Schweiz
Natur

Biodiversitätsinitiative: Baubranche wehrt sich gegen Heimatschutz

Blick auf Trogen, aufgenommen am Mittwoch, 8. November 2023, in Trogen. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden wird Ende November ueber eine Grossfusion der Gemeinden abgestimmt. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Das malerische Dorf Trogen in Appenzell Ausserrhoden: Die Biodiversitätsinitiative will nicht nur die Natur, sondern auch Ortsbilder schützen.Bild: keystone

Heimatschutz als Kampfzone gegen die Biodiversitätsinitiative

Bei der Biodiversitätsinitiative geht es nicht nur um Artenvielfalt. Sie fordert auch die Bewahrung schutzwürdiger Ortsbilder. Damit macht sie sich zusätzlich angreifbar.
27.08.2024, 19:57
Mehr «Schweiz»

Der offizielle Titel der Volksinitiative lautet «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft». In der Tat dreht sich der Abstimmungskampf um die Biodiversitätsinitiative in erster Linie um die Frage, wie der Artenschwund gestoppt werden kann. Dieses Anliegen stösst in der Bevölkerung auf Anklang, wie die ersten Umfragen zeigen.

Oft übersehen wird jedoch, dass es den Initianten nicht nur um Bachforellen, Wildbienen oder Blumenwiesen geht – sondern ebenso um den Heimatschutz. Nicht nur sollen Ortsbilder, geschichtliche Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler bewahrt, sondern «das baukulturelle Erbe auch ausserhalb der Schutzobjekte geschont werden».

Ein Plakat mit dem Aufruf zum "Nein zur extremen Biodiversitaetsinitiative" steht auf einem Tisch, waehrend einer Medienkonferenz gegen die Biodiversitaetsinitiative, am Mittwoch, 14. August ...
Die Initianten bekommen es neben den Stromversorgern auch mit der Bau- und Immobilienbranche zu tun.Bild: keystone

In einer Zeit zunehmenden Wohnungsmangels erzeugt dies eine zusätzliche Angriffsfläche. Der Verband der Immobilienwirtschaft (SVIT) bezeichnet die Biodiversitätsinitiative als «Trojanisches Pferd». Sie verschärfe «die heute schon vielfältigen Baublockaden» und gefährde damit «den Bau von dringend benötigten Wohnungen in der ganzen Schweiz».

Inventar strenger anwenden?

Demzufolge lehnt auch der Baumeisterverband die Initiative ab. Nach Ansicht der «Handelszeitung» sind bei einer Annahme der Initiative am 22. September «die Risiken gross, dass sich die Wohnungsknappheit verschärft». Stein des Anstosses ist das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS).

Es wird nach Ansicht der Baubranche schon heute zu rigid angewendet. Und bei einem Ja zur Biodiversitätsinitiative dürften die Hürden noch höher werden. «Ich kann bestätigen, dass bei einer Annahme der Initiative die Anwendung des ISOS strenger würde», sagt Maria Lezzi, Direktorin des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE), der NZZ.

Auch Strombranche dagegen

Das birgt Zündstoff, denn die Initianten müssen sich bereits mit der Strombranche herumschlagen. Diese fürchtet, dass bei einem Ja zur Initiative der Ausbau der erneuerbaren Energien und damit die Umsetzung des erst im Juni vom Stimmvolk klar angenommenen Stromgesetzes, auch bekannt als Mantelerlass, beeinträchtigt würde.

Der Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke (VSE) hat sich dem Komitee gegen die Biodiversitätsinitiative angeschlossen. Die Initianten kontern die Befürchtung mit einem Rechtsgutachten. Das Parlament könne demnach bei der Umsetzung eine Regelung schaffen, die den Schutz der Biodiversität mit dem Mantelerlass in Einklang bringe.

Solarausbau erschwert

Allerdings «funkt» auch in diesem Fall der Heimatschutz dazwischen. Er hat wiederholt gegen Solaranlagen auf seiner Ansicht nach schützenswerten Bauten opponiert. watson hat den Fall einer Scheune in Zürich-Witikon dokumentiert, deren Dach sich für die Produktion von Solarstrom bestens eignen würde. Doch der Heimatschutz hat Rekurs eingelegt.

Denn die Scheune steht in einer ISOS-A-Zone, und damit ist die Solaranlage für Martin Killias, den Präsidenten des Schweizer Heimatschutzes, «eine Provokation». Falls die Anwendung des ISOS bei einem Ja zu Initiative strenger würde, wie das zuständige Bundesamt erklärt, wäre nicht nur der Immobilien-, sondern der Solarausbau erschwert.

