Bei der Lektüre von Jeremias Gotthelfs «Die schwarze Spinne» – und daran kamen und kommen wohl noch heute Heerscharen von Schweizer Gymischülern nicht vorbei – ist ein Gefühl bestimmend: Es gramselt dir ganz fürchterlich den Rücken rauf und nieder. Überall, so dünkt es einem, hockt dieses widerwärtige Spinnwesen, bald läuft es einem über die Füsse, bald sitzt es einem gross und schwarz auf der Nase. Dort bäumt es sich auf, streckt dir seine verderblichen Kieferklauen entgegen und zwischen seinen Borsten hervor quellen giftig seine vielen Augen.
«Gramseln». Das Wort hat sich seither in mein Gehirn gebrannt. Ich glaube, es gibt tatsächlich kein Wort, das wirkungsmächtiger, trefflicher beschreiben könnte, was eine Spinne mit ihren acht Beinen Gräuliches anzustellen vermag. Dieses Gewimmle und Gefusle, fürwahr ein einzig Gramseln ist das.
Jeremias Gotthelf, der seine Novelle im Jahre 1842 schrieb, war ein Mann des Dialektwortes. Und obwohl er sein Berndeutsch so kunstvoll in seine Geschichte eingewebt hatte, entschuldigte er sich dafür. Es gehörte sich nun mal nicht, das Hochdeutsche auf diese Weise zu verunreinigen.
Und tatsächlich hatte man sich bei späteren Umarbeitungen im Dienste jenes «Konkretismus» und zum Grauen Jacob Grimms erdreistet, Gotthelfs Text ebenjene helvetischen Juwelen zu entreissen, ihn seiner Zierde zu berauben und ihn so, von seinem eigentlichen, formgebendsten Reiz befreit, erneut auf Papier zu drucken.
Die schwarze Spinne, die nicht gramselt, das ist, als hätte man ihr alle Beine ausgerissen!
Nun bedient sich zwar die Neuverfilmung am schönen Berndeutsch, dennoch leidet auch sie an einer gewissen Schmucklosigkeit. Schafft es nicht ganz, die donnernde Kraft, all diese Wortgewaltigkeit seiner Vorlage ins Filmische zu übersetzen. Die Bilder scheinen in Anbetracht derer, die Gotthelf heraufzubeschwören vermag, etwas fahl.
Vielleicht liegt das in der Natur der Sache, sicherlich liegt es nicht an den Schauspielerinnen, und vielleicht hat eben wegen dieser unbändigen Wucht der «schwarzen Spinne» sich noch keiner bis auf Mark Rissi in den 80ern – der die Handlung allerdings in ein modernes Drogenmilieu versetzt hat – an diesen Stoff herangetraut. Und so kommt es, dass wir nun seit 180 Jahren die erste, ziemlich getreue Adaption jenes Meisterwerks zu sehen bekommen.
Die Geschichte beginnt so:
Sumiswald im Emmental im Jahr 1251. Das Dorf untersteht dem Deutschritterorden, dessen Oberhaupt Hans von Stoffeln (gespielt von Ronald Zehrfeld) ein ganz übel gesinnter Kerl ist, der von seinen bäuerlichen Bewohnern verlangt, ihm in leidiger Fronarbeit ein Schloss zu bauen, mitten auf dem Bärhegenhubel mussten sie es aufrichten. Und als sie diese schwere Arbeit binnen zwei Jahren schwitzend und jammernd verrichteten, ihre Felder darob brach lagen und die Mäuler ihrer Kinder leer, da wusste der von Stoffeln es ihnen in seiner herzlosen Weise nur so zu danken, dass noch etwas fehlte zu seinem Glücke: Ein Schattengang nämlich, eine prächtige Allee mit hundert stattlichen Buchen, die den Weg zum Eingang seines neuen Anwesens säumen sollten. Ganz ausgraben müssten sie diese unten im Tale mitsamt Wurzelstock und sie ihm dann in Zeit eines Monats oben vor seinem Schlosse wieder einpflanzen.
