Es ist nicht lang her, da sprach die Welt nicht nur von Covid. Sondern von #MeToo. Und von Black Lives Matter. Die Debatten rund um Sexismus und Rassismus wurden vorangetrieben, heftig geführt. Von strukturellen Problemen in der Gesellschaft, bis hin zum konkreten Einzelfall, wie dem rassistischen Mohrenkopf.
Was hat es gebracht? Wenn man sich die Kostümauswahl der Schweizer Detailhändler für die bevorstehende Fasnachtssaison ansieht: Wenig. Die Warenhauskette Manor, der Coop-Onlineshop Microspot und die Migros-Tochter Galaxus haben nach wie vor mehrere fragwürdige Kostüme im Sortiment, wie Recherchen zeigen.
Was sich generell sagen lässt: Jene für Frauen kommen mehrheitlich im sexy Look daher – mit Strapsen und kurzen Röcken. Von der freizügigen Piratenfrau bis hin zur lasziven Hexe. Jene für die Männer variieren zwischen Blödel-Outfit und Coolness, also von Super Mario bis hin zum «Top Gun»-Aviatiker. Letztere gibt es auch für Frauen - allerdings wie es sich für seriöse Kampfjetpilotinnen gehört mit extra kurzem Overall, Fischnetzstrumpfhosen und Dekolleté.
Valérie Vuille, Direktorin der Genfer Gleichberechtigungsorganisation Décadrée, ist nicht überrascht. Die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse seien tief verankert und zeigten sich auch in der Wahl der Themen, Farben und des Schnitts. Die Kostüme für Frauen seien immer freizügiger als jene für Männer. «Somit werden Frauen objektiviert und der Aspekt der Verführung wird in den Vordergrund gestellt», sagt Vuille.
Auch beim Kindersortiment zeige sich der Sexismus: «Die Kostüme für Mädchen sind auf Sanftheit, Zärtlichkeit und Fürsorge ausgerichtet, jene für Buben viel mehr auf Action.» So verkauft Coop-City zum Beispiel aktuell eine Feuerwehr-Ausrüstung. Für wen sie gedacht ist, wird dank dem Namen «Fireman» statt «Firefighter» schnell klar.
Und dann wären da die Kostüme, die mit veralteten bis hin zu rassistischen Stereotypen zu verschiedenen Bevölkerungsgruppen auftrumpfen: Der singende Mexikaner mit Sombrero und Poncho, die «Indianerin» mit Feder im Stirnband und kurzem Kleid, und ihr männliches Pendant, illustriert mit grimmiger Mimik, angriffiger Haltung und Tomahawk.
Manche Händler haben zudem die entsprechenden Accessoires im Sortiment: Einen «Indianer»-Kopfschmuck mit bunten Plastikfedern. Einen schwarzen, langen Schnurrbart für den asiatischen Look – auf der Verpackung präsentiert von einem weissen, die Augen zukneifendem Mann. Und einen dickeren Schnauz für die Mexikaner-Verkleidung.
Für Kulturwissenschafterin Patricia Purtschert von der Universität Bern ist klar: «Derartige Kostüme verbreiten rassistische und sexistische Vorstellungen. Eine Sortimentsbereinigung von Händlern wie Migros, Coop und Manor ist überfällig.» Viele Stereotypen von anderen Menschen hätten sich nicht zuletzt über Fasnachtskostüme im Alltag verfestigt. «So manches herablassendes Bild stammt aus der Kolonialzeit. Und trotzdem müssen sich zahlreiche Menschen in unserer interkulturellen Gesellschaft an der Fasnacht solche rassistischen Darstellungen ihrer Herkunftskultur vor Augen führen lassen.»
