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Vorfall im Aargau: Junge Tat hat schon länger Kontakt mit Martin Sellner

Die Junge Tat und Martin Sellner – so sind die Rechtsextremen verbandelt

Der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner sollte im Aargau einen Vortrag zum Thema «Remigration» halten. Eingeladen wurde er von der Jungen Tat – die Köpfe der Schweizer Rechtsextremen-Gruppe stehen seit längerem in Kontakt mit Sellner.
19.03.2024, 04:3019.03.2024, 10:22
Christoph Bernet / ch media
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Am Samstagabend beendete die Kantonspolizei Aargau einen Vortrag des rechtsextremen österreichischen Aktivisten Martin Sellner in Tegerfelden AG vorzeitig, zu dem die Gruppe «Junge Tat» eingeladen hatte. Man habe Sellner «zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und zur Verhinderung von Konfrontationen mit Personen der Gegenseite» angehalten und vom Kantonsgebiet weggewiesen, teilte die Polizei am Sonntag mit.

Martin Sellner 2021
Martin Sellner bei einer Kundgebung seiner Identitären Bewegung in Wien 2021.Bild: imago

Der Vorfall sorgt weltweit für Schlagzeilen. Sogar Tesla-Gründer Elon Musk äusserte sich auf seiner Social-Media-Plattform X dazu. «Ist das legal?», antwortete Musk auf einen Beitrag Sellners. Dieser hatte von einem «Pushback» durch die Aargauer Kantonspolizei berichtet und nannte die Aktion eine «Schande für die Schweizer Demokratie».

Wer ist Sellner? Und wer steckt hinter der Jungen Tat?

Martin Sellner, 35, aus Wien ist der wichtigste Kopf der rechtsextremen identitären Bewegung in Europa. Bis Anfang 2023 war er Co-Vorsitzender der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ).

Die Junge Tat, im Herbst 2020 erstmals öffentlich in Erscheinung getreten, ist die aktuell erfolgreichste Bewegung im rechtsextremen Spektrum in der Deutschschweiz – wobei ihre Exponenten das Label ablehnen und sich selber als «rechts» bezeichnen.

Die Junge Tat orientiert sich stark an identitären Gruppierungen im europäischen Ausland. Dies war schon während der Coronapandemie zu beobachten. So setzten sich Aktivisten der Jungen Tat im Januar 2022 mit einem Spruchband in rot-weissen Farben an die Spitze einer Demonstration von Covid-Massnahmen-Kritikern in Bern.

Mit praktisch gleich aussehenden Spruchbändern traten identitäre Aktivisten in diesem Zeitraum an Demos von Massnahmenkritikern in Wien oder Berlin auf.

Die führenden Köpfe der Jungen Tat, allen voran Manuel Corchia und Tobias Lingg, beide Anfang 20, pflegen einen engen und regelmässigen Austausch mit Sellner. Zuletzt begegnete man sich Ende Oktober 2023 in Brüssel bei einer Protestaktion für «Remigrationspolitik» wenige Tage nach einem islamistischen Anschlag mit zwei Todesopfern.

Ende Juli 2023 waren Corchia, Lingg und andere Aktivisten der Jungen Tat an eine von Sellner organisierte Demonstration nach Wien gereist. Zentrale Forderung der Demonstration in Wien war ebenfalls die «Remigration». Diese ist das Schlagwort der Stunde im rechtsextremen politischen Spektrum Europas. Und sie war das Thema von Sellners Vortrag in Tegerfelden.

v.l.n.r. Tobias Lingg (Junge Tat), Martin Sellner und Manuel Corchia (Junge Tat)
Tobias Lingg (links) und Manuel Corchia (rechts) von der Jungen Tat mit Martin Sellner. Bild: X

Was ist das Lieblingsthema der Rechtsextremen?

Einer breiteren Öffentlichkeit – nicht zuletzt in Deutschland – wurde der Begriff «Remigration» aufgrund der Berichterstattung über ein Treffen zwischen Martin Sellner und Mitgliedern der Alternative für Deutschland (AfD) bekannt. Anfang Januar enthüllte das Rechercheportal Correctiv, dass Sellner im November 2023 in einem Hotel in Potsdam vor ranghohen AfD-Vertretern über Remigration referiert hatte.