In ihrer Verzweiflung und den sicheren Hungertod vor Augen, erscheint den Bauern im Walde ein fremder Karrenmacher (gespielt von Anatole Taubman), der ihnen anbietet, die schwere Arbeit mit seinen wundersamen Fuhrwerken zu verrichten. Doch sie fürchten ihn und glauben ihm nicht, allein die Hebamme Christine (gespielt von Lilith Stangenberg) sucht ihn nochmals auf, nachdem ihr Vater und Dorfältester beim Ausheben des ersten Baumes von diesem erschlagen, und der Mut der Männer ins Bodenlose gesunken ist. Sie lässt sich, von den flehenden Blicken der ohnmächtigen Bauern bestärkt, auf einen Handel mit ihm ein. Er verlangt dafür ein ungetauftes Kind und zum Zeichen ihrer Bürgschaft küsst er sie auf die Wange.
Bald stehen die prächtigen Bäume wie von Zauberhand an der gewünschten Stelle, doch die Backe, die den Kuss empfing, brennt Christine gar fürchterlich, und immer dann, wenn ein Kind geboren und getauft in die Arme ihrer Mutter gegeben wird, statt es wie vereinbart dem Teufel auszuhändigen.
Eben noch wegen ihres Mutes vom gesamten Dorfe als Retterin gefeiert, wird sie nun als Teufelsbraut von diesem ausgestossen.
Bald schon schwillt das Mal, das auf ihrer Wange brennt, immer höher an, Wehen beginnen ihr Gesicht zu verzerren ...
«Da war es Christine, als ob plötzlich das Gesicht ihr platze, als ob glühende Kohlen geboren würden in demselben, lebendig würden, ihr gramselten über das Gesicht weg, über alle Glieder weg, als ob alles an ihm lebendig würde und glühend gramsle über den ganzen Leib weg. Da sah sie in des Blitzes fahlem Scheine langbeinig, giftig, unzählbar schwarze Spinnchen laufen über ihre Glieder, hinaus in die Nacht, und den Entschwundenen liefen langbeinig, giftig, unzählbar andere nach. Endlich sah sie keine mehr den frühern folgen, der Brand im Gesicht legte sich, die Spinne liess sich nieder, ward fast zum unsichtbaren Punkte wieder, schaute mit erlöschenden Augen ihrer Höllenbrut nach, die sie geboren hatte und ausgesandt zum Zeichen, wie der Grüne mit sich spassen lasse.»
Jeremias Gotthelf, «Die schwarze Spinne»
Christine wird sich, von den dämonenhaften Kräften immer wieder übermannt, märtyrerhaft zeigen, sie, die die Kinder auf die Welt holt, stemmt sich immer wieder gegen den Drang, dem Satan ein solches zu überbringen, sie wird zur Heldin der Geschichte, trotz ihres Schicksals, das sie am Ende ereilen wird und das wir hier nicht verraten wollen.
Das ist eine sehr schöne filmische Modernisierung der literarischen Vorlage, in der nämlich, ganz nach dem Sinne ihres Verfassers, der selbst Vikar und Feldprediger war, der Priester sich todesmutig mitsamt Kreuz und Weihwasser in den Kampf mit dem Teufel stürzt.
Am Ende verstand Gotthelf sein Schaffen als Aufklärungs- und Warnliteratur, als Reden eines Propheten zur Entsumpfung seines Volkes, das sich immer mehr von der Wahrheit zu entfernen drohte. Es soll sich der Mensch nicht von Gott, das Weib nicht vom Manne und der Knecht nicht von seinem Meister emanzipieren, das wird in seiner Geschichte mehr als offenbar. Alles und jeder soll wieder an seinen angestammten Platz zurückkehren, ganz nach der vom Herr gegebenen Ordnung. Und so ist Christine, ein vom Hause viel zu weit entfernt agierendes, unabhängiges (und dazu deutsches!) Weibsbild, bei Gotthelf auch keine Heroin, sondern bloss todbringendes Ungeheuer.
Überhaupt werden im Film die Figuren psychologisch geschickt miteinander verwebt, wo sie im Buch lose und einander fremd bleiben. Ihre Handlungsmotive werden deutlicher, nachvollziehbarer. Doch während die Menschen an Tiefe gewinnen, verliert der Teufel an Kraft. Er, der doch das Potential zu einer der ganz grossen Schreckgestalten der Filmgeschichte hätte, bleibt seltsam schwächlich und vermag es nicht, einem das Herz zuzuklemmen. Löst keinerlei Unbehagen aus, man hofft bloss, er möge noch etwas aufdrehen, irgendein Zeichen seiner fiesen Magie senden, doch da ist nicht mal ein Fünklein, das ob seines Erscheinens sprühte.