Purtschert verweist auf eine Debatte vor einigen Jahren in Basel. Dort kam die Guggenmusik Negro-Rhygass unter Beschuss. Kritisiert wurde sowohl der Name als auch das rassistische Logo mit einem schwarzen Männlein mit Knochen in den Haaren. In der Folge änderte die Gruppierung das Logo - nicht aber den Namen. «Das zeigt, wie schleppend die Diskussion hierzulande vorankommt», sagt Purtschert. Immer wieder gebe es Auseinandersetzungen, in denen heftig über einzelne Begriffe und Bilder diskutiert werde. Aber noch heute verkauften bekannte Händler Mohrenköpfe und sähen darin kein Problem. «Die Argumente, weshalb etwas rassistisch ist und was es mit der Kolonialgeschichte zu tun hat, gehen immer aufs Neue vergessen. Und beim nächsten Mal beginnt die Diskussion von vorne.»
Gerade in Bezug auf sogenannte «Indianer», also die US-amerikanischen Ureinwohner, herrsche hierzulande eine grosse Bildungslücke, sagt Purtschert. «Das Bild ist geprägt von den Karl-May-Erzählungen und Winnetou. Das sind europäische Fantasien, die den Genozid, die Vertreibung und Enteignung indigener Menschen in den Amerikas romantisieren.»
In Expertenkreisen ist die Rede von Cultural Appropriation, auf Deutsch kulturelle Aneignung. Dabei werden Kulturbestandteile von Mitgliedern einer anderen Kultur oder Identität übernommen und kommerziell ausgeschlachtet. Kritisiert wird dies insbesondere, wenn die Kultur einer Minderheit angehört, die in der Gesellschaft benachteiligt ist, sei es wirtschaftlich, sozial oder politisch.
Doch was sagen die Verantwortlichen? Manor, Coop und Microspot halten sich kurz. «Bei den erwähnten Produkten erhalten wir die Produktbeschriebe und Bilder direkt von einem Distributor», sagt Microspot-Sprecherin Monika Fasnacht. Man prüfe nun eine Anpassung und man werde die Kritikpunkte berücksichtigen. Ob und welche fragwürdigen Kostüme entfernt werden, sagt sie nicht. Das Mutterhaus Coop begründet die Auswahl mit den Wünschen der Konsumenten: «Unser Sortiment umfasst Fasnachtskostüme, die bei unseren Kundinnen und Kunden besonders gefragt sind», sagt Sprecherin Melanie Grüter. Das Sortiment werde überprüft. Wie, verrät sie nicht.
Manor-Sprecherin Sandra Känzig sagt, die Sortimentsgestaltung sei einlaufender Prozess und entwickle sich mit den Bedürfnissen der Kundschaft weiter. Es sei nicht die Absicht, Stereotype über Geschlecht, Hautfarbe oder Kulturen zu thematisieren. Sie gibt zu bedenken: «Pauschalisierungen sind oft schwierig und der Fall muss wohl auch einzeln betrachtet werden – gewisse Gegenstände werden zum Beispiel auch mit Ländern in Verbindung gebracht, ohne Intention der Herabwürdigung einer Kultur.» Die Frage, ob gewisse Kostüme und Accessoires entfernt werden, bleibt unbeantwortet.
Am ausführlichsten nimmt das grösste Onlinewarenhaus der Schweiz, die Migros-Tochter Digitec Galaxus Stellung. Sprecher Stephan Kurmann, der Mitglied eines internen Teams ist, das sich für Diversität und Inklusion einsetzt, sagt, Galaxus verfolge eine Null-Toleranz-Politik gegenüber dem sogenannten Blackfacing, Redfacing oder Yellowfacing, also dem Bemalen von weissen Gesichten, um eine andere Hautfarbe vorzugaukeln.
Diese Haltung gelte auch für «jegliche andere Art und Weise, nicht-weisse Menschen diffamierend darzustellen», sagt Kurmann – und liefert zum Beweis zwei Beispiele, die Galaxus als «nicht diskriminierend» erachtet. Das eine: Ein weisser Mann mit Kimono und Make-up, dass seine Augen schmäler aussehen lässt. Das Outfit trägt die Bezeichnung «Herrenkostüm Asiate». Das andere: Ein Sombrero-Hut – illustriert mit einem weissen Mann, dickem Schnauz und mit Zigarre im Mund.
