Historisch, grossartig, ein wichtiger Entscheid: Begleitet von klingenden Champagnergläsern fliegen Begriffe des Lobes durch das Berner Lokal «Grosse Schanze». Am Abstimmungssonntag haben sich dort die Unterstützerinnen und Unterstützer der Pflegeinitiative versammelt. Die meisten von ihnen arbeiten selbst im Pflegeberuf. Für sie ist das Resultat besonders bedeutend, wie drei Pflegefachfrauen erzählen.
Es ist kurz nach 15 Uhr. Liridona Dizdari, Gabriela Morf und Patricia Tschannen stehen draussen an der frischen Luft. Schneeflocken sinken sanft zu Boden. Es ist ruhig, die Feiergeräusche im Lokal dringen nur dumpf durch die Fenster. Die drei Frauen brauchen kurz eine Pause vom Tumult. Sie müssen verdauen, was das Schweizer Stimmvolk heute entschieden hat: Die Pflegeinitiative ist durchgekommen. «Ich kann es noch gar nicht richtig fassen», sagt Tschannen und schüttelt lächelnd den Kopf. «Seit ich in der Pflege arbeite, demonstriere ich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen.» Das seien nun schon über 20 Jahre.
Für Liridona Dizdari wäre ein Nein unhaltbar gewesen. «Ich weiss nicht, wie lange ich dann noch im Beruf geblieben wäre», sagt die 28-Jährige. Seit ihrer Ausbildung vor 13 Jahren arbeite sie beim Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil. «Mit dem Ja ist für mich klar: Ich werde bleiben. Dieses Abstimmungsresultat hat mir neue Hoffnung gegeben.»
Gabriela Morf stimmt nickend zu. Ihr Gesicht kennt man von den vielen Ja-Plakaten an den Bahnhöfen, Strassenrändern und Gebäudewänden. Den ernsten Blick und die bodenständige Ausstrahlung hat sie auch im Gespräch. «Wenn die Initiative abgelehnt worden wäre, hätte ich mir echt überlegen müssen, zu gehen. Ich war schon einmal ausgebrannt.»
Wieder drinnen in der Wärme setzen sich die drei Frauen auf eine Sofagruppe. Hinter ihnen, am Fenster, hängt das Ja-Plakat. Gabriela Morf betrachtet ihr Foto. Dass sie für die Kampagne Model stand, hätte ihre Arbeitgeberin, die Zürcher Universitätsklinik, nicht gestört, erzählt die 44-Jährige. Allgemein sei sie sehr überrascht gewesen von der ausschliesslich positiven Resonanz. «Ich hätte mit einem grösseren Shitstorm gerechnet», sagt Morf.
Seit sie 18 Jahre alt sei, arbeite sie als Pflegefachfrau. Das ist jetzt gut 25 Jahre her. «Ich kenne nichts anderes und eigentlich ist es ein toller Beruf. Die Umstände sind einfach extrem schwierig. Es arbeiten zu wenige Leute am Patienten und die Pflegeleistungen werden nicht angemessen entgolten.» Morf ist zuversichtlich, dass sich das jetzt ändern wird. «Das Ja ist ein Lichtblick.»
Patricia Tschannen ergänzt: «Jetzt wissen wir auch, dass das Volk hinter uns steht. Es ist wie ein Signal für uns, dass wir nur noch ein bisschen länger durchhalten müssen. Das tut gerade wahnsinnig gut.» Die 43-Jährige arbeitet in einer Langzeitklinik in Bern. Bei einem Nein hätte sie zwar den Job nicht an den Nagel gehängt. «Aber ich hätte mich meiner Arbeit moralisch sicher weniger verpflichtet gefühlt.» Es könne nicht sein, dass man unter dem Motto «Die Pflege ist doch eine Berufung» alle Probleme ignoriert.
Endlich seien die Pflegenden für sich selber eingestanden, sagt Liridona Dizdari. Das mache sie besonders stolz. «Für uns Pflegende stehen immer andere Menschen im Vordergrund. Es ist gut und wichtig, dass wir dieses Mal für uns selber eingestanden sind», so die Pflegefachfrau.
Aber fertig sei der Kampf noch nicht. «Es ist ganz wichtig, dass Bund und Kantone die Punkte aus der Initiative nun umsetzten.» Die Ausbildungsoffensive und die direkte Abrechnung bei den Krankenkassen seien bereits fixfertig geplant. «Ich habe Hoffnungen, aber auch Erwartungen», sagt Dizdari. «Die Politikerinnen und Politiker müssen jetzt an ihre Schreibtische sitzen und endlich Gesetze ausarbeiten, die die Pflege stärken.»
Und vielleicht haben sie auch betreffend anderen Themen daraus gelernt. Man muss nicht immer warten bis es knallt. Man darf auch vorher zuhören und die Probleme ernsthaft angehen.
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt und ein Plan B braucht prinzipielle sowiso jeder Arbeitnehmer.