Das wünscht sich niemand: Nach einer langen Reise am Flughafen Zürich anzukommen und dann vergeblich bei der Gepäckausgabe auf den Koffer zu warten.
Genau das passiert derzeit aber vielen Passagieren, die von den Sommerferien in die Schweiz zurückkehren. Weil ausländische Flughäfen die grossen Gepäckmengen nicht bewältigen können, bleiben viele Koffer am Abflugort liegen. Sie müssen nachgeschickt werden – und kommen oft erst viele Tage später in Zürich an.
Was für die Passagiere unerfreulich ist, bedeutet auch für die Angestellten der Firma Swissport in Zürich Stress und Mehraufwand. Sie sind verantwortlich für die Gepäckabfertigung und müssen die nachgesandten Koffer aus dem Ausland erfassen, sortieren und zwischenlagern. Per Kurierdienst werden die Gepäckstücke danach an ihre Empfänger ausgeliefert.
Dass es während Hochbetriebszeiten wie den Sommerferien zu solchen Störungen in der Gepäckabfertigungs-Kette kommt, ist kaum zu verhindern. Doch wer derzeit am Flughafen Zürich ist, staunt nicht schlecht, denn: In der ganzen Gepäckausgabe-Halle stehen zwischen den Rollbändern, entlang den Wänden, überall dort, wo noch Platz ist, Unmengen an Koffern. Es müssen Hunderte sein. Auf Wägen, übereinandergestapelt, mit dem Ankunftsdatum beschriftet. Diese reichen bis zu zehn Tage zurück.
Nathalie Berchtold, Swissport-Sprecherin, bestätigt den Eindruck: «Es sind rund fünfmal mehr Gepäckstücke als vor der Pandemie, die derzeit nicht mit den Passagieren in Zürich ankommen.» Im Juli seien rund 5000 Gepäckstücke aus dem Ausland an den Flughafen Kloten nachgesandt worden.
Bei Swissport erklärt man den grossen Kofferrückstau mit dem erhöhten Flugvolumen, einer Häufung an Verspätungen und Infrastrukturproblemen. Berchtold sagt: «Sicherlich haben auch Bodenverkehrsdienstleister wie Swissport ihren Anteil an den aktuellen Problemen. Doch viele Probleme liegen ausserhalb unseres Einflussbereichs.» Zum Beispiel Unregelmässigkeiten wie kurzfristige Flugannulationen, Umbuchungen, kurze Umsteigezeiten an Transitflughäfen oder Personalengpässe an ausländischen Flughäfen.
Das sieht Regula Pauli, Gewerkschaftssekretärin des Verkehrspersonals SEV, etwas anders. Auch in Zürich fehlt es an Personal. «Der Flughafen Kloten ist zwar nicht Treiber des Koffer-Chaos. Aber Swissport ist aufgrund von Personalmangel nicht in der Lage, das Problem in nützlicher Frist zu lösen und die Gepäckstücke nachzuschicken.»
Um die grosse Gepäckmenge verarbeiten zu können, müssten die Swissport-Angestellten Nachtschicht schieben. «Doch viele Leute sind ohnehin schon am Limit mit ihrer Energie und nicht erpicht darauf, noch mehr zu arbeiten», sagt Pauli.
Seit Wochen brodelt es bei den Swissport-Angestellten in Zürich. Das Bodenpersonal am Flughafen klagt über schlechte Arbeitsbedingungen. Während der heissen Phase der Pandemie habe sich die Situation noch mehr verschärft, heisst es. Ende Juni kündeten die Gewerkschaften den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) mit Swissport auf, weil sich die Firma weigerte, vom Krisen-GAV während der Pandemie zum regulären GAV zurückzukehren. Ende Juli protestierten rund 200 Angestellte am Flughafen Zürich mit einem Pfeifkonzert und Buh-Rufen gegen schlechte Arbeitsbedingungen.
In der Luftfahrt seien viele verschiedene Dienstleister als Partner in einem komplexen Ökosystem miteinander verbunden, erklärt Swissport-Sprecherin Berchtold. «Die Branche als Ganzes muss sich den aktuellen Herausforderungen stellen und Lösungen finden.» Dennoch wurde erkannt, dass noch mehr Personal benötigt wird. Nachdem bereits über 500 Mitarbeitende im 2022 angestellt wurden, sollen zusätzliche 150 Mitarbeitende bis Ende 2022 bei Swissport am Flughafen Zürich aufgebaut werden.
Für die Gewerkschafterin Pauli ein optimistisches Unterfangen. Sie bezweifelt, dass es realistisch ist, so viele Leute zu finden, die dann auch tatsächlich bleiben. Denn viele würden unter den jetzigen Arbeitsbedingungen schnell ausbrennen und das Unternehmen wieder verlassen. Sie findet: «Swissport muss mit einem neuen GAV auf 2023 darauf hinarbeiten, dass dem jetzigen Personal Sorge getragen wird. Damit sie nicht künden und motiviert arbeiten. Es ergibt wenig Sinn, unter denselben schlechten Bedingungen neue Leute anzustellen.»
Wie es mit dem GAV weitergeht, wird derzeit zwischen Gewerkschaften und Swissport ausgehandelt. Am Freitagnachmittag fand ein erstes Treffen statt. Mit enttäuschendem Ausgang, wie Pauli sagt. «Swissport hat uns ein Angebot gemacht, bei welchem wir selbst in drei Jahren nicht zum alten GAV 19 zurückkehren würden.» Das habe man zurückgewiesen und ein letztes Entgegenkommen unterbreitet. Die nächste Verhandlungsrunde findet Mitte September statt.
Wohl eher nicht.