr funktioniere». Im Gegensatz zur hiesigen Situation.
«Die Herausforderungen seit letzten Februar wurden von der Schweiz und vom Kanton Zürich gut gemeistert», meinte der Regierungsrat. Dabei ist in Zürich die Situation angespannt – wie auch in anderen Kantonen.
Von einem Notstand im Kanton Zürich will der Sozialdirektor aber noch nichts wissen. Alle 160 Gemeinden würden aktuell die Asylquote erfüllen. Im letzten Jahr habe der Kanton die Infrastruktur gar verdoppeln können, was keine einfache Aufgabe gewesen sei. Nun möchte man in Zürich die Asylquote auf Anfang Juni erhöhen. Fehr meint dazu, dass dies zwar «keine erfreuliche, aber eine erträgliche Übergangsfrist» für die Gemeinden darstelle.
Ein angespannteres Bild der Situation im Kanton zeichnete Jörg Kündig, Gemeindepräsident in Gossau und Präsident des Verbands der Gemeindepräsidien (GPV). «Viele Gemeinden sind am Anschlag und suchen händeringend nach Unterbringungen», sagte er an der Medienkonferenz.
In Bezug auf den Fall in Seegräben erklärte der GPV-Präsident, es sei «keine Lösung, Privatpersonen die Wohnung zu kündigen». Ganz klar priorisiert werden müssten Containerunterkünfte, Zivilschutzanlagen, aber auch leer stehende Gewerberäume, um schutzsuchende Menschen unterzubringen.
Eine schnelle Lösung sehen Fehr und Kündig in den Unterkünften des Bundes. Dieser verfüge momentan über mehr als 4000 nicht belegte Plätze. «Das geht so nicht und ich habe einen Antrag an die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) gestellt, dass der Bund mehr eigene Plätze nutzen muss», sagte Fehr.
So könne der Bund auch Kantone unterstützen «wie Luzern oder Aargau, welche ein Gesuch gestellt haben, um ‹durchatmen› zu können, um momentan keine weiteren Zuweisungen zu erhalten».
Laut dem Zürcher Regierungsrat hofft man im Herzen der Zentralschweiz also auf einen vorübergehenden Zuweisungsstopp an Asylsuchenden. watson hat bei Regierungspräsident Guido Graf nachgefragt, was die aktuelle Asylnotlage für den Kanton bedeutet.
In Luzern wurde bereits am 18. März des vergangenen Jahres die Notlage für die Unterbringung und Betreuung von Schutzsuchenden aus der Ukraine ausgerufen. Im November wurde diese ausgeweitet auf den gesamten Asyl- und Flüchtlingsbereich. «Die Ausrufung der Notlage ermöglicht ein schnelleres Handeln innerhalb der Verwaltung, grössere Kreditlimiten und schnellere Prozesse bei der Anstellung von benötigtem Personal», erklärt Graf. Mit der Bewältigung der Notlage beauftragt sei der kantonale Führungsstab (KFS).
Luzern steht vor einigen Herausforderungen bei der Unterbringung von Schutzsuchenden. Bis Ende März fallen rund 600 Plätze im Kanton weg, «da zu diesem Zeitpunkt die Frist mehrerer Zwischennutzungen endet», verkündete der Kanton im November, als er die Notlage auf den ganzen Asyl- und Flüchtlingsbereich ausdehnte. Mittlerweile habe man «sämtliche Plätze dank Nutzungsverlängerungen und neuen Unterkünften kompensieren» können, wie Regierungsrat Graf sagt.
Bisher vermeiden wollte Luzern unterirdische Unterkünfte für Asylsuchende. In Betrieb sei im ganzen Kanton einzig die unterirdische Zivilschutzanlage Dagmersellen, wo 71 Personen untergebracht seien. «Diese musste geöffnet werden, weil aufgrund der hohen Zuweisungen nicht genügend Platz zur Verfügung steht», erklärt Graf. Laut dem Regierungsrat seien die unterirdischen Zivilschutzanlagen als Notunterkünfte zu verstehen und «grundsätzlich nicht für eine längerfristige Unterbringung geeignet».
Davon, überirdische Unterkünfte für Asylunterkünfte zu beschlagnahmen, wie es im Kanton Aargau seit der Ausrufung der Notlage möglich ist, will man in Luzern aber nichts wissen. «Der Kanton arbeitet eng zusammen mit den Gemeinden, um weitere Unterbringungsplätze zu schaffen», so Graf.
Im Kanton Aargau wurde Mitte Januar die Notlage im Asylwesen ausgerufen. Seitdem gibt vor allem die sogenannte Beschlagnahmungsverfügung zu reden. Diese ermöglicht es dem Kanton, im äussersten Notfall Unterkünfte von Gemeinden sowie Privaten zu verpflichten.
Auf Anfrage von watson bei Regierungsrat und Sozialdirektor Jean-Pierre Gallati teilt ein Sprecher des Departements Gesundheit und Soziales mit: «Beschlagnahmt würden lediglich leer stehende Liegenschaften. Zurzeit ist das kein Thema. Im Vordergrund steht die Bereitstellung von Sanitätsstellen.»
