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Guns N'Roses: So war das Konzert in Bern

Guns N'Roses in Bern: Selbst die Trümmerstimme kann die tollen Songs nicht zerstören

Machen wir uns nichts vor: Axl Rose trifft längst nicht mehr jeden Ton. Dass das Konzert trotzdem nicht abstürzt, ist vor allem einem grandiosen Slash zu verdanken.
06.07.2023, 08:5006.07.2023, 14:26
Michael Graber / ch media
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Axl Rose, center, Slash, back left and Duff McKagan, back right of Guns N' Roses perform during the Glastonbury Festival in Worthy Farm, Somerset, England, Saturday, June 24, 2023. (Joel C Ryan/I ...
Der 61-jährige Axl Rose hat immer noch Power – wenn auch nicht in der Stimme.Bild: keystone

Mindestens das Schlimmste musste erwartet werden. Von Stimmproblemen war partout die Rede, von debakulöser Soundqualität auch und sowieso von einem reinen Nostalgieding. Guns N'Roses, so schien es aufgrund der Berichte der letzten Konzerte, haben ihren Zenit überschritten und befinden sich im steilen Sinkflug in Richtung Niedergang.

Ab zum Augen- und Ohrenschein nach Bern. Dort, direkt neben dem Wankdorf, spielen die alten Hardrockrecken an diesem Mittwochabend. Das Gelände ist passabel gefüllt. Hinten gibt es Älplermagronen, Burger und Bami Goreng. Die Stimmung ist aufgeräumt. Die alten Guns-N'Roses-Shirts spannen leicht über die Bäuche der mitgealterten Fans. Konzerte von den Amerikanern sind immer auch «Früher war alles besser»-Festspiele für den Nostalgiker in uns allen.

Der Start ist okay

Kurz nach 19 Uhr blinkt auf den Videoschirmen eine Animation, die noch für einen Atari 64 konzipiert sein könnte. Und dann sind sie da. Axl Rose (Gesang), Slash (Gitarre), Duff McKagan (Bass), Dizzy Reed (Keyboard), Richard Fortus (Gitarre), Frank Ferrer (Drums) und Melissa Reese (Keyboard).

Und eben: It's all about the Erwartungen. Da wir wirklich vom Allerschlimmsten ausgegangen sind, sind die ersten paar Minuten eine positive Überraschung. Zwar ist der Soundmix deutlich zu laut und insgesamt zu undefiniert, aber das ist okay. Da haben wir schon Schlimmeres gehört. Und der Axl? Der krächzt zwar ab und an, aber er bleibt recht souverän. Wie ein Derwisch rast er von einer Bühnenecke zur anderen.

Gerade wenn er in seiner Singstimme bleibt, dann funktioniert er gut. Sobald es in die Kopfstimme geht, wird es schnell abenteuerlich. Es ist eine Achterbahn. Trifft er die Töne noch? Und wenn: Hat er noch genügend Druck dabei? Gerade im ersten Drittel des Konzerts funktioniert es noch in einem befriedigenden Rahmen. Wenn es mit genügend Schmiss serviert wird, tröstet es über ein leichtes Tröten hinweg.

Das lange Solo rettet das Konzert

Mit fortschreitender Konzertdauer wird es dann aber zur leichten Tortur für die Zuhörerinnen und Zuhörer. Axl Rose krächzt und ächzt sich mehr durch die Songs. Es ist sichtbar, dass auch er merkt, dass seine Stimme teilweise völlig farblos um die hohen Töne mäandriert. Wie um alles zu verstecken, wird die Band immer lauter und druckvoller. Und sobald Axl von der beinahe tonlosen Kopfstimme in die normalen Lagen wechselt, stimmen die Lautstärkeneinstellungen gar nicht mehr und es beginnt beinahe etwas weh zu tun in den Ohren.