Sellner skizzierte dabei einen «Masterplan Remigration». Dieser sieht vor, dass nicht nur kriminelle Ausländerinnen und Ausländer massenhaft in ihre Herkunftsländer ausgeschafft werden müssten, sondern auch Asylbewerber. Ebenso gehörten Ausländer mit Bleiberecht und sogar «nicht assimilierte deutsche Staatsbürger» massenhaft ausgeschafft.

Für die Identitären ist Remigration die Antwort auf die von ihr verbreitete Theorie vom «grossen Bevölkerungsaustausch». Diese Theorie besagt, dass es eine Elite abgesehen hat, die autochthone Bevölkerung Europas durch Zuwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten zunehmend zu ersetzen. Diese Zuwanderung unterläuft den von den Identitären propagierten «Ethnopluralismus», wonach verschiedene Völker jeweils getrennt in ihren eigenen Ländern leben sollten.

Diese Geisteshaltung geht auf Vordenker der Neuen Rechten wie Alain de Benoist zurück. Sie unterscheidet sich zwar von jener von «traditionellen» Neonazis, welche die weisse Rasse anderen gegenüber als per se überlegen betrachten.

Allerdings knüpft der «Ethnopluralismus» der Identitären an die rassistische Apartheidsideologie an. Und die Rede von einer «Elite von Globalisten», die angeblich den Bevölkerungsaustausch vorantreibt, erinnert an alte antisemitische Vorurteile.

Wie unterscheiden sich Identitäre von Neonazis?

Was identitäre Gruppen wie die Junge Tat ebenfalls von Neonazis unterscheidet, ist ihre Ästhetik. Statt mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln kommen Identitäre in Sneakers, Jeans und T-Shirt daher.

Mit diesem modernen Stil versuchen die Identitären in der breiten Gesellschaft anschlussfähiger zu werden, als dies mit der Neonazi-Ästhetik der Neunzigerjahre möglich wäre.

Auch bei der Wahl ihrer Propagandamittel surfen die Junge Tat und ihre Exponenten auf dem Zeitgeist. Zu ihren wichtigsten Kanälen gehören X, Youtube, Telegram und Instagram. In den sozialen Medien inszeniert sich die Junge Tat mit professionell gemachten Videos als hippe, junge, sportliche Aktivisten. Betont wird auch das Gruppenleben, etwa durch gemeinsame Wanderungen und Kampfsporttrainings.

Die Social-Media-Präsenz dient der Rekrutierung neuer Mitglieder und verschafft eigenen Aktionen zu aktuellen Ereignissen Reichweite. So zündeten vermummte Mitglieder der Jungen Tat als Reaktion auf die Kündigung von 49 Mietern zugunsten von Asylsuchenden in Windisch AG Fackeln vor dem Aargauer Regierungsgebäude.

Sowohl Martin Sellner (Anbringen von Hakenkreuzklebern an einer Synagoge, 2006) als auch Manuel Corchia und Tobias Lingg («Sieg Heil»-Rufe in einer Online-Vorlesung, 2020) sind in der Vergangenheit durch Aktionen mit eindeutig nationalsozialistischer Prägung aufgefallen. Sie bezeichnen dies heute als «jugendlicher Leichtsinn» (Corchia) beziehungsweise «pubertäre Phase» (Sellner).

(aargauerzeitung.ch)

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126 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ELMatador
19.03.2024 06:44registriert Februar 2020
„lehnen das Label ab“

Ich finde den Label Nerd auch nicht cool aber bin definitiv einer. Wenn man rechtsextrem ist sich aber als „Rechts“ bezeichnet und dies sogar von gewissen Parteien in der Schweiz akzeptiert wird stimmt einiges nicht.

Ein Misthaufen ist keine Blumenwiese und soll Misthaufen genannt werden dürfen.
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Sani-Bär
19.03.2024 05:51registriert April 2021
Meine deutsche Oma sagte mir immer:
"wenn die heutigen Neo-Nazis ihr grosses Vorbild A.H. treffen könnten, wären sie erstaunt, wie schnell sie im KZ landen."

Einen schönen Tag noch.
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Knoudi
19.03.2024 06:32registriert Juni 2020
ich frage mich wo die zwei junge Tat Typen arbeiten. Wer gibt so jemandem eine Anstellung
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