Da ist kein Auskosten des Bösen, der Mut zur Furore fehlt. Sein Auftritt ist ebenso unspektakulär wie sein Verschwinden. Mit wehleidigem Gesicht, fast waschlappenartig verkrümelt er sich, als er nicht bekommt, was er will.
Bei Gotthelf hingegen haben wir es mit einem Teufel ganz anderen Kalibers zu tun. Als er zum ersten Mal bei den verzweifelten Bauern im Walde auftaucht, klingt das so:
«Wie sie da so rastlos weinten, [...] stund plötzlich vor ihnen, sie wussten nicht, woher, lang und dürre ein grüner Jägersmann. Auf dem keken Barett schwankte eine rote Feder, im schwarzen Gesichte flammte ein rotes Bärtchen, und zwischen der gebogenen Nase und dem zugespitzten Kinn, fast unsichtbar wie eine Höhle unter überhangendem Gestein, öffnete sich ein Mund und frug: Was gibt es, ihr guten Leute, dass ihr da sitzet und heulet, dass es Steine aus dem Boden sprengt und Äste ab den Bäumen?»
Zweimal frug er also, und zweimal erhielt er keine Antwort. Da ward noch schwärzer des Grünen schwarz Gesicht, noch röter das rote Bärtchen, es schien darin zu knistern und zu spretzeln wie Feuer im Tannenholz; wie ein Pfeil spitzte sich der Mund, dann tat er sich auseinander und frug ganz holdselig und mild: ‹Aber, ihr guten Leute, was hilft es euch, dass ihr dasitzet und heulet?›»
Und als die Bauern ihre Sprache wiederfanden und dem Grünen von ihrem Leid klagten, versprach er, ihnen alle Buchen auf Bärhegen zu führen, ihnen zulieb, den Rittern zum Trotz und um geringen Lohn ...
«‹So sag an, was du verlangst, auf dass wir mit dir des Handelns einig werden mögen!› Da machte der Grüne ein pfiffig Gesicht; es knisterte in seinem Bärtchen, und wie Schlangenaugen funkelten sie seine Augen an, und ein greulich Lachen stand in beiden Mundwinkeln, als er ihn voneinander tat und sagte: ‹Wie ich gesagt, ich begehre nicht viel, nicht mehr als ein ungetauftes Kind.›
Das Wort zuckte durch die Männer wie ein Blitz, eine Decke fiel von ihren Augen, und wie Spreu im Wirbelwinde stoben sie auseinander.
Da lachte der Grüne, dass die Fische im Bache sich bargen, die Vögel das Dickicht suchten, und grausig schwankte die Feder am Hute, und auf und nieder ging das Bärtchen. ‹Besinnet euch oder suchet bei euren Weibern Rat, in der dritten Nacht findet ihr hier mich wieder!›, so rief er den Fliehenden mit scharf tönender Stimme nach, dass die Worte in ihren Ohren hängen blieben, wie Pfeile mit Widerhaken hängen bleiben im Fleische.»
Jeremias Gotthelf, «Die schwarze Spinne»
Gotthelf schafft es, den Leser gleichsam mit den Bauern blass und zitternd an Seele und Gliedern zurückzulassen. Dem Film fehlt diese Dimension von Horror leider, alles bleibt dezent, unaufdringlich, behutsam.
Die Spinnen, einer Pestepidemie gleich, wüten im Dorfe nur sehr verhalten, das unermessliche Grauen der Heimgesuchten bleibt aus, und als der Tod des Hans von Stoffeln, jenes unterirdischen Arschlochs, ansteht, werden wir um die Genugtuung seines Ablebens gebracht, um die voyeuristische Lust an seinen Qualen betrogen und sehen nicht, wie die Beine der Spinne sich in sein Gehirn brennen. Die Kamera verlässt den Sterbenden, das Bild wird schwarz, zeigt uns stattdessen das Schloss in Fernaufnahme und schenkt uns einzig seinen Todesschrei.
Vielleicht ist es besser so. Vielleicht ist weniger mehr. Und vielleicht ist jenes Schwarzwerden eine stille Huldigung der Wortmacht Gotthelfs, der mit keinem konkreten Bilde gerecht zu werden ist.