Also alles schlecht? Nein, natürlich nicht. Guns N'Roses sind - auch wenn Axl Rose das anders beurteilen würde - mehr als nur der Sänger. Gerade Duff McKagan und Slash ziehen einen guten Abend ein. Es ist unfassbar beeindruckend, wie Slash Solo um Solo aus seinen immer wechselnden Gitarren kratzt. Jede Note hat dabei eine absolute Dringlichkeit. Und wenn er zu seinem langem Solo (handgestoppte 5.35 Minuten) ansetzt, dann erzählt er dabei mit der Musik eine Geschichte.

Das Hemd hat er mittlerweile weit geöffnet, die Brusthaare kleben am Körper. Auch er hat - wie Axl - kaum ein Fest und kaum eine Droge ausgelassen. Während der Raubbau am Körper bei Axl offenbar auf die Stimmbänder schlägt, scheinen all die Pülverchen und Zauberzigaretten nichts mit den Händen von Slash gemacht zu haben. Das Leben ist manchmal durchaus unfair.

McKagan gibt dagegen den souveränen und beinahe gesunden Mann am Bass. Seine Version von «T.V. Eye» von den Stooges ist ein kleines Highlight im langen Set der Band.

Die Hits sind unzertrümmerbar

Eigentlich ist es sogar eher zu lange. Knapp drei Stunden sind es am Ende. Das ist nicht nur wegen den stimmlichen Problemen von Rose viel, sondern auch weil Guns N'Roses schlicht zu wenig gute Songs haben. Zwar haben sie unsterbliche Lieder geschrieben, aber unter den 26 gespielten Nummern hat es schon einiges an Füllmaterial. Gerade auch im Hinblick auf eine mögliche Stimmschonung wäre hier weniger durchaus mehr.

Die guten Songs - und davon haben sie wirklich auch ein paar - sind aber komplett unzertrümmerbar. Da ist es egal, dass Axl nicht jede Note trifft. «Sweet Child of Mine» ist grandios, «Paradise City» sowieso und «November Rain» geht auch mit einem Axl auf Halbmast noch unter die Haut. Und eben: Slash. Dieser Teufelskerl mit dem schwarzen Hut und der unglaublichen Fähigkeit, jeden Song mit ein paar Griffen aus der Beliebigkeit in den Hardrockolymp zu hieven.

Und selbst Rose, mit seinem schönheitsoperationsgeplagten Gesicht, strahlt stets viel Herzlichkeit aus. Wenn die Band «Civil War» der Ukraine widmet, ist dies aufrichtig rührend. «I don't need your civil war /It feeds the rich while it buries the poor», singt Axl im blau-gelben Shirt.

Nein, das Schlimmste war das sicher nicht. Das Beste aber auch nicht. Es war ganz okay. Früher war nicht alles besser. Vielleicht war es der Hardrock. Ganz sicher die Stimme von Axl. (aargauerzeitung.ch)

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83 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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cyclist
06.07.2023 09:43registriert April 2021
Was genau ist ein Atari64? Commodore oder Atari, das ist hier die Frage 😉
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Score
06.07.2023 09:49registriert Mai 2017
Das kann ich so unterstreichen. Zwischendurch gabs Momente da kommte ich nur den Kopf schütteln. Axel mit der Kopfstimme ganz schwach, doch sobald er Druck dahinter brachte zeigte er, was für ein guter Sänger er eigentlich ist. Alle tieferen Lagen waren kein Problem. Und nicht selten hoffte ich, er würde einfach die Oktave wechseln… Doch immer wenn es gabz schlimm wurde, folgte Slash und hat und verzaubert! Ich hatte ebenfalls etwas angst vor dem Konzert, dass ich enttäuscht nach Hause gehe, aber es war nicht so. Und fast 3 Stunden Konzert sind auch nicht alltäglich
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Blaugrana
06.07.2023 10:11registriert Januar 2017
Ich hatte meinen Spass, meine Kumpels ebenfalls. Musikalische Perfektion an einem Livekonzert? Hat Seltenheitswert - wer's perfekt-präzise braucht kann sich ja eine SACD reinziehn...
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