Themen gemeinsam geregelt

Beides sind «Killerargumente», die einem Volksbegehren zum Verhängnis werden könnten, das sich der biologischen Vielfalt verschrieben hat. Man fragt sich, warum sich die Initianten nicht darauf beschränkten, sondern sich mit dem Ortsbildschutz eine zusätzliche Gegnerschaft eingehandelt haben.

Matthias Samuel Jauslin, Stiftungsrat Stiftung Landschaftsschutz, Franziska Grossenbacher, Stellvertretende Geschaeftsleiterin Stiftung Landschaftsschutz, Urs Leugger-Eggimann, Geschaeftsleiter Pro Na ...
Die Ja-Kampagne will sich auf das Kernthema konzentrieren.Bild: keystone

Die Verbindung von Natur- und Heimatschutz sei «nur konsequent», erwidert Manuel Herrmann, Sprecher der Biodiversitätsinitiative. In Artikel 78 der Bundesverfassung, den die Volksinitiative ergänzen will, würden beide Themen gemeinsam geregelt – ebenso im Gesetz. Der Einbezug verschiedener Verbände mache die Kampagne «schlagkräftiger».

Baubranche «nicht sehr aktiv»

«Wir nehmen die Baubranche im Abstimmungskampf als nicht sehr aktiv wahr», sagt Herrmann. «Sie ist auch nicht einer Meinung.» Er verweist darauf, dass der Ingenieur- und Architektenverein SIA die Initiative befürwortet, ebenso das Magazin «Hochparterre». Die Nein-Allianz inklusive Umweltminister Albert Rösti versuche, «sich auf den Heimatschutz zu konzentrieren, weil ihnen aufgrund des schlechten Zustands der Biodiversität in der Schweiz die Argumente ausgehen».

Der Hauptfokus der Ja-Kampagne liege «auf unseren Lebensgrundlagen, die wir mit der Initiative erhalten wollen», sagt Herrmann. Ob diese Strategie aufgeht oder ob sich das Initiativkomitee nicht doch zu viele «Feinde» gemacht hat, zeigt sich in dreieinhalb Wochen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Meyrin holt sich den Wakkerpreis 2022
1 / 20
Meyrin holt sich den Wakkerpreis 2022
Der Schweizer Heimatschutz zeichnet die Gemeinde Meyrin im Kanton Genf mit dem Wakkerpreis 2022 aus. Gemäss Schweizer Heimatschutz zeige die Genfer Agglomerationsgemeinde, wie mit Dialog die Vielfalt als Staerke genutzt werden kann. Hier der Platz vor dem Einkaufszentrum Meyrin Centre.
quelle: keystone / christian beutler
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Die Biodiversitätsinitiative erklärt
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
136 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Neruda
27.08.2024 20:27registriert September 2016
Für mich könnte das noch der entscheidende Punkt sein, ob ich die Initiative annehme oder nicht. Und wahrscheinlich gibt es noch ein paar andere wie mich, die eigentlich für strengere Biodiversitätsregeln wären, aber keinen unsinnigen Ortsbildschutz wollen. Für eine ohnehin knapp werdende Abstimmung einfach völlig dumm, dieses Thema auch noch reinzunehmen und sich so mehr Gegner zu schaffen. Da haben die Initianten ins Klo gegriffen!
20218
Melden
Zum Kommentar
avatar
Tante Karla
27.08.2024 20:29registriert März 2024
Die Initianten haben ihre Initiative durch die Vermischung mit anderen Themen und durch ihre nationalökologisch begründete Anti-Solar-Kampagne selbst versenkt.

Sehr schade für das Anliegen, die Biodiversität zu schützen.
16019
Melden
Zum Kommentar
avatar
In vino veritas
27.08.2024 20:17registriert August 2018
Genau deswegen stimme ich nein. Ich habe mit diesen Ewiggestrigen leider schon zu viel zu tun, eine zeitgemässe Renovierung oder gar Erweiterung ist schlicht und einfach kaum möglich und aufgrund der strikten Vorlagen sehr teuer. Wenn es nach denen gehen würde, wäre die ganze Schweiz ein Freilichmuseum nach dem Vorbild Ballenberg.
18041
Melden
Zum Kommentar
136
    Coop und Migros steigen im Ranking der grössten Detailhändler auf

    Die Schweizer Detailhandelsriesen Coop und Migros haben sich im internationalen Vergleich behauptet. Gemäss einer Studie des Unternehmensberaters Deloitte schaffte es Coop auf Rang 34 und Migros auf Platz 41 unter den 250 grössten Detailhandelsfirmen der Welt.

    Zur Story