Erstmals rollte der Nachtzug «Urlaubs-Express» diesen Sommer von Basel via Frankfurt-Hamburg direkt auf die beliebte Ostsee-Insel Rügen. Das Angebot des privaten Zuganbieters «Train4You» hat eingeschlagen. «Wir sind überrascht, wie viele Schweizer Kundinnen und Kunden kurzfristig mit uns gefahren sind», sagt Mediensprecher Christian Oeynhausen zu watson. Auch darum werde das Angebot für die Sommersaison 2022 weiter ausgebaut.
Der Clou: In den vergangenen Jahren wurde die Verbindung als reiner Autozug bis Hamburg gefahren. Heuer liess Train4You die sieben Schlaf- und Liegewagen erstmals bis zum Ostseebad Binz weiterfahren. Laut Oeynhausen waren die Kabinen auf den insgesamt sechs Verbindungen sehr gut ausgelastet. «Das zeigt, dass Nachtzüge rentabel betrieben werden können. Dies obschon Bettwäschenwechsel und Verpflegung natürlich aufwendig sind», so der Sprecher weiter.
Eine Premiere erlebte auch der Alpen-Sylt-Express, der neu von Konstanz direkt an die Nordsee fährt. Und zwar noch bis Ende Oktober.
«Wir sehen es bei den vielen Buchungen – Corona hat die Nachtzüge gestärkt», sagt Mike Jakob, Verkaufschef von Railtour, dem grössten Reiseveranstalter für Bahnreisen der Schweiz und Vermarktungspartner aller wichtigen Bahngesellschaften. Mit ein Grund für die grosse Nachfrage: Die Einreisebestimmungen für Zugfahrten seien vielerorts entspannter gewesen als für Flugreisen. «Mit dem Zug aus der Schweiz direkt an die deutsche Küste fahren, das ist einfach eine geniale Sache», so Jakob. Auch die Nachtzug-Paradestrecken Schweiz-Hamburg/Berlin/Wien seien gerade an Wochenenden im Herbst sehr gut gebucht. «Das Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft», so der Bahnreisen-Experte.
Freunde des gepflegten Schienentransports dürfen sich freuen: Ab Dezember 2021 verkehren die neuen Nachtzüge von ÖBB/SBB von Zürich-Basel bis nach Amsterdam. Ein Jahr später soll der Nachtzug nach Rom folgen. Ab 2023 sollen Nachtzüge von der Schweiz bis nach Barcelona fahren. «Das gibt der ganzen Branche einen riesigen Schub», frohlockt Jakob.
Denn dank der Anschlüsse an Hochgeschwindigkeitszüge an den Zielorten eröffne sich eine ganz neue Palette an möglichen Destinationen: «Von Rom ist man in einer Stunde an der Amalfi-Küste. Von Barcelona innert kurzer Zeit an der Costa Brava oder in Madrid».
Abends in Zürich, Basel oder Bern in den Zug steigen und morgens in den Ferien (oder beim Meeting) aufwachen. Zusammen mit der ÖBB planen die SBB bis 2025 zehn Routen mit 25 Zielorten. Die Nachfrage ist zwar zumindest in der Ferienzeit da: Nach dem Nein zum CO2-Gesetz fehlt aber das vorgesehene Geld aus dem Klimafonds. Die Rede war von rund 30 Millionen Franken jährlich. «Die Strecke nach Rom ist kurz, die Strecke nach Barcelona ist kompliziert zu betreiben. Wir wissen noch nicht, ob wir diese künftig betreiben können», sagte SBB-Chef Vincent Ducrot Anfang September zu SRF.
Denn es ist selbstredend eine andere Sache, sechsmal jährlich einen Charterzug von der Schweiz an die Ostsee zu fahren als eine tägliche Nachtverbindung gen Süden zu betreiben.
Darum fordert Grünen-Nationalrätin Franziska Ryser, dass der Bund in die Bresche springt und die Finanzierung der neuen Nachtzuglinien garantiert. «Sonst befürchten wir, dass die neuen Linien nicht zustande kommen», so die Co-Präsidentin der verkehrspolitischen ÖV-Organisation Umverkehr. Denn klar ist: Die von Corona durch Milliardenverluste gebeutelte SBB kann das Geld alleine nicht einschiessen.
Woher soll aber das Geld kommen? Es gibt diverse Ansätze: In der Sommer-Session hat der Nationalrat ein Postulat von Mitte-Politikern überwiesen. Dieses sieht vor, dass Geld aus dem Klima-Zertifikatshandel Nachtzugverbindungen subventionieren soll. Wie dies etwa Schweden oder Österreich in ihren Klimaschutzprogrammen vormachen. Die Grünen und Grünliberalen haben ebenfalls Vorstösse zur Nachtzug-Finanzierung eingereicht. Die Antwort von Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga steht noch aus. Kaum vorstellbar, dass aber ausgerechnet die SP-Bundesrätin die neuen Nachtzug-Linien abwürgt, bevor sie gestartet sind. Nun prüft das zuständige Bundesamt, inwiefern mit der Neuauflage des CO2-Gesetzes Nachtzüge gefördert werden können.
In einem zweiten Schritt sei es zentral, dass Bahn und Luftverkehr sich mit gleich langen Spiessen konkurrieren, so Ryser weiter. «Der Flugverkehr ist komplett Abgabe-befreit, während Bahngesellschaften mit hohen Trasseegebühren und weiteren Steuern kämpfen. Das darf nicht sein», so die Ostschweizerin.
Denn in einem Strategiepapier hegt Umverkehr grosse Nachtzug-Visionen: Nach dem angekündigten Nachtzug-Ausbauschritt sollen weitere Verbindungen nach Frankreich sowie nach Triest an der Adria folgen.
Ja, das ist es selbstredend. Aber die Frage ist doch: Wenn es nicht genügend Nachfrage für tägliche Nachtzüge gibt, wieso dann nicht einfach zwei Züge pro Woche in der Nebensaison und täglich in der Hauptsaison?
Ich mag Nachtzüge, weil man gegenüber dem Fliegen viel (produktive) Zeit spart. Aber ich habe jetzt auch nichts dagegen, wenn ich eine der beiden Strecken fliegen muss.
Jeweils um 2200 Uhr in Genf mit dem Surfbrett und ein paar Bierchen beladen auf den Zug, um am nächsten Vormittag bereits ein paar Wellen zu shreddern. Und das ganze für knapp 150 CHF.
Selbst mit dem Flugzeug würde sich die Reise heute mühsamer gestaltet als damals mit dem Zug.