Auf diese Weise konnte der Kanton seit der Ausrufung der Notlage bereits 510 neue Unterkünfte schaffen: 200 Plätze in der Notunterkunft Birmensdorf, die am Montag eröffnet wurde, weitere 150 Plätze in Lenzburg und 160 in Aarau, welche voraussichtlich Ende März in Betrieb genommen werden sollen.
Zudem würden weitere Schutzbauten in den Gemeinden Obersiggenthal, Gränichen, Leuggern und Oftringen zur Verfügung stehen, «die gemäss Notverordnung als Unterkünfte infrage kommen», erklärt der Departementssprecher. Die kommunalen Behörden seien vom kantonalen Sozialdienst (KSD) über die mögliche Entwicklung informiert worden.
Per Ende Februar verfügte der Kanton Aargau über 405 Reserveplätze für Asylsuchende. «Mittels Verdichtungsmassnahmen in einigen Unterkünften wurden zusätzliche Plätze geschaffen», teilen die Kantonsbehörden mit.
Aber wie auch in Luzern muss man im Aargau auf unterirdische Unterkünfte zurückgreifen – vorübergehend. «Diese würden wir nur so lange wie nötig betreiben.» Ebenfalls durch die Notverordnung ermöglicht wurden Lockerungen für Bewilligungsverfahren. Der Kanton schreibt dazu: «Baugesuche mit einem Bezug zur Notlage im Asylwesen können beschleunigt abgehalten werden. Darunter fallen beispielsweise Containerlösungen.»
Entspannter ist die Lage im Asylwesen im Kanton Bern. «Wir haben momentan rund 400 freie Plätze im regulären Asylwesen und 500 für Geflüchtete aus der Ukraine mit Schutzstatus S. Ein Notstand muss im Kanton noch nicht ausgerufen werden», teilt auf Anfrage von watson Gundekar Giebel mit. Er ist Kommunikationschef der Berner Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion.
Aktuell bereite sich der Kanton darauf vor, monatlich rund 200 neue Asylsuchende aufzunehmen – «mit einer stark steigenden Tendenz ab Frühling». Laut Giebel habe man «genügend Plätze bis Ende Mai». Und: Weitere Objekte seien in Planung.
Bei der Herausforderung, Unterkünfte für Asylsuchende zu finden, fällt zudem eine Sache ins Gewicht: «Wir stellen fest, dass manche Vermieter ihre Unterkünfte explizit für Geflüchtete aus der Ukraine zur Verfügung stellen und nicht für andere Asylsuchende», schreibt Giebel. Aktuell seien im Kanton Bern rund 7700 Personen mit Schutzstatus S untergebracht sowie «6400 reguläre Asylsuchende und 450 unbegleitete Minderjährige».
Ebenfalls die Situation mit den Unterbringungen im Griff hat der Kanton St.Gallen. «Es ist aktuell möglich, alle zugewiesenen Personen in den Regelstrukturen unterzubringen. Somit ist die Ausrufung einer Notlage derzeit nicht erforderlich», schreibt auf Anfrage von watson Jürg Eberle, Leiter des kantonalen Migrationsamts. Doch: «Die Lage im Kanton kann als sehr angespannt bezeichnet werden.»
Bisher setzt man in St.Gallen auf bewährte Massnahmen. «Gemeinden und Kanton haben sich bereits vergangenes Jahr auf hohe Asylzahlen eingestellt und zusätzliche Betten geschaffen», teilt Eberle mit. Zudem habe man in den letzten Wochen neue Unterkünfte eröffnet.
Dies sei vor allem durch eine grössere Auslastung möglich gewesen. «Aus Vierer-Zimmern wurden Sechser-Zimmer gemacht oder Gemeinschaftsräume wurden zu Schlafräumen umfunktioniert», so der Amtsleiter. Der Kanton St.Gallen beobachte die weitere Entwicklung sehr genau und sei sich der angespannten Situation bewusst.
Genügend Unterbringungsmöglichkeiten für Asylsuchende finden sich auch im Kanton Basel-Stadt. «Derzeit haben wir ausreichend Reserveplätze für die Unterbringung von zugewiesenen Geflüchteten», teilt das Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt gegenüber watson mit.
Die «überproportionalen Zuweisungen aus dem Vorjahr» seien jedoch noch nicht ausgeglichen. Gleichzeitig erklären die Behörden: «Das Ausrufen einer kantonalen Notlage ist nicht angezeigt.» Dass die Unterbringung von Geflüchteten im Kanton Basel-Stadt funktioniere, habe man auch «den über 100 Gastfamilien zu verdanken, die Flüchtlingen aus der Ukraine eine Unterkunft bieten».
Zudem habe der Kanton neue Unterbringungen in Planung: «Anfang Mai wird eine Wohnmodulsiedlung auf dem Erlenmattplatz eröffnet, welche Wohnraum für 140 geflüchtete Personen bietet.»
Kurz und bündig fällt die Antwort von Fiona Elze, Abteilungsleiterin Asyl- und Flüchtlingswesen im Kanton Schwyz, auf die Anfrage von watson aus: «Wir haben keine Notlage. Diese wird dann ausgerufen, wenn sie eintritt.»
Um die Unterbringung von Geflüchteten zu gewährleisten, setze der Kanton auf die «üblichen Massnahmen: Akquise von neuen, temporären Unterkünften».