Das Problem laut Kurmann: Galaxus bezieht einen Grossteil seiner 3 Millionen Artikel von Dritten, welche ihre Waren selber bebildern und beschriften. Galaxus fungiert für sie als reiner Marktplatz. «Natürlich gibt es Richtlinien unsererseits – auch zum Thema Diskriminierung und Rassismus», sagt Kurmann. Der Bereich Kostüme und Verkleidungen sei allerdings besonders diffizil: «Es ist ein schmaler Grat zwischen blosser Verkleidung und Diskriminierung von ethnischen Minderheiten.»
Der Galaxus-Sprecher betont, dass die Gesellschaft patriarchalisch geprägt sei. «Dazu gehören auch bestimmte Rollenbilder, die sich in der Gesellschaft manifestiert haben.» Es sei noch ein weiter Weg bis zu völliger Gleichberechtigung der Geschlechter. «Ich denke jedoch nicht, dass Fasnachtskostüme hier der Knackpunkt sind, sondern vielmehr politische Rahmenbedingungen, die für eine Chancengleichheit bei allen Geschlechtern sorgen.»
Mit anderen Worten: Die Händler schieben mit dem Verweis auf die grosse gesellschaftliche Ungleichheit die eigene Verantwortung von sich. Galaxus sieht aber dennoch positive Entwicklungen in Bezug auf Fasnachtskostüme: «Die Rollenbilder weichen sich nach und nach auf, es gibt heutzutage auch sexy Kostüme für Männer.» Der Beweis: Der «Sado-Stripper» im Galaxus-Shop.
Die interne «Diversity and Inclusion-Crew» gibt es laut Kurmann seit drei Jahren. Seither habe man sich darauf konzentriert, die Vielfalt im Unternehmen aktiv zu fördern - insbesondere die Geschlechterverteilung im Unternehmen. So gebe es nun auch Teilzeitmodelle für Kader und eine verlängerte Elternzeit. Bezüglich Sortimentsgestaltung seien die Angestellten auf Diversitätsthemen sensibilisiert. «Dabei handelt es sich jedoch um einen Prozess, der seine Zeit in Anspruch nimmt.»
«Die Antworten von Galaxus sind konsternierend», sagt Gesellschaftswissenschafterin Purtschert. Es sei zwar gut, dass die Firma sich mit dem Thema beschäftige. «Gleichzeitig zeigt der Verweis auf angeblich nicht diskriminierende Verkleidungen als lateinamerikanischer und asiatischer Mann, die sehr wohl diskriminierend sind, wie weit der Weg noch ist.» Nötig ist laut Purtschert auch mehr Forschung zur kolonialen und patriarchalen Geschichte der Fasnacht hierzulande.
Und was ist mit dem Hauptargument vieler Leute, die Diskussionen über Mohrenköpfe oder «Indianer»-Kostüme als unwichtig oder klein abtun im Vergleich zu den Gleichberechtigungsthemen auf politischer Ebene? «Wenn es wirklich nur kleine Probleme sind, weshalb sind sie dann nicht schon längst behoben?», sagt Purtschert. Diese angeblich kleinen Probleme seien untrennbar verbunden mit sozialen und materiellen Ungleichheiten.
Um Rassismus und Sexismus anzugehen, brauche es eine Reflexion auch bei Themen, die auf den ersten Blick nicht weltbewegend seien. «Denn Rassismus und Sexismus beginnen im Alltag.» Und überhaupt, so Purtschert, sollte nur schon dieses eine Argument ausreichen: «Solche Verkleidungen sind für viele Menschen verletzend, weil sie ihre Kultur lächerlich machen. Das ist Grund genug, sich andere Kostüme auszudenken.» (saw/aargauerzeitung.ch)
Moralismus-Keule from Hell..!
Mohrenköpfe zu canceln und daraus eine grossangelegte Diskussion entfachen wird keinen Rassisten zum umdenken bringen - eher sieht er sich in seinem Weltbild, dass "die Linken" ihm wieder etwas verbieten wollen, bestätigt.