Es ist einer der erstaunlichsten Line-Ups der Rock-Geschichte: Da reiht sich Ozzy Osbournes Black Sabbath nahtlos an Schmusebarde Julio Iglesias oder Disco-Queen Donna Summer. Alle haben etwas gemeinsam: Sie galten in der Sowjetunion in den Achtzigern als «unangebracht» und waren somit quasi verboten.
Die auf Englisch übersetzte Aufstellung, die zurzeit im Internet die Runde macht, wurde bereits 2006 veröffentlicht: Das Buch über das Ende der Sowjetunion heisst «Everything Was Forever, Until It Was No More» und wurde vom russischen Anthropologen Alexei Yurchak geschrieben.
Die schwarze Liste wurde von der Komsomol erstellt, der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Sie trug den Titel «Unvollständige Liste ausländischer Musikgruppen und Künstler, deren Repertoires ideologisch schädliche Kompositionen enthalten». Sie wurde an höhere Parteifunktionäre als Richtlinie für Radio- und Nachtclub-DJs verteilt.
Und am grossartigsten daran sind die Begründungen! Zum Beispiel:
The Clash – Verzeihung! – «Klesh»:
Begründung: «Punk, Gewalt»
Und die Metal-Jungs erst!
Judas Priest:
Begründung: «Antikommunismus, Rassismus»
Oder ...
Nazareth:
Begründung: «Gewalt, religiöse Mystik, Sadismus»
Haha: «Love Hurts» ... Sadismus, logo.
Tina Turner:
Begründung: «Sex»
Sex? Sex. Okay. Wo sie Recht haben, haben sie Recht.
Ebenfalls bedrohlich für die Stabilität der Sowjetunion war ...
... «Genghis Kahn», wobei die Komsomol die hier meinte:
Begründung: «Anti-Kommunismus, Nationalismus»
Und, jaaaa, natürlich:
Village People ...
... Begründung: «Gewalt»
Politisch offenbar hochbrisant: Julio Iglesias ...
... Begründung: «Neofaschismus»
Und nun die Presifrage: Welcher Schweizer Act, wer wohl, wurde von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion als bedrohlich eingestuft – aufgrund von «Gewalt» und «Persönlichkeitskult»?
Genau! Krokus, die auf der Liste als «Crocus» fingieren.
Wegen «Gewalt».
Und «Persönlichkeitskult».
«Persönlichkeitskult? Was sie damit meinten ist mir auch ein Rätsel», so Krokus-Bassist Chris von Rohr im Interview mit watson. «Ich bin ein Vertreter des Individuums in dieser globalen Welt. Ich bin der Meinung, dass vielleicht nicht jeder gleich einen Kult darum macht, aber klar seine eigene Individualität vertritt.» Eine solche Liste symbolisiere nun mal eben «das verdammt kranke sozialistisch-kommunistische System, das auch heute wieder seine hässliche Fratze zeigt».
Weshalb denn gerade Krokus? «Man kennt uns im Osten. Und Songs wie ‹Russian Winter› machten auch nicht gerade Promo für dieses System, wobei die Lyrics eher harmlos sind.»
War demnach der kommunistische Argwohn gegen Krokus gar ein wenig begründet? Zumindest mehr als bei Donna Summer, die für «Erotik» angeprangert wird? «Letzteres erstaunt mich gar nicht», so CvR, «bei solchen Regimen ist alles, was Lust und Freude angeht, primär mal schlecht – eigentlich alles, was das Leben ausmacht. Das ist extrem krank.»
«Krokus war nie eine politische Band. Allerhöchstens vertraten wir die Politik der Extase. Also bedeutet es für uns auf einer solche Liste zu sein, nichts. Traurig ist, dass solche Zustände immer noch in vielen Ländern wie Nordkorea, Ukraine, Russland et cetera existieren und man nichts dagegen machen kann.»
Bonus: Ebenfalls auf der Liste sind Madness. Darauf angesprochen, bestätigte Gruppenmitglied Chas Smash den sowjetischen Verdacht gegen die Band. Ihr Hit «Baggy Trousers» sei in Tat und Wahrheit ein Geheimplan gewesen, «möglichst viele Dissidenten in den weiten Hosen wohlgesinnter Kossaken» aus der UdSSR zu schleusen.